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46.
Ein Hiobsbote

Murdock und Gregory hatten sofort das Gefühl, daß Micky mit der Kunde von unangenehmen Zwischenfällen, wenn nicht gar von einer Katastrophe, erschien. Das Verbrechertum hat seine eigenen Fallgesetze in den Kompendien seiner Wissenschaft. Der »Masken-Micky« schien bedrückt von der Last seiner Kenntnisse. Das gewohnte elegante Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden.

»Mr. Murdock!« begann er.

»Jawohl, das bin ich!« gab ihm der stattliche Herr mit förmlicher Höflichkeit zur Antwort, nicht ohne einen Seitenblick auf die Stenotypistin im Bureau der chemischen Fabrik zu werfen.

Mickys Hochspannung schien nachzulassen.

»Ich bin Mr. Le Mar aus New York,« erklärte er nicht minder förmlich, »ich habe Sie verschiedene Male telephonisch zu erreichen versucht. In einem Ihrer Bureaus erfuhr ich, daß ich Sie vielleicht hier telephonisch erreichen könnte. Aber da ich gern ein paar Worte persönlich mit Ihnen gesprochen hätte, habe ich es vorgezogen, selbst herzukommen.«

»Darf ich vorstellen: Mr. Gregory, mein Kompagnon in meiner Seidenfirma«, erklärte Murdock hochtrabend. Seine beiden Adjutanten wechselten die üblichen Begrüßungsformeln, wie sie Fremde bei ihrer ersten Begegnung zu wechseln pflegen.

Die junge Dame in dem Bureau bewegte sich in ewiger Unruhe. Sie legte ihre Ärmelschützer beiseite, schloß ihr Pult ab, ging zur Uhr. Murdock lächelte ihr zu.

»Wenn die Tür vorn ein Klappschloß hat,« sagte er, »will ich Sie nicht aufhalten. Ich habe nur ein paar Worte mit dem Herrn hier zu sprechen, dann gehe ich auch.«

»Vielen Dank! Mr. Marks hat mir nämlich erlaubt, daß ich heute eine Stunde eher gehen dürfte. Und wenn ich die nächste Bahn verpasse, muß ich eine volle halbe Stunde warten.«

Sie ging, und Murdock wandte sich an Micky.

»Vielleicht benimmst du dich in Gegenwart von Fremden ein wenig vorsichtiger. Niemand setzt voraus, daß ich dich kenne. Vorhin hättest du die Sache beinahe verpatzt. Also, was gibt's?«

»Eine Unmasse«, erwiderte Micky kurz. »Wir haben rasch zu denken und noch rascher zu handeln. Weißt du übrigens bereits, daß gestern abend bei mir im Vorraum des Klubs von Roger Warren deine Tochter verhaftet worden ist, und zwar als die ›Haken-Mary‹? Daß er sie zur Polizei und zum Gefängnis hat bringen lassen wegen Mordverdachtes?«

Murdocks Gelassenheit war vorüber. Er mußte sich an dem Pult halten, um nicht zu fallen. Diese Worte dröhnten gewaltiger in sein Ohr als jener Schuß in seinem Bibliothekzimmer, mit dem er von Gusset getroffen worden zu sein geglaubt hatte.

Erst allmählich raffte er sich wieder zusammen.

»Nein, das ist mir neu. Wo bist du in der Zeit gewesen?«

»Ich war nicht da, als die Geschichte passiert ist. Ich war drüben, um mich zu vergewissern, daß Brownie Joe und Ede freie Bahn in der Winthrop-Sache hatten. Harry hatte mir telephonisch mitgeteilt, daß die gnädige Frau mit ihm in den Klub kommen würde. Die Jungens waren glatt bei der Arbeit. Brownie Joe stand unten in der Halle Schmiere. Kein Schutzmann und so war zu sehen.«

»Und wie du zurückkamst, hat da keiner was gesagt?« Murdocks Frage entsprach ganz der finsteren Bösartigkeit seines Gesichtsausdruckes.

