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53.
Gregory ruckt und rückt

Harry Gregory war nicht schlafen gegangen, nachdem er seinen stark alkoholisierten Kompagnon verlassen hatte. Sein Groll hätte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Murdock hatte ihn allzu gröblich beleidigt, indem er ihn noch unter den toten, aber ihm darum nicht minder verhaßten Roger Warren gestellt hatte.

»Die ganze Sache war ein aufgelegter Schwindel«, sagte sich Gregory stirnrunzelnd, als er des gestörten Einbruchs bei Edith Winthrop und der voraufgegangenen Visiten des jungen Detektivs in der Seidenfirma gedachte.

Es kennzeichnet den Verbrecher, daß er alles eher glaubt als die Wahrheit. Gregory war also des festen Glaubens, daß Warren mit seinen Besuchen, und vor allem auch mit der Durchsicht und zeitweiligen Fortnahme der Geschäftspapiere ein hinterlistiges Doppelspiel gespielt hatte. Auch seine Bemerkung über die Rechtschaffenheit Murdocks hielt er für nichts weiter als eine niederträchtige List. Nachdem Warren getötet worden war, mußte natürlich eine nähere Untersuchung von seiten der Kriminalpolizei einsetzen. Gregory wurde es bald heiß und bald kalt, wenn er an seinen nächtlichen Aufenthalt in der Zelle zurückdachte. Der Gedanke an Audreys Verhaftung durch Roger Warren flößte ihm ebenfalls einen nicht ganz unberechtigten Widerwillen ein, wenn er sich auch mit seiner Beurteilung des Falles durchaus im Irrtum befand.

Nachdem Warren tot war, mußte die Untersuchung ergeben, wo sich sein Hund befunden hatte. Er hatte ihn in seiner Überreiztheit erschossen. Wenn er auch die Tatsache mit seiner persönlichen Furcht würde erklären können, sie blieb darum schließlich doch belastend, und Gregory hatte durchaus keine Sehnsucht nach einem erneuten Zusammentreffen mit Kommissar Roxey oder sonst einem Polizeibeamten, zumal er die etwas dunklen Andeutungen bei der Identifizierung des Winthropschen Schmucks wohl verstanden hatte.

Gregory war dank seiner mangelnden Fähigkeit, tiefer zu denken, nach wie vor felsenfest davon überzeugt, daß die Polizei weder ihn noch Murdock mit den letzten Ereignissen irgendwie beweiskräftig in Verbindung zu bringen imstande sei, aber er hielt es nichtsdestoweniger doch für opportun, zunächst lieber für eine Weile den Landsitz zu verlassen, mit Murdock die letzten Einzelheiten für den geplanten großen Coup anderwärts auszuarbeiten, und die Kriminalpolizei ihrer Aufgabe zu überlassen, während sie sich der Küste Südamerikas zuwandten.

Mit diesen Gedanken beschäftigt, hatte er den Garten betreten und Umschau gehalten. Der Mond war untergegangen. Die Nacht war pechrabenschwarz. Aber der Himmel war wolkenlos, und die Sterne schimmerten freundlich zu seinen Häupten. Und noch freundlicher blinkten die Lichter von der schaukelnden »Clothos« zu ihm herüber.

»Ich hab's«, flüsterte sich Gregory beruhigend zu. »Wir werden uns an Bord begeben, die Anker lichten und über den Sund kreuzen. Wenn Murdock nicht so betrunken wäre, würde er meine Idee einfach glänzend finden. Aber wenn er morgen früh wieder frisch aufwacht, wird er es mir danken, daß ich die Initiative ergriffen habe.«

Er eilte zu der Garage, in der er die drei ihm vom »Masken-Micky« zur Verfügung gestellten Bravos versteckt hatte. Warren war entgegenkommend genug gewesen, seine Verabredung mit Benny Smart pünktlich einzuhalten, und hatte sie damit freundlicherweise der Pflicht seiner Ermordung überhoben. James Murdock hatte Gregory auf die Zeitung aufmerksam gemacht. Was er dort schwarz auf weiß gefunden hatte, war für ihn das gegebene Material für die Verfolgung seiner Absichten.

Er hatte sich des Blattes versichert und stahl sich zu Audreys Zimmer. Er mußte wiederholt klopfen, bis sie aufwachte und an die Tür kam.

»Können Sie in einer Viertelstunde fertig sein, um auf die ›Clothos‹ zu gehen?« fragte er flüsternd.

