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37.
»Schaum-Schmul« seift ein

Ist vielleicht die Tatsache zu leugnen, daß derselbe Mann, den Sie nachher verhaftet haben, die Polizeibeamten aufgefordert hat, in seine Wohnung zu kommen?« fauchte Chatterton. »Daß er Ihnen gesagt hat, er habe einen Verbrecher von der Feuertreppe aus auf einen Schutzmann schießen sehen? Ist es vielleicht keine Tatsache, daß die Polizeibeamten seiner Aufforderung Folge leisteten und infolgedessen vom Fenster seines Schlafzimmers aus einen der wirklichen Einbrecher niederzuschießen imstande waren?«

»Dazu kann ich mich nicht äußern«, erklärte Warren. »Ich war zu dieser Zeit bewußtlos.«

»Aber Sie vermögen es nicht zu leugnen!?«

»Nein, leugnen kann ich es nicht.«

»Haben Sie irgendwelchen gestohlenen Schmuck in der Wohnung meines Klienten gefunden?«

»Nein.«

»Aha,« triumphierte Chatterton, »ihr allereinzigster Beweis gegen diesen alten, gebrechlichen Mann ist also lediglich die Tatsache, daß Sie glauben, er habe mit dem Rücken zu Ihnen gestanden, in dem Augenblick, bevor das Licht ausging? Stimmt das?«

»Ich habe ihn ganz genau sehen können.«

»Ich verzichte auf weitere Fragen meinerseits«, erklärte der Rechtsanwalt, »und stelle den Antrag, diesen Klienten gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen. Bevor das Gericht diesen Betrag festsetzt, habe ich noch folgendes zu bemerken: Ich kenne den Verhafteten. Es läßt sich nicht leugnen, daß er dreimal wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden ist. Aber er hat gebüßt. Er hat vollauf gebüßt während der langen, trostlosen Jahre, die er im Zuchthaus hat verbringen müssen, Jahre, die ihm gerechterweise zugemessen worden waren. Aber er ist seit fast fünf Jahren ein freier Mann. Er hat während dieser fünf Jahre ein durchaus ehrenwertes Leben geführt. Ich, der ich als Anwalt nicht nur vor diesem Gericht zu fungieren die Ehre habe, bin bereit, diese meine Aussage unter meinen Eid zu nehmen. Ich habe diesen Mann seinerzeit verteidigt, ich habe ihm damals den Rat erteilt, seine Schuld zu bekennen; aber ich habe ihm auch versprochen, daß ich ihm meine Hilfe angedeihen lassen würde, sobald er wieder frei wäre. Ich hatte ihm versprochen, ihm nach seiner Zuchthausstrafe eine Stellung als Chemiker in einer Fabrik zu verschaffen, in der er anständig sein Geld verdienen und anständig leben könnte. Er weiß nur zu gut, daß eine wiederholte Verurteilung für ihn lebenslängliches Zuchthaus zu bedeuten hat. Er ist des ihm zur Last gelegten Verbrechens ganz gewiß nicht schuldig. Er arbeitet und verdient sein ehrliches Geld. Er arbeitet Tag für Tag. Ich habe ihm eine Stellung in New Jersey verschafft, und er ist auch jetzt noch dort angestellt. Ich habe seinen Arbeitgebern damals nicht vorenthalten, daß er ein entlassener Sträfling war. Sie haben ihn auf meine Bitte hin trotzdem in Dienst genommen. Ich habe den Herren sogar eine Abschrift des Gerichtsprotokolls und der Akten über dieses armen, alten Mannes Vorleben zur Verfügung gestellt. Ich bin überzeugt, diese Papiere befinden sich auch heute noch in ihren Händen. Das sind die Umstände, unter denen mein ehemaliger und jetziger Klient – denn ich halte meine Freundschaft zu ihm aufrecht und werde ihm beistehen – seine Stellung antreten mußte. Aber er ist nach fast fünf Jahren noch immer in seiner alten Position. Sein erstes Monatsgehalt betrug zweihundert Dollar. Aber er ist ein so vorzüglicher Chemiker, daß man seinen Gehalt freiwillig steigerte. Seit drei Jahren bekommt er monatlich volle tausend Dollar. Das ist der beste Beweis dafür, daß er es nicht nötig hat, den Pfad der Rechtschaffenheit zu verlassen und sich in ein verbrecherisches Unternehmen zu begeben, das für ihn mit einer neuen Zuchthausstrafe enden mußte. Ich berufe mich auf diese Tatsachen lediglich darum, weil die Polizei einen Irrtum begangen hat, einen Irrtum, der nur zu natürlich war, weil ihr ja die Besserung meines Klienten unbekannt sein mochte, den sie nur nach ihrem Aktenmaterial beurteilt hatte.«

Chatterton machte eine Atempause, ehe er sich von neuem in eine Flut honigsüßer Redensarten ergoß.