»Als ich zurückkam, habe ich natürlich erst mal sicher machen wollen, ob die Winthrop auch mit Harry gekommen war. Ich ging an ihren Tisch und trank ein Glas mit ihnen. Dann kam der Oberkellner und sagte mir, im Vorraum wäre jemand verhaftet worden. Er sagte, es hätte sich um eine alte Verbrecherin, die ›Haken-Mary‹, gehandelt. Du kannst dir doch denken, daß ich sonst binnen einer Stunde mit Chatterton bei der Polizei gewesen wäre.«

Murdock war etwas besänftigt. Er wußte, daß sich Micky lieber in Lebensgefahr begeben hätte, als ihm mit solchen Nachrichten kommen zu müssen.

»Die Morgenblätter haben ja auch bestätigt, daß die ›Haken-Mary‹ erwischt worden ist,« fuhr Micky eilig fort, »die eine Zeitung hat doch sogar ein Bild von ihr gebracht. Aber jetzt: wie bin ich darauf gekommen, daß die Verhaftete deine Tochter gewesen ist, Murdock? Denn daß die unter Marys Namen verhaftet werden könnte, hättest selbst du dir nicht träumen lassen, was? Na, ich habe auch erst vor anderthalb Stunden Wind davon gekriegt. Und seitdem versuche ich dich zu erwischen.«

»Wer hat es dir gesagt?« fragte Murdock.

»Haha-Benny Smart.« Micky gab in kurzen Strichen die Erzählung Bennys wieder und fügte hinzu: »Irgend etwas scheint mir faul mit dem Benny. Benny behauptet, er hätte den Warren nachher wieder getroffen. Warren wüßte überhaupt nicht, wer die richtige ›Haken-Mary‹ wäre. Er hätte sie nie in seinem Leben gesehen, und deine Tochter ebensowenig. Aber das muß Quatsch sein. Denn er muß sie doch in der Nacht neulich bei dir getroffen haben.«

Murdock nickte. »Aber was weiter? Wo ist Audrey jetzt?«

»Das weiß ich nicht. Ich dachte, du würdest es 'rauskriegen. Deshalb bin ich hierher.«

»Einen Augenblick, Micky«, sagte Murdock und hob den Hörer vom Telephon. Er rief in seinem Landhaus an. Die beiden anderen konnten Audreys Stimme hören. Sie kam sofort an den Apparat.

»Bist du's, Audrey?« fragte Murdock.

»Ja, Papa. Daß ich endlich wieder deine Stimme höre. Du bist ja eine Ewigkeit fortgeblieben.«

»Erzähl' mir mal, Kleines, was gestern abend im Klub Versailles los gewesen ist, ja? Hat dich Warren verhaften lassen, unter einem anderen Namen, und bist du tatsächlich wegen Mordes zur Polizei gebracht worden?«

»Er hat mich extra gebeten, dir nichts zu erzählen, bevor er dich nicht selber gesprochen hat. Sein Chef hat ihm gesagt, daß er dir alles erklären dürfte.«

»Wo ist denn Warren jetzt?«

»Hier draußen. Er schläft fest. Er ist die ganze Nacht im Dienst gewesen. Verwundet ist er auch worden. Ich habe gerade seine Mutter angerufen, damit sie sich nicht aufregen soll. Er muß nämlich wirklich erst ein bißchen schlafen. Heute abend hat er wieder zu tun. Er muß zwischen zehn und halb elf in der Stadt zurück sein.«

»Dir geht's also wirklich gut? Hat man dich irgendwie schlecht behandelt?« Murdocks Stimme klang brüchig.

»Ach Gott, nein. Roger war nicht da, und bis er kam und mich holte, waren ein paar von den Beamten ziemlich scharf mit ihren Fragereien. Aber es war alles nur ein Mißverständnis, Papa. Roger wird dir schon die Geschichte erklären.«

»Weswegen haben sie dich denn ausgefragt?« Der Schweiß rann ihm über die Stirn. Sein Atem keuchte. Wenn man ihn bei lebendigem Leibe geröstet hätte, hätte Murdock allen Polizeibeamten ins Gesicht gelacht; aber der Gedanke, daß seine Tochter auch nur in eine leise Berührung mit der Polizei gekommen war, schnürte ihm die Kehle zu.