»Warum denn?« fragte Audrey schlaftrunken zurück.

»Sie wissen doch, was ich Ihnen vorhin über Warren und Ihren Vater gesagt habe, nicht wahr?«

»Gewiß. Und Sie wissen hoffentlich auch noch, was ich Ihnen darauf geantwortet habe!«

»Jedes Wort. Aber darum handelt es sich jetzt wirklich nicht. Es ist etwas anderes passiert. Wegen all der Geschichten, seit Gusset ermordet worden ist, müssen wir hier fort.«

»Haben Sie mit Papa deswegen gesprochen?«

»Nein, Audrey, das habe ich nicht. Ihr Vater hat, ich muß es Ihnen leider sagen, etwas viel getrunken. Er ist nicht mehr ganz beisammen. Aber gerade darum muß ich alles tun, was in meinen Kräften steht, um ihn zu beschützen, wegen – –«

Er reichte ihr die Zeitung durch die Tür.

»Wegen, – – ich bitte Sie und ziehen Sie sich rasch an. Ich werde Sie persönlich zum Motorboot herunterbringen. Und dann gehen wir an Bord der ›Clothos‹. Mit Ihrem Vater selbstverständlich. Ich bin in zehn Minuten wieder hier. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ihr Vater hat ja Gott sei Dank keine Ursache, sich vor der Polizei zu fürchten, aber nach alledem, was sich heute nacht in New York ereignet hat, kann man nicht wissen, was man ihm daraus für eine Schlinge drehen wird.«

Audrey machte Licht. Sie las die Überschriften und stürzte in den Abgrund eines Entsetzens, das unendlich grauenvoller war als die Schrecken der Nacht vorher.

Ein Detektiv der Hauptpolizei ermordet

Der Chef der Polizei verweigert jede nähere Auskunft
über den gemeldeten Tod Roger Warrens

Schießerei zwischen Schutzleuten und Mordbuben in Greenwich Village.
Einer der Verbrecher und eine noch unbekannte Frau erschossen

Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Die Zeilen zerrannen, und statt ihrer sah sie die unergründlichen Gesichter Inspektor Montroses und seiner Kollegen. Sie sah sich und ihren geliebten Vater mitleidlos angestarrt und unerbittlich angeklagt und verfolgt.

Ihr ganzes Denken galt nicht ihr selbst, sondern ihrem Vater, wenn der tobende Aufruhr in ihrem Hirn überhaupt noch Denken zu nennen war. Sie wußte, daß Gregory nicht gelogen hatte, als er ihr erklärte, daß er ihres Vaters Revolver in Händen hielt. Aber sie wußte auch, daß dieselbe Waffe sich auf noch völlig unerklärte Weise während ihres Verhörs im Besitz der Kriminalpolizei befunden hatte, und daß sie ebenso unerklärlich wieder in ihres Vaters Schreibtisch zurückgelangt war. Nein, Gregory hatte nicht gelogen – diesmal nicht! –, als er ihrem Beweis zugestimmt hatte, daß ihr die Polizei nicht seinen Revolver gezeigt haben konnte.

Aber wer vermochte all diese Dinge jetzt noch aufzuklären, da Roger Warren nicht mehr lebte? Audrey war sich klar, daß sie selbst es nicht vermochte, und daß ihr Vater, der, woran sie nicht zweifelte, genau so unschuldig war wie sie, ebensowenig dazu imstande sein konnte.

Ihre eigene Tragik, die ihr das Herz zusammenkrampfte, war darum nicht vergessen, konnte nie und nimmer vergessen werden, aber in diesem Augenblick überwog die Liebe zu ihrem Vater all die Herzensnot, die die Nachricht von Roger Warrens Tod schuf. Doppelt traf also dieser Stoß ihre Brust. Aber in ihrer seligen Unschuld ahnte sie nicht, daß er geführt war von der Hand ihres sie über alles liebenden Vaters!

Harry Gregory hatte Long Island, seit Roger seiner Pflicht und seinem, ach so unerwarteten Tod entgegengeeilt war, nicht verlassen gehabt. Außer ihrem Vater war auch niemand gekommen. Also schloß sie klar und einfach, daß ihr Vater die Zeitung in New York gekauft und die schreckliche Nachricht unterwegs gelesen hatte. Darum hatte er nicht mit ihr zu sprechen vermocht. Er wußte ja, wieviel sie schon gelitten hatte.

