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36.
»Schaum-Schmul« und seine Klientel

Roger begab sich in aller Eile zum Polizeiarzt und ließ sich seine Kopfwunde untersuchen und verbinden. Dann stärkte er sich rasch für die Strapazen, die ihm der bevorstehende Vormittag bringen sollte. Um dreiviertel neun war er bereits wieder in der Wohnung des »Salpeter-Ede«. Er durchsuchte die Räume, es hatte sich nichts verändert bis auf eine einzige Kleinigkeit. Auf dem Waschtisch hatte sich vordem ein blaues Stück Seife befunden. Jetzt lag dort ein weißes Stück. Ein Dienstmädchen war ganz zweifellos noch nicht dagewesen, um aufzuräumen.

Warren machte Inspektor Raynor, der sich bereits im Polizeigericht in der 54. Straße befand, telephonisch auf seine Entdeckung aufmerksam. Während er sich selbst dorthin begab, wurde der »Salpeter-Ede« vorgeführt. Inspektor Raynor überreichte persönlich das Protokoll, demzufolge er dem »Salpeter-Ede« die erwähnten Verbrechen zur Last legte.

Der Polizeirichter betrachtete den Gefangenen, griff nach der Strafprozeßordnung und las diejenigen Paragraphen vor, die für den hier vorliegenden Fall in Betracht kamen.

»Wünschen Sie einen Anwalt, bevor Sie sich zu dem Protokoll äußern?« fragte der Polizeirichter.

»Ja«, gab der Gefangene prompt zur Antwort.

»Haben Sie einen bestimmten Rechtsanwalt?«

»Ein Freund von mir ist Anwalt. Ich möchte ihn rufen lassen.«

»Wie ist sein Name?«

»Rechtsanwalt Salomon Chatterton«, erklärte der »Salpeter-Ede«, als ob er nicht bemerkt gehabt hätte, daß sich »Schaum-Schmul« bereits in dem gleichen Raum mit ihm befand. Mr. Chatterton befand sich gerade in einer eifrig geflüsterten Unterhaltung mit einer offenbaren Klientin am anderen Ende des Verhandlungsraumes.

Der Gerichtsschreiber rief seinen Namen auf. Schaum-Schmul trat an die Schranke, sah erst auf den Polizeirichter und dann auf den Gefangenen. In seinem Gesicht zeigte sich eine gewisse Überraschung. Aber im nächsten Augenblick schritt er auf den »Salpeter-Ede« zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. Der Richter runzelte die Stirn. Mr. Chatterton bemerkte es und war höchst befriedigt. Nachdem man ihn informiert hatte, was gegen seinen Klienten vorlag, ersuchte er um die Erlaubnis, sich vorerst mit ihm zu besprechen. Die beiden zogen sich zurück, und inzwischen wurde der nächste »Fall« aufgerufen und erledigt.

Alsdann erschien Mr. Chatterton und erbat das Protokoll, auf Grund dessen der Verhaftsbefehl zu Recht bestehen sollte. Es wurde ihm ausgehändigt. Er studierte es mit größter Sorgfalt. Er war ein guter Rechtsanwalt, manchmal zu gut, die Virtuosität seiner Verteidigungen war schon mehr als gerissen.

»Ich bin bereit«, erklärte Chatterton nach einer nochmaligen genauen Prüfung des Raynorschen Protokolls. Sein Klient trat vor.

Währenddessen waren bereits je zwei außerordentlich tüchtige Detektive per Automobil auf dem Wege zu dem Bureau und zur Privatwohnung des Rechtsanwaltes.

»Liegen noch weitere eidliche Aussagen vor,« begann Chatterton mit gewohntem Geschick, »dann möchte ich darum bitten.«

»Nein, nur dieses Protokoll«, erwiderte der Richter.

»Bevor mein Klient seine Verteidigung aufnimmt, möchte ich freundlichst darum ersuchen, daß der Belastungszeuge Raynor unter Eid genommen wird. Das Protokoll beruht ausschließlich auf Mitteilungen von Dritten und gutgläubigen Aussagen. Nach den Entscheidungen der höheren Gerichte bedürfen derartige Aussagen, was ich wohl als bekannt voraussetzen darf, der eidlichen Versicherung.«

Also wurde Inspektor Raynor vereidigt. Er erklärte, daß er das Protokoll aufgesetzt habe.

