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48.
Zwischenspiel

Aufstehen, Mr. Warren. Es ist gleich acht. Sie möchten noch etwas Abendbrot essen, bevor Sie nach New York hineinfahren, läßt Miß Murdock sagen.«

Cobden sah dem jungen Detektiv mit listigem Blinzeln in das fast knabenhaft unschuldige Gesicht. Warren hatte seinen Revolver unter dem Kopfkissen. Er wußte, daß er sich auf Audreys und Wachtmeisters gemeinsame Wachsamkeit verlassen konnte.

Cobden schlurfte durch das Zimmer wie ein alter Zirkusclown. Er hatte die Morgenzeitungen mit großem Interesse gelesen. Aber seine Enttäuschung war noch größer gewesen. Obwohl noch nichts über eine Verhaftung des »Salpeter-Ede« berichtet wurde, hatte er doch das Gefühl, daß die Sache nicht ganz glatt abgelaufen war. Cobden hatte in seiner Rolle als Mr. Bosanquet von »Bosanquet, Barnum & Co.« des öfteren Gelegenheit gehabt, den alten, wohlerfahrenen Eduard Marks zu sehen, und er hatte eine ehrliche Bewunderung für seine Tüchtigkeit. Diese Hochachtung für den Wagemut des anderen war bei dem Urkundenfälscher nur zu verständlich.

»Gut, Cobden. Kann ich eine Dusche nehmen?« fragte Warren und streckte sich behaglich.

»Es ist alles für Sie bereit. Ich habe schon dafür gesorgt. Auch Rasierzeug ist vorhanden, wenn Sie sich rasieren wollen.«

»Das ist nett von Ihnen.« Warrens Blicke tauchten in die des alten Fälschers. Er wußte, daß er von verschiedenen Stellen ausgesucht wurde. So wenig angenehm ihm in diesem Falle auch seine Pflicht sein mochte, es blieb ihm nichts anderes übrig, als Cobden zu verhaften, sobald er Gregory dingfest gemacht haben würde.

»Ich habe auch Ihre Sachen ein bißchen ausgebügelt«, fuhr Cobden fort und legte ihm den Anzug parat. »Wer wie Sie den ganzen Tag beruflich auf den Beinen ist, hat wenig Zeit für den Schneider. Ich hoffe, Sie werden alles tadellos in Ordnung finden.«

Keine zwanzig Minuten später saß Warren Audrey bei Tisch gegenüber. Wachtmeister lag in einiger Entfernung. Der junge Detektiv aß hastig, während Murdocks Tochter ihm von ihres Vaters Anruf, seinen verschiedenen Fragen und schließlich auch von der Bitte erzählte, daß er ihm eine Nachricht zurücklassen möchte.

»Es tut mir wirklich leid, daß er noch nicht da ist,« sagte Warren aus vollster Überzeugung, »ich hätte ihm die ganze Geschichte mündlich viel leichter erklären können. In meinem Beruf muß ich nun einmal Order parieren. Aber dein Vater soll über alles orientiert werden, und wenn er will, kann er es dir ja dann auch erzählen.«

Er stand auf und sah nach der Uhr.

Audrey ging um den Tisch herum auf ihn zu. »Ist Papa in irgendeiner Gefahr?« fragte sie besorgt.

»Nicht daß ich wüßte. Hast du einen Briefbogen und ein Kuvert?«

Sie machte ihm an ihrem Schreibtisch Platz, und er schrieb:

 

Sehr geehrter Herr Murdock!

Ich habe mein Wort gehalten und Ihre Tochter beschützt. Aber ich habe ziemlich ungewöhnliche Maßregeln ergreifen müssen, um eine Lebensgefahr von ihr abzuwenden. Ich habe veranlaßt, daß man sie verhaftete – selbstverständlich unter einem anderen Namen. Aber nur auf diese Weise war es zu vermeiden, daß sie im Klub Versailles von einem im Vorraum versteckten Attentäter erschossen wurde. Der Herr Polizeichef, mein unmittelbarer Vorgesetzter, hat ihrer Freilassung unter meiner vorläufigen Bewachung zugestimmt.