»In der Hauptsache wegen deines Revolvers, Papa, in deinem Bureau. Ich erzähle es dir aber wirklich lieber, wenn du nach Hause kommst. Du weißt doch, der Revolver, der in deinem Schreibtisch war, in dem Schubfach, in das du das Halsband für Wachtmeister gelegt hattest.«

»Aha!« Murdock biß die Zähne zusammen. War die Kriminalpolizei hinter seiner Waffe her? Na, dann kam sie ein paar Tage zu spät, um ihm mit dieser Geschichte in die Parade zu fahren. Gregory und die ›Haken-Mary‹ konnten beide einen Eid darauf ablegen, daß sich der Revolver dauernd in seinem Schreibtisch befunden hatte. Und wenn es nötig sein sollte, würde er selber auch schwören. Zu seinem größten Glück hatte er Roger Warren in der Mordnacht ja erzählt, daß er in seinem Bureau eine Waffe hätte. Salomon Chatterton würde Warren schon den Eid dafür zuschieben, wenn er diesen Halunken erst mal im Kreuzverhör unter den Fingern haben würde.

»Wo bist du denn jetzt?« fragte Audrey.

»Ich bin drüben in New Jersey. Ich habe eine geschäftliche Besprechung mit einem Herrn. Es kann ein bißchen später werden, bis ich draußen bin. Sage doch Warren, daß ich gleich nach meiner Ankunft von Washington hätte hier 'raus müssen. Willst du? Das heißt, wenn er eher aufwacht, als ich zu Hause bin.«

»Aber natürlich, Papa.«

»Sag ihm auch, daß ich mit der Hauptpolizei heute morgen telephoniert hätte, um zu erfahren, wo er steckte. Der Polizeichef hat mir persönlich gesagt, daß Ihr beide gerade nach Long Island gefahren wäret, und daß Warren eine Bestellung von ihm für mich hätte. Richte ihm aus, daß ich ihn schon deshalb gern sprechen möchte. Wenn ich nicht draußen sein sollte, wenn er weggeht, soll er mir doch einen Zettel hinterlassen. – Also du genießt jetzt wieder deine Freiheit, Kleines?«

»Ich stehe unter Wachtmeisters Schutz! Wenn Roger weggeht, hat er mich zu beschützen«, sagte sie lachend.

»Übrigens wird Harry vor mir draußen sein«, sagte Murdock. »Er kann ja auf dich aufpassen, wenn es der Hund nicht kann. Ich muß vielleicht erst noch nach Newark. Es kann wirklich ein bißchen spät werden. Aber reg' dich bitte nicht auf, verstehst du?«

»Nein, aber komme, so rasch du kannst, ja? Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen, Geliebtes.«

Murdock wandte sich wieder zu den beiden.

»Ich habe noch mehr, Murdock,« erklärte Micky, »ich muß es von der Seele haben.«

»Na, was denn?«

»Dieser Detektiv hat deine Tochter gekannt. Aber hat er auch gewußt, daß du nicht in New York warst?«

»Ja, das hat er.«

»Dann spielt er ein doppeltes Spiel gegen dich. Ich kann mir nur denken, daß die ganze Verhaftung ein aufgelegter Schwindel war. Ich kann's ja zwar nicht wissen, aber warum hat er mit der Geschichte gewartet, bis er mit ihr im Vorraum des Klubs war. Benny behauptet, er hätte gerade mit deiner Tochter in den Saal gehen wollen. Er war in tadellosem Wichs. Und dann hat er losgelegt. Wer soll denn wen ermordet haben? Von dir weiß ich genau, daß du so was nicht machst, und von deiner Tochter ebenso. Also muß es Schwindel sein. Aber warte ab, ich fange gerade erst an.«

»Nimm dir ruhig Zeit, Micky. Ich will alles genau wissen«, sagte Murdock freundlich.

