Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.
Vater und Tochter

Der große Raum vibrierte im Rhythmus der Orchestermusik, und König Tuts Jünger gaben sich ganz dieser neuen Quelle des Vergnügens hin. Audrey Murdock indessen vernahm von fern her die wild aufrauschenden Töne aus der lockenden Flöte des unsterblichen Pan, der nimmer fehlt im Zuge des Bacchus. Sie griff nach dem ersten besten männlichen Wesen in ihrer Nähe, und mit noch dröhnenderer Gewalt spielte die Kapelle einen neuen schwungvollen Jazz. Der Zufall wollte es, daß Harry Gregory der Auserwählte war. Gregory war auf den Zufall gefaßt wie immer, wenn Audrey in der Nähe war. Das junge Mädchen tanzte mit halbgeschlossenen Augen und war sich kaum bewußt, mit wem. Ihre verführerischen Lippen teilten sich in seligem Lächeln, und sie warf den Kopf zurück in den Nacken. Gregorys Gesicht verbarg seine wahren Gedanken, aber er schaute sie zärtlich lauernd an wie eine Schlange, die den Vogel im eigenen Nest gekirrt hat.

König Tut und Aphrodite glitten vorüber. Als Edith Winthrop Audrey in Gregorys Armen sah, blitzten ihre Augen in einem fast noch grüneren Schimmer als der »falsche« Nilstrom zu ihren Füßen. Sie hatte einen giftigen Haß auf Audrey geworfen, weil sie Gregorys Zuneigung für das junge Mädchen und seine Mißachtung ihrer eigenen nur schlecht verhüllten Vorliebe für ihn fühlte.

Edith empfand Freddy Carringtons fünfzehnte Liebeserklärung und seinen ebensooft wiederholten Vorschlag, sie heiraten zu wollen, noch schaler als den Trunk aus Lethes Märchenquell. Sie glich einer Viper in ihrer halbblinden Bereitschaft, ihre schillernde Hülle abzustreifen und sich mit tödlichem Zahn in den Feind zu verbeißen. Am liebsten hätte sie Audrey zwischen die hellen Schultern gestochen, aber ihr berauschter Partner wirbelte sie, ohne Ahnung von ihren tollen Gedanken, außer Reichweite.

»Edith, ich l–liebe dich m–mehr – hup – als alles in der Welt!« sagte er.

»Freddy, du bist ja betrunken,« erwiderte sie kalt.

»W–weiß ich. K–keine F–flasche N–nektar – hup – kann einen Mann so verrückt m–machen, wie deine Augen, d–deine Lippen, deine – hup – ich bin betrunken, na schön. Aber nicht vom Schnaps allein. Ich bin – hup – hin bin ich, seit ich dich kenne!« beteuerte er.

»Warum sagst du das nicht lieber Audrey? Nüchtern oder betrunken, dir ist alles gleich«, stichelte Edith.

»Ich w–wünschte, dir auch«, sagte er weinerlich. »Was geht mich Audrey an? Ein netter Kerl – hup – mehr nicht.« Ein schlauer Gedanke durchzuckte sein Kinderhirn. »M–mir scheint, Gregory ist wild auf Audrey, und sie auf ihn, sch–scheint mir. Gar nicht so dumm – hup – Papas Kompagnon heiraten – hup – Geld in der F–familie lassen, was?«

*

James Murdock tat nicht mit bei der Gesellschaft, obwohl er im Hause war. Er saß in seinem Bibliothekszimmer im ersten Stock über Geschäftspapieren, die sich auf seine Seidenfirma bezogen.

Das Seidengeschäft war heftig emporgewogt, als während des Weltkrieges die Preise ihren Gipfel erreicht hatten, war wieder in die tiefsten Tiefen hinabgestürzt, als nach dem Waffenstillstand die Nachfrage stockte, und hatte gerade eine neue Höhe erklommen infolge der ersten Nachrichten von der Erdbebenkatastrophe in Japan.

Murdock war bekümmert. Er war eine große, kernige Erscheinung, aber undurchschaubar bei allem kurz und bündigen Wesen. Sein Gesicht verriet zum Glück keinen seiner Gedanken. Niemand außer ihm selbst wußte von der kritischen Lage seiner Geschäfte. Audrey vertraute er sich niemals an. Erstens war sie viel zu jung, und zweitens war sie zu sehr in dem Luxus aufgewachsen, wie er einem Manne von Murdocks geschäftlichen Fähigkeiten, Weitblick und geradezu unbarmherzigem Zielbewußtsein anstand. Murdock brauchte Menschen und Dinge je nach den Erfordernissen des Geschäftes. Er knetete sie zurecht nach seinem Willen. Soweit es das Geschäft betraf, kannte er keine Skrupel. Mit Audrey war es etwas anderes. Seine kühle und harte Natur verwandelte sich ganz seltsam in ihr Gegenteil, sobald seine einzige Tochter in Frage kam. Zu jeder Stunde stand er ihr ergebenst zu Diensten.

Aber an diesem Abend war Audreys Vater durchaus nicht in der richtigen Stimmung für die ungebundene Ausgelassenheit, die nun einmal zu ihrer Gesellschaft gehörte, wenn sie ihn auch gern dabei gehabt hätte. Mit einem entzückenden Naserümpfen hatte sie ihm bedeutet, er wäre auch nichts Besseres als alle die anderen »müden« Geschäftsleute. Aber Murdock war durchaus nicht müde. Er hatte seine Nöte. Die Lage des Seidenmarktes hatte ihn ins Schwanken gebracht, obwohl er dank einer Reihe geschickter Geschäftsmanipulationen von allerdings zweifelhaftem Charakter bisher obenauf gewesen war.