Bedauerlicherweise sind Sie nicht zeitig genug nach Hause gekommen. Infolgedessen muß ich mir alle Einzelheiten aufsparen, bis ich Gelegenheit habe, Sie persönlich zu sprechen. Es wird Sie aber gewiß interessieren, zu hören, daß ich mich jetzt auf den Weg mache, den Halunken festzunehmen, der Ihre Tochter mit dem Tode bedroht hat, und der sich mit der gleichen Absicht auch gegen Ihre Person wenden dürfte, falls er nicht rechtzeitig gefaßt wird. Aus diesem beruflichen Grunde muß ich hauptsächlich nach New York zurück.

Ich hoffe, daß es Ihnen gut geht, und verbleibe
in vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener
Roger Warren.

 

Nachdem er das Kuvert sorgfältig versiegelt und an James Murdock adressiert hatte, übergab er es Audrey.

»Nicht neugierig sein,« sagte er lachend, »aber wenn dein Vater dich den Brief hinterher auch lesen lassen will, soll es mir recht sein. Sage ihm, ich hätte entsprechende Instruktionen.«

»Ich will ganz brav sein. Ach, Roger, ich lasse dich so schrecklich ungern weggehen. Muß es wirklich sein?«

»Wachtmeister wird schon für dich sorgen«, sagte er. »Komm her, Wachtmeister! Siehst du diese junge Dame hier? Ja? Also, das ist Miß Audrey Murdock, verstanden? Ich habe sie unter Arrest. Und von jetzt an hast du auf sie aufzupassen. Verstanden?«

Wachtmeister bestätigte mit einem Bellen.

Warren schrieb noch ein paar weitere Worte auf einen Zettel. Er hielt Wachtmeister den Federhalter hin und sagte: »Unterzeichne die Order!«

Wachtmeister sprang an dem Schreibtisch hoch, stellte sich auf seine Hinterpfoten und tappte mit der rechten Vordertatze auf die Feder.

»Was auch immer geschehen mag,« erklärte ihm Warren weiter, »wer auch immer dies Haus betritt, was man auch sagt oder tut, du ruhst nicht eher, als bis dieser Zettel hier gelesen ist.«

Er schrieb noch weiter und legte die Botschaft sichtbar auf Audreys Schreibtisch. Sie lautete:

 

Achtung!

Miß Andrey Murdock ist Gefangene der New Yorker Kriminalpolizei. Sie befindet sich zur Zeit auf freiem Fuß unter meiner und meines Hundes Wachtmeister Bewachung. Ich ersuche, sich danach zu richten. Mißachtung dieser Erklärung zieht die gleiche Bestrafung nach sich wie jede Beihilfe zur Gefangenenbefreiung. Der Hund ist in diesem Falle einem Polizeibeamten gleichzuachten.

Roger Warren.

 

»Achtung, Wachtmeister!« sagte Roger streng. »Wenn Mr. Murdock kommt, zeig' ihm diesen Zettel. Du darfst Miß Murdock im Haus und im Garten überall frei herumgehen lassen. Aber sie darf nicht weiter fortgehen, verstanden? Nicht eher, als bis ich zurück bin!«

»Wau – wau. Rrr – wuff!« entgegnete Wachtmeister bestätigend. Warren wandte sich wieder an Audrey: »Auf Wiedersehen also!« Sie ergriff seine ausgestreckten Hände und lächelte etwas bange. »Willst du mir nicht einen Kuß geben, ehe du gehst?«

»Es ist einem Polizeibeamten nicht gestattet, seine Gefangene zu küssen«, erklärte er halb im Ernst und halb im Scherz.

Wachtmeister knurrte zornig und fuhr auf die Tür los. Sein Fell sträubte sich.

Die Tür wurde geöffnet. Harry Gregory erschien, aber er wagte nicht einzutreten, als er den Hund gewahr wurde.

»Rufen Sie doch das Biest«, schimpfte er giftig. Erst jetzt sah er Warren.