»Was jetzt kommt, hat mir richtig eins vor den Kopf gegeben. Ich habe 'rausgekriegt, daß Benny Lunte gerochen haben muß. Ich habe dir ja schon gesagt, daß mir seine Geschichte faul vorgekommen ist.«

»Das weiß ich bereits.«

»Benny muß dem Warren die Sache mit der Winthrop gesteckt haben. Das ist die einzige Erklärung, wieso er dem ›Salpeter-Ede‹ dazwischenplatzen konnte.«

Gregorys Augen leuchteten auf.

»Was habe ich dir gesagt, James!« schrie er.

»Laß doch erst Micky zu Ende erzählen, Harry. Los, weiter. Woher hat denn Benny Wind von der Winthrop-Sache bekommen? Hast du nicht dicht gehalten, Micky? Du pflegst doch sonst vertrauliche Dinge nicht so leichtsinnig zu behandeln, was? Ich habe dir die ganze Sache überlassen, das weißt du.«

Micky fluchte und schoß dann los:

»Dieses verdammte Rattenbiest hatte sich ein Loch durch die Wand gebohrt, die die Garderobe von dem Zimmer trennt, in dem ich das Ding mit Harry haarklein besprochen habe. Alles hätte ich von Benny erwartet, aber das nicht. Dazu hat man den Halunken die ganzen Jahre über Wasser gehalten. Dazu hast du und Gregory seiner Alten die Stellung bei euch verschafft! Wenn ich nicht zufällig in der Garderobe was gesucht und Bennys Mantel vom Haken genommen hätte, wäre ich überhaupt nicht darauf gekommen. Aber es war nur ein dünnes Stück Papier über die Wand geklebt. Und außerdem hat er sich noch ein Loch durch das Papier gestochen gehabt.«

Der »Masken-Micky« hielt inne. Solche »Ratte« ist für einen Geier der Nacht nicht minder gefährlich als eine Schlange für einen Singvogel. Murdock leckte sich die trockenen Lippen, und Gregory nahm das Wort:

»Micky hat recht. Benny hat es Warren gesteckt. Warren hat ›Salpeter-Ede‹ erst überrumpelt, nachdem er Audrey festgesetzt und mit Benny geredet hatte. Das ist mir restlos klar. Auf diese Weise hat auch die Winthrop Warren und Audrey auf der Hauptpolizei getroffen. Und jetzt ist mir auch klar, wieso die Kerle mich und Brownie Joe bei Chatterton erwischt haben. Warren steckt hinter der ganzen Geschichte. Er hat es den andern gesteckt.«

Mickys Gesicht zeigte eine neue Überraschung: »Das habe ich ja gar nicht gewußt, daß sie dich erwischt hatten, und Brownie Joe auch?«

»Sie haben Harry natürlich wieder laufen lassen müssen«, erklärte Murdock, der dank dem Gespräch mit seiner Tochter wenigstens etwas ruhiger geworden war. »Die Geschichte habe ich ihnen verbaut gehabt. Aber Brownie Joe ist noch nicht wieder frei. Ich muß Salomon Chatterton deswegen zu fassen kriegen. Joe ist ein zu brauchbarer Mensch, um in der Zelle zu sitzen.«

»Du nimmst den Mund reichlich voll«, entgegnete Micky. »Ich habe leider auch vorhin die Nachricht bekommen, daß Salomon Chatterton ebenfalls festgesetzt ist. Er soll dabeigewesen sein, wie ›Salpeter-Ede‹ erschossen wurde. Die Polizei war anscheinend auf Chatterton nicht gut zu sprechen, weil er Ede freigebracht hat. Er hat natürlich keine Ahnung, wer ihn erschossen hat, aber dadurch wird die Geschichte für Brownie Joe nicht günstiger. Haben sie ihn übrigens mit dem Schmuck geklappt?«

Gregory nickte und berichtete, wie er mit der Witwe zusammen bei der Identifizierung der Juwelen zugegen gewesen sei.