»Ich verstehe, ich verstehe«, schluchzte sie. »Papa war doppelt überwältigt. Daß der liebe, liebe Roger ihm das Leben gerettet hat, wußte er ja. Aber als er nun erfuhr, daß ich ihm auch mein Leben schulde, brach er zusammen unter der Last der entsetzlichen Nachricht. Darum hat er getrunken! Nicht aus Furcht. Ach, ich ängstige mich ja so um ihn. Roger allein kannte die Wahrheit. Und er kann sie nicht sagen, nie mehr.«

Harry Gregory versuchte gewiß das Beste, was er im Augenblick tun konnte, sagte sie sich. Außerdem hatte ihr Vater ja bereits von einer kürzeren Seereise gesprochen. Auf dem Meer würde sie wenigstens ihren Vater haben, ungestört von Geschäften. Fast blind vor Tränen warf sie sich in ihre Kleider und packte einen kleinen Handkoffer.

Der Weg zu dem Steg, an dem das Motorboot lag, mündete am Hintereingang der Villa. Ihr Vater ging in dem Wohnzimmer, das nach vorn zu lag, auf und ab. Sie konnte seine Schritte deutlich hören. Vermutlich machte auch er sich reisefertig.

Gregory erschien wieder an ihrer Tür. Den Finger auf den Lippen flüsterte er: »Pst! Daß Cobden nicht aufwacht!« Sie nickte und gab ihm ihr Köfferchen. In aller Eile schlichen sie die Hintertreppe nach unten und begaben sich zu dem Motorboot.

In der Kabine brach sie auf einem der Sessel fassungslos zusammen.

»Sie müssen tapfer sein, Audrey!« flüsterte Gregory ihr zu. »Um es Ihnen aufrichtig zu gestehen, auch ich habe Todesangst.«

Er log nicht. Die Furcht schüttelte ihn. Er hatte es nicht nötig, sich zu verstellen. Und seine Angst wuchs und wuchs. Ihm fehlte die Kraft und eiserne Energie, mit der Murdock schiefen Situationen zu begegnen pflegte. Seine verschreckten Sinne sahen lauernde Augen rings in der Dunkelheit und hörten Wispern und Flüstern, obwohl nichts die Totenstille unterbrach als das Rauschen der fallenden Blätter und das Knacken der Äste im Wind.

Trug vor Augen, konnte Harry Gregory nichts sinnen als Trug. Und er wob seine Fäden, wenn sie auch von anderer Kette und von anderem Schlag waren, als er und Murdock sie je vordem zusammen gewoben hatten.

»Warten Sie nur einen Augenblick«, wisperte er Audrey zu. »Ich will rasch Ihren Vater holen. Dann geht es zur Jacht hinüber. Der Mann am Steuer ist absolut zuverlässig. Er ist mir herausgeschickt worden, um mir bei Ihrem Schutz zur Hand zu gehen. Ihr Vater weiß Bescheid. Sie wissen ja, Ihr Vater hat selbst davon gesprochen.«

»Ich weiß.« Was nützte es alles, fragte sie sich.

»Ihr Vater hatte keine Lust,« fuhr Gregory fort, »daß Sie noch einmal erniedrigt würden, bevor er in der Lage war, sich zu beschweren und gesetzliche Schritte zu Ihrem Schutz zu tun. Er mußte unbedingt nach Newark. Aber er hat mir drei Leute mitgegeben. Sie haben Wache gehalten, seitdem ich hier bin. Aber Ihr Vater ist zu spät nach Hause gekommen, um die Leute noch nach New York zurückzuschicken. Ich habe sie deshalb für die Nacht in der Garage einquartiert.«

»Was sind das für Leute?« Audreys Ton schien dem überreizten Gregory unnötig scharf, aber ihr Kummer hatte vermutlich ihrer Stimme diese schneidende Härte gegeben.

»Privatdetektive«, gab er geschmeidig zur Antwort und freute sich über seine Fähigkeit, in einer solchen Situation so gewandt lügen zu können. Das war ein gutes Vorzeichen. »So, und jetzt will ich mit den beiden anderen Ihren Vater holen gehen. Seien Sie ganz ruhig, das Boot wartet, bis wir mit ihm zurück sind.«

Gregory hatte durchaus die Absicht, diese Erklärung buchstäblich zu erfüllen. Aber als er auf dem Bootssteg war, überkam ihn eine neue Angst. Wenn James Murdock ihn in diesem Zustand sehen würde, noch dazu in seinem ungerechten Zorn über Warrens Ermordung, dann würde er ihn nicht nur zum Gespött machen, sondern auch noch diese letzte Chance ihrer Rettung durch die Flucht zerstören. Er würde vielleicht noch viel ausfallender, um nicht zu sagen, ungerechter werden, als er vorhin unter vier Augen gewesen war.