»Komm, Wachtmeister«, kommandierte sein Herr. »Du weißt, was du zu tun hast. Aber schön aufgepaßt! Guten Abend, Miß Murdock.«

Warren setzte den Hut auf und schritt der Tür zu, während Wachtmeister sich winselnd Audrey zu Füßen legte. Roger Warren sah sich noch einmal nach Gregory um und verschwand dann in die Nacht hinaus.

Ein mürrischer Chauffeur fuhr ihn zur Bahnstation. Fünf Minuten vor zehn Uhr war er in New York am Bahnhof, nahm sich ein Auto und fuhr zu dem Stelldichein mit dem verrückten »Haha-Benny« Smart.

*

»Schick' das Hundevieh aus dem Zimmer«, sagte Gregory herrisch, nachdem das Auto mit Wachtmeisters Herrn das Villengrundstück verlassen hatte.

»Nein«, erklärte Audrey. »Das kann ich nicht. Sie wissen, ich stehe unter polizeilicher Bewachung, und zwar unter Wachtmeisters, bis Roger Warren zurück ist.«

»Ihr Vater hat das genau so gut gewußt, und darum hat er mich zu Ihrem Schutz hergeschickt«, entgegnete Gregory mit einem dienstbeflissenen Lächeln. »Er ist in Newark und wird, so rasch es geht, hier sein. Ihr Vater war übrigens mehr als außer sich, als er von der feigen Hinterlist gehört hat, mit der Ihnen während seiner Abwesenheit von dem Mann seines Vertrauens mitgespielt worden ist. Ich muß Verschiedenes mit Ihnen besprechen. Aber ich kann nicht reden, wenn mich dieses Monstrum da anglotzt, als ob es mich fressen wollte.«

»Wir können ja einen Augenblick ins Nebenzimmer gehen«, sagte Audrey. »Wachtmeister, ich komme sofort wieder, ja? Du bleibst hier inzwischen, nicht?«

Wachtmeister wedelte mit dem Schwanz. Audrey strich ihm über den Kopf, und das kluge Tier blieb liegen, auch als sich die Tür schloß.

Gregory nahm sich einen Stuhl, während Audrey halb zurückgelehnt auf der Chaiselongue saß. Den Brief, den Warren für ihren Vater hinterlassen hatte, ließ sie heimlich in ihrer Bluse verschwinden. Sie fühlte sich nicht ganz wohl in der Erinnerung an die vergangene Nacht, aber noch unglücklicher fühlte sie sich, weil Warren sie verlassen hatte. Sie konnte eine gewisse Zerstreutheit nicht verbergen, was Gregory außerordentlich sympathisch war. Ja, ja, man hatte der jungen Dame ein wenig die Flügel beschnitten. Warrens niederträchtige Hinterlist gegenüber Murdock sollte schon seinen eigenen Plänen zugute kommen.

Ohne jede Vorsicht walten zu lassen, zog er den Revolver aus der Tasche und behielt ihn in der Hand. Die drei Hallunken, die ihm der »Masken-Micky« mitgegeben hatte, lagen in der Garage auf der Lauer. Er hatte sie instruiert, den Hund bei seinem ersten Erscheinen niederzuknallen. Aus diesem Grunde wollte er das Tier aus dem Hause haben.

Audrey betrachtete die Pistole mit einer ungläubigen Verwunderung, in die sich eine unbestimmte Furcht mischte.

»Haben Sie dieses Ding hier schon mal gesehen?« fragte er hohnlächelnd.

»Es ist Papas Revolver«, gab sie zur Antwort.

»Das stimmt.«

»Aber wie ist das möglich?« rief sie. »Auf der Polizei ist mir heute nacht genau dieselbe Waffe gezeigt worden!«

Gregory konnte einen Fluch nicht unterdrücken. Er sprang von seinem Stuhl auf. Audrey war auf alles gefaßt. Aber hinter der Tür schlug Wachtmeister an. Das beruhigte sie wieder.

