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Der brave alte Schenk.

Dahier, wo weit ins Land der Wandrer müsste gehen,
Bis irgend ein Gebirg sein Auge könnt' erspähen;
Im schönen Tiefland leb' ich jetzt voll Selbstgenügen,
Weil meine Stunden mir in heitrem Glück verfliegen.
Im Dorf-Wirthshaus allhier ließ ich mich wohnlich nieder;
Ein stilles Haus – nur Nachts zuweilen schallen Lieder.
Ein braver alter Mann, das ist daselbst der Schenke ...
O daß auf ihn herab sich Gottes Segen senke!

Ich habe Wohnung hier umsonst und Trank und Speise,
Nie ward bewirthet ich auf eine bessre Weise,
Zur Essenszeit wart' ich auf keine Menschenseele,
Doch alle harren mein, wenn ich am Tische fehle.
Nur Eines thut mir weh: Der Alte pflegt zu Zeiten
Mit seinem guten Weib, der Schenkenfrau, zu streiten;
Doch hält's nicht lange an, versöhnt ist bald der Schenke ...
O daß auf ihn herab sich Gottes Segen senke!

Zuweilen plaudern wir von längst entschwundnen Tagen;
Der alte Schenke weiß von bessrer Zeit zu sagen!
Er hatte Ackerland und Garten, Geld und Pferde,
Und wusste selber kaum die Stücke seiner Heerde.
Doch hat ihn Menschenlist um all sein Geld betrogen,
Und Heerde, Haus und Hof entrissen ihm die Wogen,
Und so verarmte, ach, der alte brave Schenke ...
O daß auf ihn herab sich Gottes Segen senke!

Schon ist im Niedergehn die Sonne seiner Tage,
Wie ruht man da so gern von aller Noth und Plage!
Doch ihn, den Armen, wirft das Mißgeschick just heute,
Da er schon alt, der Sorg', dem Ungemach zur Beute.
Er müht sich Tag und Nacht; früh auf und spät zu Bette,
Kennt keinen Feiertag, so geht's in Einer Kette.
Wie dauert mich so tief der alte brave Schenke ...
O daß auf ihn herab sich Gottes Segen senke!

Ich tröst' ihn, daß sein Loos gewiß sich bessern werde,
Doch schüttelt er das Haupt mit zweifelnder Geberde.
»Jawohl wird's besser gehn, da ich nicht weit mehr habe«
– Spricht er nach einer Weil' – »zu meinem stillen Grabe.« –
Und hin um seinen Hals sink' traurig ich dem Guten,
Und bade sein Gesicht mit meinen Thränenfluthen,
Denn ach – mein Vater ist der alte brave Schenke ...
O daß auf ihn herab sich Gottes Segen senke!


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