Die ganze Situation mußte dadurch doppelt heikel werden. Ganz abgesehen von der Erniedrigung in Audreys Augen, lief er die Gefahr einer neuen Verhaftung. Es schien ihm überhaupt ein Wunder, daß die New-Yorker Kriminalpolizei noch nicht auf dem Platze erschienen war und sie alle miteinander eingesackt hatte.

Dieser Gedankengang war darum nicht minder richtig, daß er Gregorys Furcht entsprang. Das Schicksal in Gestalt Roger Warrens näherte sich bereits dem Hause, und seine wie Murdocks Festnahme war gewiß. Kommende Ereignisse werfen meist ihre unheimlichen Schatten voraus. Es war also kein Wunder, daß sich ihre Umrisse auf dem furchtbleichen Grund von Gregorys verstörtem Hirn seltsam lebendig abzeichneten.

Da sich der Bootssteg gerade auf der entgegengesetzten Seite von dem Raum befand, in dem Murdock das Licht brennen hatte, und da Roger Warren sich dieser anderen Seite des Hauses näherte, konnte Gregory weder ihn noch Wachtmeister sehen. Nichtsdestoweniger blieb er stehen.

»Ich glaube, ich bleibe besser hier und passe auf,« sagte er zu den beiden Bravos, »Murdock hat mich mit dem Schutz seiner Tochter beauftragt und würde es mir niemals vergeben, wenn ihr irgend etwas zustößt. Ihr zwei könnt ihm ja sagen, daß ich sie auf die Jacht bringen will. Mehr ist nicht nötig. Und sagt ihm ferner, daß ich ihn so rasch wie irgend möglich erwarte. Wenn er nicht will, dann kommt zurück, aber sagt nichts davon. Ihr sagt in diesem Fall weiter nichts, als daß er erklärt hätte: »Fahrt los! Ich lasse euch eine drahtlose Nachricht zukommen, wo ihr mich treffen sollt! Verstanden?«

»Klar«, brummte der eine der beiden Bravos.

»Wiederhole, was du sagen sollst!«

Der Kerl wiederholte Gregorys Worte, und jeder bekam einen Geldschein in die Hand gedrückt. Die beiden gingen ein paar Schritte. Dann blieben sie stehen, um sich beim Schein einer kleinen Taschenlampe ihr Entgelt näher anzusehen.

Es waren hundert Dollar pro Mann. Die beiden sahen sich an. Selbst ein Bravo macht sich seine Gedanken, und der Argwohn gegen alles und jeden ist niemals müde. Aber schließlich hatte jeder der drei Ehrenmänner bereits einen gleichen Betrag vom »Masken-Micky« erhalten, und das war Geld genug für die Arbeit, einem Polizeimenschen »es ordentlich zu besorgen«.

»Was hältst du denn von dem Schwindel jetzt mit Murdock?« fragte der eine.

»Sie haben vermutlich Krach gehabt. Vielleicht wollen die beiden durchbrennen. Die Kleine ist 'ne dufte Nummer. Die möcht' ich selber haben. Micky hat doch gesagt, daß der Gannef weiß, was er will. Ja, und Murdocks Kompagnon ist er auch.«

So kurz die Unterhaltung der beiden auch war, die Pause genügte doch, um Roger Warren zum zweiten Male das Leben zu retten. Denn Gregory hatte, als er von Warrens vermeintlicher Ermordung noch nichts gewußt hatte, den Bravos eine peinlich genaue Beschreibung des jungen Detektivs gegeben, und der Befehl des »Masken-Micky« hatte unzweideutig dahin gelautet, daß sie den Burschen zu erledigen hätten, was auch dazwischen kommen mochte.

In die gleiche, eben entstandene Pause fiel Audreys Ruf: »Wachtmeister!!«

Die beiden Bravos, die Gregorys Instruktion folgend, gerade um das Haus herumschleichen wollten, blieben stehen.

Während Wachtmeister, die Nase dicht am Boden, der frischen Spur Harry Gregorys folgte, lief Roger Warren auf der anderen Seite um die Villa herum in der Richtung, aus der der Schrei gekommen war.