»Wenn ich richtig gehört habe, hat Warren eine Mitteilung vom Polizeichef für dich, nicht wahr?« fragte Micky Murdock.

»Stimmt.« Murdock schilderte den Zusammenhang.

»Die ganze Sache ist meiner Ansicht nach eine Finte von dem Polizeichef«, erklärte Micky. »Für gewöhnlich spricht er überhaupt mit niemand aus dem Publikum. Das besorgt sein Sekretär. Wenn dich der Polizeichef nicht kennt, kannst du hundert Jahre warten, bis er ans Telephon kommt. Ist deine Tochter denn wieder ganz frei?«

»Sie befindet sich unter polizeilicher Bewachung. Warren ist mit ihr draußen in Long Island.«

»Keine Frage, es ist eine Finte«, wiederholte Micky. »Ich würde mich in deiner Stelle nicht so besonders beeilen, nach draußen zu fahren. Spann' ein paar Stunden aus, bis wir die ganze Sache wieder in der Richte haben. Selbstverständlich, nach draußen mußt du trotzdem. Also die Burschen sind dir nach Washington nachgereist?«

»Aber ich habe sie aufsitzen lassen, sage ich dir. Nicht so viel haben sie gegen mich 'rausbringen können, nicht so viel!« erklärte Murdock selbstsicher.

»Davon bin ich überzeugt,« meinte Micky, »denn, wenn sie irgend etwas wüßten, dann hätten sie deine Tochter unter keinen Umständen so ohne weiteres wieder laufen lassen. Aber ich sage dir, die ganze Verhaftung war Schwindel. Ein Trick. Ich weiß zwar nicht, wie der Warren Benny Smart in die Finger bekommen hat, aber er ist ein tüchtiger Bursche.«

Gregorys Furcht vor Warren hatte sich zum wüsten Haß gewandelt. Die Tatsache, daß der junge Detektiv in dem Hause Edith Winthrops wie ein Blitz aus heiterem Himmel erschienen war, hatte ihm zu denken gegeben, und er wußte, daß er keinen Frieden finden würde, bis Warren von der Bildfläche verschwände. In seinem Blick malte sich eine giftige Rachsucht.

»Ich mache den Kerl kalt, und wenn es mein letztes Stück Arbeit auf dieser Welt sein sollte«, zischte er.

Micky lachte auf. »Das ist zu spät. Benny Smart hat schon seinen Plan für heute nacht, wenn Warren zu ihm kommt, um sich weiteres Material zu holen. Benny hat ihm gesagt, er müsse zu ihm kommen, denn er wagte sich nicht vom Fleck aus Angst, daß ich ihm die Kehle abschneiden würde.«

Micky hielt einen Augenblick inne. Auf sein aschfarbenes Gesicht trat ein leises Hohnlächeln. »Es tut mir leid, daß ich Benny Smart enttäuschen muß, aber ich werde ihn mit Kugeln an die Wand nageln lassen für seine Verräterei.« Er sagte es mit einer Selbstverständlichkeit, als ob es sich um die heilige Taufe eines Säuglings gehandelt hätte.

Gregory und Murdock wußten genug. Sie verstanden, daß der »Masken-Micky« dafür sorgen wollte, Benny Smart seinem Opfer möglichst umgehend folgen zu lassen, ja ihn, wenn es irgend anging, mit derselben Post ins Jenseits zu befördern. Die Geier der Nacht haben ein seltsam feines Empfinden für Mordpläne. Sie brauchen nicht erst ausgesprochen zu werden. Eine Andeutung genügt, um den Tod als Beschluß zu betrachten.

»Wenn nun Warren überhaupt nicht hingeht?« fragte Gregory nach einem kurzen Schweigen.