»Auf Grund welcher Kenntnisse?« fragte der Anwalt. »Wie mein Klient erklärt, waren Sie selbst bei seiner Verhaftung nicht anwesend?«

»Auf Grund der Feststellungen und Erklärungen, die mir Detektiv Warren gemacht hat.«

»Das ist alles?« fuhr Chatterton auf. »Ich beantrage, daß mein Klient auf freien Fuß gesetzt wird, da seine Verhaftung ungesetzlich erfolgt ist. Das Protokoll hätte von Warren aufgesetzt werden müssen. Zum mindesten hätte das Raynorsche Protokoll durch ihn eine Ergänzung zu erfahren gehabt. Wenn Müller schwört, daß Schulze ihm erzählt hat, daß Schmidt ein Verbrecher ist, so ist das noch lange kein ausreichender Grund dafür, daß man Schmidt verhaftet. Im Gegenteil, das Gesetz sieht vor, daß er aus diesem Grunde nicht verhaftet werden darf.«

Chatterton hatte recht. Das Gesetz lautete entsprechend. Die Polizei war sich dessen auch wohl bewußt. Aber es war notwendig, daß Rechtsanwalt Chatterton für einige Minuten länger beschäftigt und aufgehalten wurde, damit die Detektive in seinem Bureau und in seiner Privatwohnung Zeit gewannen.

Im Hintergrund des Gerichtssaales stand ein ziemlich schlanker, gutgekleideter Mann mit ein paar Augen, denen nichts entging. Es war derselbe Mann, der nicht von seinem Posten gewichen war, bis er gesehen hatte, daß der »Salpeter-Ede« tatsächlich verhaftet worden war. Es war derselbe Mann, der vor dem Winthropschen Hause gewartet hatte, bis Raynor nach geraumer Zeit seine Leute abberufen hatte, und der inzwischen auch dem Anwalt die Kunde, daß der »Salpeter-Ede« in der dicken Tinte saß, nach Hause telephoniert hatte.

Auf Rechtsanwalt Chattertons erste Bemerkungen hin verließ dieser Mann still und unbemerkt den Saal und begab sich zu der Wohnung des Anwalts. Gleiches tat Harry Gregory. Er kam im Auto von seiner Privatwohnung.

Der Mann, der eben den Gerichtssaal verlassen hatte, war auch derselbe, der inzwischen in der Wohnung des »Salpeter-Ede« gewesen war. Er hatte die Schlüssel dazu. Obwohl die eingetrümmerte Haupttür offen stand, hatte er sich durch die hintere Tür hineinbegeben, war in das Badezimmer gegangen, hatte ein blaues Stück Seife in seiner Tasche verschwinden lassen und es durch ein Stück weißer Seife ersetzt, war wieder gegangen und hatte sich in seine Erdgeschoßwohnung begeben, die der Polizeistation in der 68. Straße gerade gegenüber lag. All dies war etwa zwei Stunden vor dem Erscheinen des »Salpeter-Ede« vor dem Polizeirichter geschehen.

Der Mann achtete jetzt mit aller Vorsicht darauf, daß er nicht beobachtet und verfolgt wurde. Es lag kein Grund dafür vor. Niemand war in Sicht, als er zur Untergrundbahn hinabtauchte, und niemand bestieg auch nach ihm den Zug.

Am Riverside Drive, der großen Straße am Hudson, begab er sich unbehindert in das Haus und in die Etage Salomon Chattertons. Er hatte auch dafür Doppelschlüssel. Fünf Minuten später klingelte es, und Harry Gregory fand Einlaß. Die beiden besprachen sich. Inzwischen hatten sich die beiden Detektive durch eine hintere Tür Eingang verschafft und nahmen die beiden fest.

Der Mann mit dem blauen Stück Seife in der Tasche ließ sich, mit der gleichen Ergebenheit wie Gregory, die Handschellen anlegen. Sie waren beide zu sehr überrascht, um an Widerstand zu denken. Sie wurden zur Polizei gebracht. Gregory bekam die Zelle neben dem Fahrstuhlführer, der wegen des Angriffs auf Warren festgesetzt war. Es war ein Trick der Polizei. Der Gefangene indessen kannte Gregory nicht. James Murdock hatte, genial wie er war, besonderen Wert gerade darauf gelegt. Also unterhielten sich die beiden nicht miteinander.

In der Zwischenzeit hatte Warren den Zeugenstand im Polizeigericht betreten. Er erklärte, daß er den »Salpeter-Ede« an seinem Rücken wiedererkannt hätte. Er schilderte, wie er ihm »Hände hoch!« befohlen gehabt hätte, und was dann erfolgt war.

Rechtsanwalt Chatterton nahm Warren unter ein unerbittliches Kreuzverhör. Er legte besonderes Gewicht auf die Tatsache, daß Warren erst eine volle Stunde, nachdem er niedergeschlagen worden war, seinen Klienten verhaftet hätte.

»Sie selbst erklären, daß er nicht nur die Haupttür, sondern sogar die hintere Tür seiner Wohnung geöffnet hat. Ich denke, das war, genau so wie sein Horchen, nur eine ganz natürliche Handlungsweise nach allem, was sich in und außerhalb seiner Wohnung vorher abgespielt hatte, nicht wahr?«

»Sie haben vollkommen recht, Herr Rechtsanwalt«, erwiderte Warren sarkastisch.


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