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29.
Im Höllenschlund

So schwer Audrey Murdock der lähmende Schlag der plötzlichen Verhaftung getroffen hatte, so sehr ihre Sinne durch Inspektor Montroses Fragen verwirrt worden waren, sie erholte sich doch auf der einsamen Fahrt zum Gefängnis und überwand ihre völlige Hoffnungslosigkeit. Unter dem Glanz des jungen Mondes verlor selbst der Polizeiwagen, dem sie entstieg, einen Teil seines Schreckens. Das milde Licht, in das der Gefängnishof, die Türme und Gitterfenster getaucht waren, strömte eine so wohltuende Ruhe aus, daß auch die Spannung ihrer Nerven nachließ.

Die Ergebenheit, mit der sie das Gefängnisportal durchschritt, war nicht zuletzt ein Widerschein dieses neu empfangenen Ruhegefühls. Und doch war es gerade ihre Stille, um derentwillen man sie jetzt wieder verkannte. Sie erschien als die hartgesottene Verbrecherin, deren äußeres Gehabe nur allzu gut zu der steinernen und stählernen Verschlossenheit des Gefängnisses paßte.

Die diensthabende Wärterin nahm sie in Empfang und musterte sie mit einem Blick auf ihr Abendkleid nicht anders, als sie irgendeine »Schönheit« des New-Yorker Nachtlebens gemustert hätte. Audrey war für sie weiter nichts als eine neue weibliche Gefangene. Woher sollte sie auch ahnen, daß Audrey ihren Einzug in das Gefängnis nur der Rettung vor Haha-Benny Smarts mörderischem Attentat verdankte?

Audrey Murdock war sich kaum bewußt geworden, daß sie eine Weile auf die Wärterin hatte warten müssen, sie sah kaum die Blicke der Gefängnisbeamten in ihren Uniformen mit den blanken Knöpfen. Sie hörte wohl sprechen, aber die Worte glitten unverstanden an ihrem Ohr vorüber.

Sie sah, wie ein Schein unterschrieben und dem Beamten zurückgegeben wurde, der sie von der Polizeistation hierher begleitet hatte. Sie sah auch, daß der gleiche Mann, der den Schein unterzeichnete, etwas in ein Buch eintrug. Sie hörte auch das »Gute Nacht«, mit dem der Polizeibeamte das Gefängnis verließ. Dann wurde sie von der Wärterin durch eine ganze Reihe von Gittern und Gattern hindurchgeführt, ein dichtes Stahlnetz, durch das nicht einmal eine Nähnadel hätte fallen können. Aber sie wußte nur, daß sie Raum mit Raum vertauschte.

Darauf wurde sie in ein kleines Zimmer gebracht, wo sie die Wärterin durchsuchte. Die Frau hatte geschickte Hände, die sich durch nichts täuschen ließen, aber Audrey empfand nur die mangelnde Zartheit ihrer Berührung. Die Wärterin war nicht gerade besonders höflich. Audrey mußte sich zum größten Teil entkleiden und sogar ihr Haar aufmachen.

Die Säume ihres Kleides und ihrer Wäsche wurden abgetastet. Sie mußte den Mund aufmachen und kam sich vor wie ein Pferd auf dem Markt. Mit einem silbernen Instrument wurde ihre ganze Mundhöhle, unter dem Gaumen und unter der Zunge, durchsucht, ob sich nicht winzige, wasserdichte Packungen Kokain fänden.

Die Wärterin war enttäuscht und untersuchte mit der Peinlichkeit eines Mikroskops die Knöpfe an Audreys Kleid, ob sie sich nicht vielleicht aufschrauben ließen und etwas von dem weißen Giftpulver enthielten. Auch die Spitzen ihrer Schuhe wurden nachgesehen.

Als diese Prüfung vorüber und Audrey wieder fertig angekleidet war, gab ihr die Wärterin einen Wink und führte sie in einen nur spärlich erhellten Gang. Auf einen Klingeldruck hin klirrte eine Tür und rasselte ein Schloß. Eine zweite Wärterin erschien. Auf ihr Geheiß folgte Audrey ihr eine eiserne Treppe hinaus.

»Mörder-Abteilung«, hatte die Frau geäußert, die Audrey zuerst »betreut« hatte.

»Dann muß ich sie mit der Guste aus Cincinnati zusammensperren«, hatte die andere erwidert. »In die leeren Zellen haben sie mir lauter Kokser und so 'ne Bande 'reingestopft.«

Die Düfte, die Audrey entgegenströmten, gehörten nicht zu den Wohlgerüchen Arabiens. Die Desinfektionsmittel der Gefängnisse pflegen nicht aus Rosenblüten destilliert zu werden. Formalin und Karbol mischten sich mit den Ausdünstungen so vieler Körper in demselben engen Raum, dessen Ventilationsproblem das beste Architektengehirn nicht hätte lösen können.

Als die Wärterin an der eisenvergitterten Tür der Zelle stehenblieb, die Audrey mit der »Guste« teilen sollte, stockte dem jungen Mädchen das Herz.

Die »Guste« war eine fette, grobschlächtige Person mit einem Gesicht, das, bar des gewohnten Anstrichs von Puder und Schminke, runzelig war wie das einer Hexe vom Blocksberg. Sie lag auf ihrer Pritsche wie eine zusammengekauerte Wildkatze und schoß feindselige Blicke nach der Tür hin.

»Was ist denn das für ein neuer Fisch?« fragte sie lauernd.

»Die ›Haken-Mary‹«, gab die Wärterin kurz zur Antwort. »Benimm dich, ›Guste‹ oder du kriegst es mit dem Aufseher zu tun, verstanden? Und jetzt 'rein mit dir!« rief sie der verschreckten Audrey zu.