»Ich denke doch, daß er hingeht«, meinte Micky. »Außerdem ist er allein. Was Benny ihm gestern gesagt hat, war hundertprozentige Wahrheit, warum soll er da glauben, daß der zweite Schlag nicht ebensogut funktioniert? Aber um ganz sicher zu gehen, werde ich dir ein, zwei Leute nach Long Island mitgeben. Du fährst ja sowieso 'raus zum Schutz von Audrey Murdock. Wenn Warren also nicht zu Benny gehen sollte, können die beiden Jungens ja die Sache besorgen und Warrens Knochen vom Motorboot aus ins Meer werfen. Da kann er sich in Gesellschaft mit Aalen und Krebsen ausschlafen.«

Der »Masken-Micky« verfärbte sich, daß es seinem Namen alle Ehre machte. Er war kreidebleich vor Wut. Freund Hein saß den großen und kleinen Geiern hart auf den Fersen. Das Raubvolk büßte ein Mitglied nach dem anderen mit erschreckender Geschwindigkeit ein. Leonard Grove saß fest. Brownie Joe desgleichen. Harold Yates hatte das Weite gesucht. »Salpeter-Ede« und zwei andere furchtlose Genossen hatten ins Gras beißen müssen. Und sogar Salomon Chatterton, der in allen Rechtsdingen so Unentbehrliche, saß in der Falle.

Murdock äußerte sich nicht weiter, bis die drei draußen bei ihren Autos waren.

»Wenn Sie so liebenswürdig sein, Mr. Le Mar,« sagte er, »und Mr. Gregory mit nach New York zurücknehmen wollten, dann könnte ich ohne Umweg direkt nach Newark fahren. Ich habe dort eine Besprechung mit einem sehr bedeutenden Seidenmann.«

Diese letzte Bemerkung war das einzige, was Detektiv Hartley von der ganzen Konversation aus seinem Versteck heraus erwischen konnte. Als die Automobile außer Sicht waren, begab er sich in größter Eile nach New York zurück, um Inspektor Raynor darüber zu informieren, was, oder vielmehr wie wenig, er in Erfahrung zu bringen vermocht hatte.

Inspektor Raynor nickte. »Machen Sie sich jetzt mal an die Arbeit, die Straße durchzukämmen, in der der ›Salpeter-Ede‹ erschossen worden ist«, sagte er. »Vielleicht ist doch jemand zu finden, der irgendeine verdächtige Person zu der Zeit des Mordes beobachtet hat. Aber pflügen Sie die Straße durch, von einem Ende zum anderen, verstanden? Und wenn Sie jemand finden, bringen Sie ihn her zu mir. Ich muß den Mörder auftreiben.«

Detektiv Hartley begab sich ans Werk. Noch vor neun Uhr am gleichen Abend war er wenigstens eines Zeugen habhaft geworden. Es war eine ältere Frau, eine Wäscherin, die drei Stock über einem der Läden wohnte. Beim Wäscheaufhängen hatte sie einen kleinen Mann mit einem »ziemlich alten« Gesicht beobachtet, der die Straße eilig verlassen hatte. Von dem Mord hatte sie erst am späten Nachmittag etwas erfahren. »Der Mann steckte irgend etwas in seine Tasche«, fügte sie hinzu.

Die Kriminalpolizei hatte nicht die leiseste Ahnung davon, daß die Geier der Nacht Warrens Schicksal besiegelt hatten, noch daß Benny Smart wie eine Ratte im eigenen Loch den Tod finden sollte.

James Murdocks Schweigen war die Zustimmung zur Ermordung der beiden gewesen.

Er fuhr nach Newark, wo er in einem der vornehmsten Klubs aß und den Abend mit einigen Geschäftsfreunden aus der Seidenbranche verbrachte. Er sorgte wie immer für sein Alibi. Es war bereits Mitternacht, als er sein Auto vorfahren ließ, das ihn über New York nach Long Island brachte.

Aber bei aller Überlegenheit gab es doch etwas, was James Murdock noch niemals fertiggebracht hatte: er konnte kein Kamel durch ein Nadelöhr gehen lassen.


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