»Der Revolver, den Ihnen heute nacht der Polizeibeamte gezeigt hat«, erklärte Gregory, nachdem er sein Gleichgewicht wiedergewonnen hatte, »war nicht dieser hier. Ihr Vater hatte ihn in seinem Pult unter Verschluß, während er in Washington war. Und er hat ihn dort wiedergefunden bei seiner Rückkehr. Die Waffe, die Sie auf der Polizei gesehen haben, ist vermutlich mein Revolver gewesen. Die beiden gleichen sich aufs Haar. Ich hatte meinen ebenfalls im Schreibtisch. Aber heute morgen war er verschwunden. Ich habe mir also die Waffe hier von Ihrem Vater ausgeliehen. Aber mir scheint, ich weiß, auf welche Weise die Polizei in den Besitz meines Revolvers gekommen ist.«

Audrey war völlig sprachlos. Diese Dinge gingen über ihren Horizont. Gregory schwieg. Er dachte darüber nach, ob wohl Mrs. Mallory seinen Revolver der Polizei ausgehändigt haben mochte, um ihre alte Rechnung gegen ihn zu quittieren.

»Ihr Revolver?« sagte Audrey schließlich.

»Roger Warren, dieser Bursche,« erklärte Gregory rasch, »hat bei uns im Bureau herumgeschnüffelt. Er hat vor ein paar Tagen sogar seine Nase in Geschäftsbriefe gesteckt und allerlei anderes Zeug, das ihn absolut nichts angeht.«

»Sie irren sich,« erwiderte Audrey, »mein Vater hatte ihn gebeten, zu kommen.«

»Das stimmt allerdings. Aber Ihr Vater hat leider nicht gewußt, was für ein Erzspitzbube dieser Kerl ist, der sich als seinen Lebensretter aufzuspielen beliebt hat. Wie denken Sie denn seit heute nacht über diesen jungen Mann, hm?«

Audrey fand keine Antwort. Woher hatten ihr Vater und Gregory denn etwas von ihrer Verhaftung erfahren?

»Man hat Sie auf der Polizei ausgefragt,« fuhr Gregory fort, »weil man geglaubt hat, mein Revolver gehörte Ihrem Vater. Aber das hat nicht gestimmt. Warren hat versucht, Ihren Vater unter Mordverdacht zu bringen. Der arme Mann ist ganz gebrochen. Sie hätten ihn nur sehen sollen, wie er aussah, als man ihm erzählte, daß Sie aus dem Klub Versailles herausgeholt worden sind, und daß man Sie mit dem Polizeiwagen ins Gefängnis gebracht hat. Dieser Warren hat einen Hund. Na, gleich und gleich gesellt sich gern. Sie kennen ja das Sprichwort. Warren ist nicht besser als das vierbeinige Vieh hier nebenan. Aber er versteht sein Geschäft. Er hat sogar die Stirn gehabt, Ihren Vater ganz offen ins Gesicht zu sagen, daß er ihn für einen anständigen Menschen hielte.«

Der Pfeil verfehlte sein Ziel. Audreys Augen leuchteten auf.

»Was hätte er ihm denn sonst sagen sollen?« fragte sie. »Mein Vater ist der beste Mensch auf der ganzen Welt.«

»Das bestreite ich nicht«, erwiderte Gregory. »Ich verstehe Sie durchaus. Ich weiß auch, daß ich Ihnen nicht sympathisch bin. Aber Ihr Vater hat volles Vertrauen zu mir.«

»Vielleicht zuviel«, entgegnete Audrey beinahe feindselig.

»Vielleicht nicht genug,« erklärte Gregory besänftigend, »dieser Warren hat ihn belogen. Er kann sich nicht herausreden, daß er Sie wegen Mordes hat verhaften lassen. Und ich erkläre Ihnen, daß es keine vierundzwanzig Stunden dauert, bis er versucht haben wird, Ihren lieben alten Vater aus demselben, falschen Grunde heraus festnehmen zu lassen.«

»Das stimmt nicht. Ich weiß es. Und wenn Papa nach Hause kommt, werde ich ihm beweisen, daß es nicht stimmt.«

Gregory lachte auf.