»Der Irrtum ist, meine ich, verzeihlich und ehrlich entstanden. Darum gehe ich mit Freuden auch diesmal wieder für meinen Klienten zu Gericht, gestützt auf Tatsachen. Ich will durchaus nicht das Zeugnis Detektiv Warrens anfechten. Er erscheint mir als ein absolut zuverlässiger, vertrauenswürdiger junger Kriminalbeamter. Er ist nicht minder ein unerschrockener Mensch, wie mir scheint, denn die Zeitungen haben ihn reichlich gepriesen für seine Umsicht, mit der er der Ermordung des Millionärs in der Fifth Avenue vorgegriffen hat. Aber nichtsdestoweniger gibt Detektiv Warren zu, daß er nur mit einem einzigen Blick den Rücken des Mannes gesehen hat, der sich nicht anders wie jeder x-beliebige Einbrecher zu dem Safe herabbeugte, und zwar in dem Moment, bevor das Licht ausging. Er gibt ferner zu, daß er nachher mit einem Bleiknüppel niedergeschlagen worden ist, daß er das Bewußtsein verloren und eine ganze Weile so gelegen hat. Wir haben sein eigenes Zeugnis für diese Tatsachen. Geistig verwirrt durch diesen abscheulichen Schlag über den Kopf, mag er bei aller seiner Ehrlichkeit meinen Klienten verkannt haben. Bei aller Ehrlichkeit seiner Auffassung, daß mein Klient mit dem Verbrecher identisch ist, kann und darf die Tatsache nicht außer acht gelassen werden, daß dieser selbe Detektiv nicht leugnet, daß mein Klient die anderen Polizeibeamten unterstützt, und zwar sehr wesentlich dabei unterstützt hat, den wirklichen Einbrechern auf die Spur zu kommen. Darum glaube ich, nichts Ungebührliches zu verlangen, wenn ich die Bitte ausspreche, alle diese Tatsachen in Erwägung zu ziehen und meinen Klienten gegen eine nominelle Kaution auf freien Fuß zu setzen. Er hat für seine früheren Verbrechen gebüßt. Es wäre nicht gerecht, ihn noch einmal dafür zu strafen. Nein, es wäre eine offenbare Ungerechtigkeit!«

Rechtsanwalt Chatterton war glänzend bei Stimme. Sein glühendes Pathos schwelgte in tränenperlender Sentimentalität. Aber mitten im quellenden Tremolo brach er kurz ab und verharrte in Schweigen.

Chatterton kannte Grove alias Johnstone nicht. Er wußte auch nichts davon, daß Grove im Verfolg der Seidenräuberei auf dem Hudson als verdächtig festgenommen worden war, und daß man seine Fingerabdrücke hatte. Aber Murdock wußte es, und Gregory nicht minder. Die beiden waren sich absolut klar darüber, daß – im Falle der Verhaftung Groves – ein Vergleich seiner Fingerabdrücke mit den vor Jahren genommenen die Bombe zum Platzen bringen mußte. Grove kannte den »Salpeter-Ede« lediglich als Mieter in dem Winthropschen Hause. Dasselbe Schicksal, das man vor Jahren dem »Mappen-Gusset« bereitet hatte, war also auch ihm bestimmt.

James Murdocks Fähigkeit, Alibis zu schaffen, war ungewöhnlich stark. Wenn er für einen seiner Gehilfen ein unbedingt exaktes und bombensicheres Alibi brauchte, dann wußte er mit unerschöpflicher Erfindungskraft die Dinge so zu arrangieren, daß die Polizei – wie eben in diesem Falle – sich nur der Tatsachen zu bedienen brauchte.

Während der Polizeirichter den Anwalt und seinen Klienten betrachtete, verließ abermals ein Mann den Gerichtssaal. Er war nicht sonderlich groß, ziemlich alt und verrunzelt, aber nicht schlecht gekleidet. Unauffällig in seinem ganzen Benehmen, schien er durchaus zu der Reihe von ständigen Zuschauern zu gehören, die nicht reich genug sind, sich Theaterbillette zu kaufen, und infolgedessen ihre Sensationslust in Gerichtssälen stillen.