Die beiden Bravos sprangen zurück und suchten Schutz hinter zwei Bäumen. Sie erkannten Warren und sahen das vielversprechende Blinken des Revolvers in seiner Hand. Sie machten sich bereit, den zweifach bezahlten Lohn zu verdienen. Der Detektiv hatte keine Ahnung von ihrer Gegenwart. Während sie stocksteif dicht an der Stelle standen, die er passieren mußte, und an nichts anderes dachten als an den günstigsten Augenblick zum Schuß, dachte und sah er nichts anderes als die Gestalt Harry Gregorys, deren Silhouette sich scharf gegen die blanke Wasserfläche abhob.

*

Als Roger Warren den Chef der Polizei und die beiden Inspektoren verließ, hatte Inspektor Montrose seinen obersten Vorgesetzten gedankenvoll angesehen.

»Na, was denken Sie denn?« hatte ihn der Polizeichef gefragt.

»Der Junge scheint mir recht, recht viel zu wagen, daß er das Geierpack ganz allein fassen will. Gusset hätte ihn fast getötet, wenn er ihm nicht mit dem zweiten Schuß glücklich den Arm zerschmettert hätte. Grove und die beiden anderen Halunken mit dem ›Salpeter-Ede‹ hätten ihn fast erwischt, und es ist schließlich nur eine besondere Fügung des Schicksals gewesen, wenn er nicht heute nacht draufgegangen ist, wenigstens nach dem Bericht, den mir Dean und Daniels gemacht haben. Aber weiß der liebe Himmel, so sehr ich mich über seinen Mut gefreut habe, da steckt noch mehr dahinter!«

»Was denn, Montrose?«

»Er ist in Murdocks Tochter genau so verliebt, wie sie in ihn.«

»Sind Sie sich dessen so sicher? Ich habe das junge Mädchen nicht gesehen«, antwortete der Polizeichef.

»Das haben Sie allerdings nicht,« erklärte Montrose halb spöttisch, »und außerdem haben Sie auch keine fünf Töchter großgezogen und miterlebt, wie sich vier davon Ihre Schwiegersöhne aufgefischt haben. Ich weiß, wie ein junger Mann aussieht, wenn er verliebt ist. Es wäre auch eine Schande, wenn ich es nicht wissen sollte, wo der fünfte verrückte Heiratskandidat um mein Haus herumschleicht und gerade vor ein paar Tagen meiner Jüngsten mit einem verfänglichen Schnurrbart und eine Gitarre ein Ständchen gebracht hat!«

Die beiden Zuhörer lachten herzlich über den trockenen Humor dieses alten Polizeimannes. Dann sagte der Polizeichef:

»Ich habe bereits gestern meinen Sekretär den Situationsplan des Murdockschen Landsitzes genau studieren lassen. Und heute habe ich meinem Chauffeur Auftrag gegeben, sich um den nächsten Weg zu kümmern. Ich habe wirklich nicht die Absicht, einen tüchtigen Polizeibeamten einer unnützen Gefahr auszusetzen. Ich habe meinen Chauffeur und vier ausgesuchte Leute unten mit dem Wagen. Murdock ist Ihr Wild, Inspektor Montrose. Sie haben seine Fährte zuerst aufgespürt. Darf ich also Sie und Inspektor Raynor bitten, mich nach Long Island zu begleiten? Ich wollte Warren nur gern erst einen kleinen Vorsprung geben. Da um diese Zeit doch keine Züge mehr fahren, hat er sich sicher ein Auto genommen. Wir werden rasch genug hinter ihm her sein, um ihm den Rücken decken zu können.«

Das wäre zweifellos auch geschehen, wenn sich nicht zwei unvorhergesehene Zwischenfälle begeben hätten. Erstens platzte zur ungelegensten Minute ein Reifen des Autos, und zweitens befand sich ein bis zur Unkenntlichkeit vermoderter Wegweiser an der Stelle, wo sich die breite Straße auf dem Wege zu dem Murdockschen Landsitz gabelte. Dagegen waren selbst die stärksten Scheinwerfer machtlos, und der Wagen befand sich bereits fünf Meilen jenseits der Wegkreuzung, ehe der Irrtum bemerkt wurde.

Selbstverständlich wurde sofort gewendet, aber man war doch erst wieder auf der richtigen Straße, als der ferne Klang von Revolverschüssen die Stille der Nacht durchbrach. Der Chauffeur gab der Maschine die höchste Schnelligkeit und jagte dem Ziel entgegen.


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