»Natürlich, das Vorurteil einer Frau ist hundertmal mehr wert als eines Mannes durchdachtes Urteil, – bis sie schließlich einsieht, daß ihr Vorurteil keinen Boden hat, und daß sein Urteil gesund war«, orakelte Gregory, indem er seine Uhr aus der Tasche zog und nach der Zeit sah. Es war fünf Minuten vor zehn.

Er ließ Audrey nicht aus den Augen. Warren näherte sich seinem Schicksal. Wenn »Haha-Benny« ihn vielleicht auch verfehlen würde, der »Masken-Micky« traf.

»Warren baut ein Kartenhaus«, nahm Gregory das Gespräch wieder auf. »Dank der Revolververwechslung hat die Polizei auch nicht eine Spur von Beweisen gegen Ihren Vater. Sie hatten meine Pistole in Händen und nicht seine. Ihres Vaters Pistole habe ich gehabt, und die Polizei hat sie niemals in die Finger bekommen. Während man Sie gequält hat, habe ich Ihrem Vater das Leben gerettet.«

Audreys Gesicht brannte. Die Erinnerung an den schmutzigen Hohn ihrer Zellengenossin, die Schrecken des Gefängnisses, seine eklen Gerüche und die noch ekleren Gespräche, gab ihren Worten die besondere Klangfarbe. Gregory beobachtete sie, wie eine Schlange einen Paradiesvogel mit ihren Blicken verschlingt. Er wurde sich seiner Macht über sie immer mehr bewußt. Aber plötzlich stürzten all seine zungenfertigen Argumente in ein Nichts zusammen.

»Sie irren sich,« erklärte ihm Audrey in voller Ruhe, »es ist nicht Ihr Revolver, den man mir auf der Polizei gezeigt hat!«

»Wieso?« Ihr sicherer Ton überschattete ihn mit einem Zweifel. »Woher wollen Sie das so genau wissen? Sie sind noch niemals vorher in Haft gewesen. Was wissen Sie von den Ränken und Tücken der Kriminalpolizei?«

»Ich weiß, was ich weiß«, erwiderte sie. »Die Polizei hat mir gegenüber nicht gelogen. Inspektor Montrose ist kein Schwindler; wenn er auch streng mit mir gewesen ist, er war gerecht. Er hat mir ausdrücklich erklärt, daß er mich nicht belügt.«

»Ach! Hahahaha! Das ist großartig – glänzend!« Gregory wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Ich weiß, daß er mich nicht belogen hat!« rief Audrey, die aufbegehrte gegen diesen Hohn, der gegen ihre Intelligenz zielte. »Ich habe die Photographie der Fingerabdrücke auf dem Schreibtisch des Inspektors in der Hauptpolizei gesehen. Er hatte die von Papa und von mir!«

»Woher wissen Sie das?«

»Papa hat breite Fingerspitzen und einen breiten Daumen. Ich habe zwar seine Fingerabdrücke niemals photographiert gesehen, aber ich könnte schwören, daß sie es waren.«

»Und Ihre eigenen haben Sie auch nie vorher gesehen, oder doch?«

»Nein, niemals. Aber ich habe sie auf der Photographie gesehen. Und als ich nach Hause kam, wollte ich mich vergewissern und nahm etwas Ruß von der Kerze und machte mir selber ein paar Abdrücke. Ich kann Ihnen nur sagen, daß auf der Polizei nach meiner Verhaftung keine Fingerabdrücke von mir gemacht worden sind. Diejenigen, die sie hatten, – und sie haben sie vor mir sehr sorgfältig verborgen zu halten versucht, – waren von Papas Revolver genommen worden. Woanders konnten sie nicht herstammen. Das ist klar. Auf keinen Fall von Ihrem Revolver. Denn der hat sich ja doch, wie Sie selber sagen, in Ihrem Schreibtisch befunden. Also habe ich ihn niemals in der Hand gehabt. Aber Papas Revolver habe ich in der Hand gehabt, als ich neulich morgen im Bureau war und mir aus dem selben Schubfach das Halsband für Wachtmeister herausholte. Also Sie irren sich bestimmt, Mr. Gregory.«

Er sah voller Zweifel auf die Waffe in seiner Hand.