»Ich setze nicht den mindesten Zweifel in Ihre Angaben, Mr. Chatterton«, antwortete der Polizeirichter freimütig. »Übrigens ist von Inspektor Raynors Leuten noch ein Mann verhaftet worden – Johnstone mit Namen –, der Fahrstuhlführer aus dem Winthropschen Hause. Treten Sie auch für diesen Mann auf?«

»Nein. Ich habe bisher nichts davon gehört. Der Mann ist niemals mein Klient gewesen, soweit ich mich erinnere, wenigstens nicht unter diesem Namen.«

Chatterton sprach die Wahrheit. James Murdock war viel zu schlau, um alle Eisen in das gleiche Feuer zu tun, zumal wenn ein so schlauer Anwalt wie Chatterton zum Hüter der Flammen bestimmt war. Aber Chatterton kannte nicht einmal James Murdock. Murdock betrachtete Rechtsanwälte – genau so wie Kriminalbeamte – nur mitunter zu besonderen Zwecken als brauchbar. Der »Salpeter-Ede« indessen war Murdock stets von Nutzen gewesen, und er beabsichtigte, sich seiner bald in einer sehr bedeutenden Angelegenheit zu bedienen. Aus keinem anderen Grunde war der Rechtsanwalt genommen, der Kautionsbetrag sichergestellt und verschiedene andere Einzelheiten entsprechend arrangiert worden, bevor der Einbruch bei Edith Winthrop endgültig durchgeführt wurde.

»Meiner Ansicht nach«, fuhr der Richter nach einigem Nachdenken fort, »mögen Sie sich noch so aufrichtig darum bemüht haben, diesen einst so berüchtigten Verbrecher zu bessern und ihm zu helfen; aber das hindert schließlich nicht, daß das Objekt Ihrer Fürsorge ohne Ihr Wissen noch einmal den schmalen Pfad des Rechts verlassen hat.«

»Ich stimme selbstverständlich darin nicht mit Ihnen überein«, unterbrach ihn der Anwalt.

Der Polizeirichter erhob seine Hand. »Ich muß Sie bitten, mich ausreden zu lassen.«

»Ich bitte ergebenst um Entschuldigung.«

»Ich wollte hinzufügen, daß Ihr Klient vielleicht einer neuen und unwiderstehlichen Versuchung nachgegeben hat, bedingt durch die verführerische Nähe der Juwelen dieser Mrs. Winthrop, mit der er ja im gleichen Hause wohnte. Der Wert des gestohlenen Schmuckes übersteigt, wie ja bereits in Inspektor Raynors Protokoll kurz erwähnt, den Betrag von 200 000 Dollar laut der Versicherungspolice. Diese Summe – das müssen Sie mir zugeben – entspricht etwa einem zwanzigjährigen Verdienst Ihres Schützlings. Seine frühere verbrecherische Laufbahn kann nicht unbeachtet gelassen werden, ja, sie fällt sogar ziemlich schwer ins Gewicht. Es ist allerdings richtig, daß der gestohlene Schmuck nicht in seiner Wohnung gefunden worden ist. Aber das Gericht kann sich der Identifizierung Ihres Klienten durch Roger Warren andererseits nicht verschließen. Diese Identifizierung und nicht etwa die Tatsache seiner Vorbestrafung hat den Detektiv veranlaßt, zurückzugehen und den Gefangenen zu verhaften. Außerdem ist es der Kriminalpolizei bisher nicht gelungen, den anderweitigen Verbleib der Juwelen festzustellen. Ich würde mich an sich genötigt sehen, die Stellung einer Kaution abzulehnen. Aber unter den besonderen Umständen, die Sie angeführt haben, und besonders angesichts der Tatsache, daß er bei der Suche nach den Verbrechern der Polizei hat seine Hilfe angedeihen lassen, woraus sich ein gewisser Beweis für seine Unschuld herleiten läßt, bin ich bereit, seiner Freilassung gegen eine Kaution von 50 000 Dollar zuzustimmen.«

Chatterton konnte sich keine bessere Reklame für seine Tüchtigkeit wünschen. Der »Salpeter-Ede« wurde in seine Untersuchungszelle zurückgebracht, jedoch nur für einige wenige Minuten. Chatterton war zu klug, um die Sicherheitsleistung so ganz unmittelbar zu hinterlegen.

Inzwischen befand sich Roger Warren bereits auf seinem Wege zu der verabredeten Besprechung mit Inspektor Montrose und dem Chef der Polizei.


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