Prunkvoll in die Erscheinung zu treten, war Teil seines Lebens, und wenn sein verhärteter Charakter einen versöhnlichen Zug aufwies, so war es seine grenzenlose Liebe zu seiner Tochter, sein Stolz auf sie und damit seine Abneigung, auf irgendein Mittel zu verzichten, das eine in unmittelbarer Nähe lauernde Katastrophe aufzuhalten imstande war.

Sein ganzes Vermögen stand auf dem Spiel. Das Erdbeben in Japan hatte ihn schwer betroffen. Er hatte sich stark engagiert in Terminspekulationen auf eine stattliche Anzahl Ballen »Universal«, eines weißen Seidenfabrikates, das ausschließlich im fernen Japan produziert und per Ballen nach den Vereinigten Staaten verschifft wurde.

»Universal« war mehr als zehn Dollar pro Pfund über den Preis gestiegen, für den er verkauft hatte. Er hatte im Vertrauen auf die allgemeine Marktlage auf Baisse spekuliert. Das Erdbeben in Japan mußte ihn ruinieren, wenn er die Seide nicht bekam. So viel war ihm klar.

Aber das wäre noch nicht das Schlimmste gewesen. Seine Geschäftsmethoden waren genau so verwickelt und schwer durchschaubar und nicht minder voller Heimlichkeiten wie sein persönlicher Charakter. Es gab eine Reihe Punkte in seinen kühnen und glänzend aufgebauten Unternehmungen, es gab Punkte in seiner so erfolggekrönten Laufbahn, die einer näheren Untersuchung nicht standgehalten hätten. Wenn es erst einmal zu einem Prozesse wegen der Nichtlieferung der Ballen »Universal« kam, der mehr als wahrscheinlich zu einer gerichtlichen Beschlagnahme seines Bankkontos führen konnte – was um so leichter möglich war, als seine Firma ihren Sitz nicht im Staate New York hatte –, dann war guter Rat teuer, verteufelt teuer.

Er griff nach einem Brief von der betreffenden Firma, mit der er seinen Terminvertrag abgeschlossen hatte. Er war sehr höflich gehalten, aber Murdock fühlte doch die Entschiedenheit des ganzen Tones. Es galt Vorsicht. Murdock mußte sein Spiel aus der Mittelhand spielen.

Wenn er auf den Markt trat, um das nötige Quantum Seide zu kaufen, was für ihn einen ungeheuren Geldverlust bedeuten mußte, so war damit nichts gewonnen, denn er würde sich allerhöchstens einige wenige Ballen sichern können. Er würde im Gegenteil durch seine Gebote den Preis nur unsinnig in die Höhe treiben und dadurch seinen völligen Ruin herbeiführen.

Er überlas den Brief noch einmal. Dann nahm er den Durchschlag seiner Antwort zur Hand, die er am Nachmittag in seinem Bureau diktiert hatte:

»Infolge der kürzlichen Katastrophe in Japan ist eine Verzögerung in der Verschiffung von Universal unvermeidlich geworden. Voraussichtlich wird die Ware jedoch zur Zeit eintreffen, da sie bereits vor dem Erdbeben unser Lager in Tokio verlassen hat. Wir erlauben uns, Ihnen mitzuteilen, daß die Lieferung auf den Weg gebracht ist.«

In diesen Zeilen dokumentierte sich der ganze Scharfsinn, dem James Murdock seine hervorragende Bedeutung in Amerikas größter Stadt verdankte, die ihm unbegrenztes Vertrauen, unumschränkte Kredite gebracht und die ihm den ängstlichen Neid seiner konservativeren Konkurrenz eingetragen hatte. Er packte zu. Er gewann.

*

Der Lärm, der von unten her zu ihm herauftönte, gemahnte ihn daran, daß er mit Gregory sprechen mußte, bevor er das Haus verlassen würde. Gregory war zuverlässig. Wenn er auch trank, er verlor nie den Kopf dabei. Immerhin, es schien ihm selbst für Audrey etwas zu wild zuzugehen. Also beschloß er, Gregory selbst zu rufen, ehe es noch wilder wurde.

Also erhob er sich, verließ sein Bibliothekszimmer, schritt durch die Treppenhalle und stieg die Stufen zu dem Balkon hinunter, von dem er das improvisierte ägyptische Gelände übersehen konnte. Er suchte unter den kostümierten Gästen nach seinem Kompagnon.

Dies geschah in demselben Augenblick, in dem Gregory Audrey zuflüsterte: »Laß mich dein Mark Anton sein, Kleopatra! Ich wüßte nichts in aller Welt, was ich lieber wäre.«

Seine Worte zerrissen den Zauber, der sie ergriffen hatte. Sie schlug die Augen weit aus, und durch ihr halb hypnotisiertes Gehirn schoß ein Gedanke, der ihr förmlich übel machte. Gregorys sanfte Worte enthielten einen Vorschlag, der sich eigentlich schwer vereinbaren ließ mit seiner sonst so taktvollen Ehrerbietigkeit. Etwas Lauerndes funkelte in seinen allzu flackernden Augen.

Audrey war bei all ihren Launen keine Kleopatra. Sie entzog sich seiner Umarmung mit einem gelenkigen Ruck, auf den er absolut nicht vorbereitet war. Ihre vom Vater ererbte Sicherheit und Schlagfertigkeit verschmolz sich mit den Eingebungen ihres Geschlechtes. Sie lachte laut auf.

»Sie wollen den Mark Anton spielen im Kostüm Lord Carnarvons? Das hätten Sie sich eher überlegen müssen.«

Da begegnete ihr Blick dem ihres Vaters, und sie eilte die Treppe hinauf zu ihm. Die Abgespanntheit seines Ausdrucks traf sie wie ein schwerer Vorwurf, und ihr Leichtsinn war dahin.


 << zurück weiter >>