Es blieb Audrey Murdock keine Wahl. Sie raffte all ihre wankende Kraft zusammen und trat in die Zelle. Die Gittertür schloß sich mit einem harten Klang. Eine Flut von Schimpfworten und üblen Redensarten kam von der anliegenden Zelle. Audrey erschauerte und sank auf die Kante des Bettes, auf dem die »Guste« lag. Sie hatte das Gefühl, als ob sie niemals würde wieder aufstehen können. Wie um die Worte abzuwehren, schlug sie die Hände vor die Ohren.

»Ich drehe dir den Hals rum, wenn du deine Schimpferei nicht einstellst«, drohte die Wärterin der Gefangenen nebenan.

»Dreh' deiner Großmutter den Hals 'rum, wenn du Lust hast«, lautete die Antwort. »Wenn du dir einfallen läßt, die Tür hier aufzumachen, mache ich aus deinem Gehirn einen Eierkuchen und geb' ihm dem Kücken da drin zu fressen.«

Audrey wurde in ihrer Zelle nicht gerade mit einem Überfluß an Freundlichkeit empfangen. »Willste vielleicht von meinen Füßen 'runter, du Schnuckelpuppe, du?« knurrte die »Guste«. »Wo haste denn deine Manieren, he?«

Audrey erhob sich und murmelte eine Entschuldigung.

»Laß dir bloß nicht einfallen, auf meinem Gesicht 'rumzutrampeln, wenn du nachher in dein Bett 'raufkriechst, oder ich pflanze dir ein paar Falten in deine Seitenvisage, verstanden?« räsonierte die »Guste« weiter. »Also ›Haken-Mary‹, oder wie heißte? Denkste vielleicht, du kannst dich an mir festhaken oder dich mit mir 'rumhäkeln, was? Wo denkste denn, daß du bist, he?«

Der Stolz, mit dem man der ärgsten Marterqualen Herr wird, gab Audrey die Kraft stillzuschweigen. Die »Guste« holte von irgendwoher eine Zigarette und steckte sie sich an. Sie rauchte mit weniger Grazie, als sie Audrey von ihren Freundinnen gewöhnt war. Zwischen den Rauchwolken hindurch blinzelte sie die elegante Gestalt ihrer gramerfüllten Zellgenossin an.

Die »Guste« war einst die Königin mancher Gelage gewesen. Aber der viele Wein hatte sie aufgedunsen gemacht und schlaff. Die schlanken, verführerischen Linien ihres Körpers, die vorzeiten ihre Kumpane an sie gelockt hatten, waren kaum mehr zu ahnen. Ihr Hals war knochig und knorpelig wie der Hals eines Geiers. Auf ihren Lippen lag ein zynisches Lächeln, halb frech und doch halb neidisch, das nicht wich.

»›Haken-Mary‹«, wiederholte sie, »du brauchst nicht die ganze Nacht hier herumzuständern, mein Hühnchen. Mach' dir nur hübsch dein Bettchen oben los und kriech in die Falle. Wen haste denn abgestochen? Und wer ist denn dein Rechtsanwalt?«

»Ich verstehe nicht«, sagte Audrey mit schwacher Stimme. »Wo ist denn mein Bett? Ich kann nicht mehr stehen. Mein Gott, ich glaube, ich werde ohnmächtig.«

»Das spar' dir nur hübsch auf. Das kannste vor Gericht besser brauchen, mein Süßes. Wenn der Trick man bloß nicht so alt wäre, dann könntest du dir damit die ganzen Geschworenen angeln. Haste deinen Schatz umgebracht?«

Audrey preßte die Hände vor die Stirn. »Nein, nein,« sagte sie, als ob sie sich eine Frage beantwortete, vor die sie sich zum ersten Male gestellt sah, »umgekehrt, im Gegenteil, er hat mich getötet.«

Die »Guste« wollte sich ausschütten vor Lachen. Ihr Busen wogte auf und nieder.

»Fabelhaft, fabelhaft! Mach' das nur genau so, wenn dich die Bratenröcke fragen, wie die Geschichte gewesen ist. Wenn's alte Knacker sind, biste 'raus. Das sollte ich sein, und ich hätt's geschafft. Das laß dir sagen. Hätte ich mich bloß nicht mit meinem O-beinigen Fritzen eingelassen, dann hätten sie mich auch nich gekriegt. Aber das Schwein hatte den Zimt, verstehste. Tadellose Pinke und Scheine, so glatt und frisch wie du, mein Täubchen.«

Sie weidete sich förmlich an den qualvollen Blicken der neuen Gefangenen. Audrey war zu angewidert, um antworten zu können. Von der anliegenden Zelle kam wieder die krächzende Stimme von vorhin und durchschauerte sie von neuem.

»He, ›Guste‹, wen haste denn 'reingekriegt?«

»'nen Engel, mein Schatz! Das hättste dir nicht träumen lassen, daß unser Herr Wirt uns beide dieselbe Stube vermieten würde fürs selbe Geld!«

Dieser grobe Witz war gefolgt von einem wiehernden Gelächter, das von Zelle zu Zelle weiterlief und erst allmählich erstarb.

Ein Entsetzen löste das andere ab. Audrey wußte nicht wie, aber sie fand sich doch in das obere Bett und wickelte sich elend und verzweifelt in ihre Decke. Wüste Zoten, gemeine Fragen und noch gemeinere Antworten, ekle Zweideutigkeiten und schmutzige Anspielungen riefen ein Gelächter hervor, das in den Zellengängen widerhallte, und das nur dann und wann unterbrochen wurde von gellenden Schmerzensschreien, wenn die eine oder andere der Gefangenen qualvoll nach dem Kokain rief, das man ihr abgenommen hatte.


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