»Nach alledem, was Sie mir da erzählen, scheine ich mich tatsächlich in einem Irrtum zu befinden. Aber jedes Wort, was Sie da eben gesagt haben, beweist nur, daß ich mich in Warren nicht getäuscht habe. Er ist ein Erzhalunke. Er hat sich in Ihres Vaters Vertrauen hineingeschlichen, er hat ihn umschmeichelt, hat ihm versprochen, sich um Sie zu kümmern während seiner Abwesenheit von New York. Und was hat er getan? Er hat Sie in eine Gefängniszelle sperren lassen und Sie mit der Gemeinheit eines Mordverdachtes belastet. Zu welchem Zweck? Die Kerle haben das nicht zu ihrem Vergnügen getan, sondern weil sie Beweise schaffen wollten, auf Grund derer sie Ihren Vater wegen Mordes verhaften könnten.«

Audrey lachte. »Die Vorurteile eines Mannes sind natürlich hundertmal mehr wert als das durchdachte Urteil einer Frau, bis er schließlich einsieht, daß sein Vorurteil keinen Boden hat und ihr Urteil gesund war«, äffte sie ihn nach. »Aber jetzt stecken Sie bitte die Waffe weg. Ich muß wieder zu meinem vierbeinigen Kriminalschutzmann, der mich zu bewachen hat.«

»Nein,« erklärte Gregory, »ich stecke die Waffe nicht weg. Aber ich komme mit Ihnen mit.« Er sah nach der Uhr. Es war fünf Minuten nach halb elf. »Ich werde den Hund niederschießen!«

»Seien Sie nicht gar so voreilig«, sagte Audrey mit einem Lächeln, das seine Pulse höher schlagen ließ. »Ich liebe Wachtmeister. Vielleicht sehen Sie sich erst einmal an, was Roger Warren auf meinem Schreibtisch hinterlassen hat.«

Er verließ hinter ihr das Zimmer. Wachtmeister betrachtete Murdocks Kompagnon mit einem argwöhnischen Blick. Die Haare auf seinem Fell hoben und senkten sich.

»Er liest Ihre Gedanken,« sagte Audrey lachend, »vielleicht lesen Sie dies hier!«

Sie reichte ihm die Warnung, die Warren auf ihren Schreibtisch gelegt hatte.

Gregory las und gab sie ihr mit einer höhnischen Verbeugung zurück.

»Wir haben die Anordnung der Polizeibehörden stets zu achten,« erklärte er, »und seit Warren Ihrem Vater das Leben gerettet und dafür gesorgt hat, daß auch Sie wieder die Freiheit erlangt haben, werde ich Ihre Wünsche zu achten wissen, wenn auch nicht die dieses geschmeidigen jungen Detektivs.«

»Ich danke Ihnen dafür, Gregory. Aber ich glaube, es ist auch besser so. Ich werde übrigens aufbleiben, bis Papa kommt. Das haben Sie wirklich nicht nötig. Übrigens, haben Sie gestern Ihr Zusammensein mit Mrs. Winthrop ordentlich genossen? Ich habe sie heute morgen getroffen, wie ich von der Polizei kam.«

»Ach ja, das hat sie mir erzählt, als ich herauskam,« sagte Gregory. Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen, um diesen Lapsus wieder rückgängig zu machen. Denn Audrey sah ihn durchdringend an und fragte: »Sind Sie denn auch verhaftet gewesen?«

»Nicht von Warren. Ein anderer Polizeimensch hat diesen Schnitzer gemacht. Aber er hat mich nicht nur wieder freilassen, sondern sich auch noch entschuldigen müssen.«

»Ich kann mir nicht denken, daß Roger Warren Schnitzer in seinem Beruf macht,« gab Audrey zurück; hat er vielleicht einen Schnitzer gemacht, als er neulich Nacht Papa das Leben gerettet hat?«


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