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Sie wohnten bei Sort, der sein eigenes kleines Haus draußen in der äußersten Vorstadt besaß; der kleine Wanderschuhmacher wußte nicht, was er ihnen alles zugute tun sollte. Lasse hockte immer so zwecklos umher. Er konnte keine Ruhe finden und sich gar nicht fassen; von Zeit zu Zeit mußte er in Klagen ausbrechen. Er war ganz hinfällig geworden und konnte den Löffel nicht mehr zum Munde führen, ohne zu verschütten. Wenn sie ihn ein wenig zerstreuen wollten, war er eigensinnig.
»Nun müssen wir doch sehen, daß wir deine Sachen holen«, sagten die beiden einmal über das andere. »Es ist kein Sinn darin, daß du der Gemeinde dein Mobiliar schenkst.«
Aber Lasse wollte es nicht. »Haben sie mir all das andere genommen, so können sie das auch noch bekommen«, sagte er. »Ich will auch nich' wieder dahin – und mich von allen bemitleiden lassen.«
»Aber du machst dich ja selbst zum Bettler«, sagte Sort.
»Das haben sie ja auch gewollt. Mögen sie nun ihren Willen bekommen! Sie werden wohl einmal Rechenschaft dafür ablegen müssen.«
Da verschaffte sich denn Pelle ein Fuhrwerk und fuhr selbst hin, um die Sachen zu holen. Es war ein ganzes Fuder. Mutter Bengtas grüne Kiste fand er oben auf dem Boden, dort stand sie voller Garnknäule. Es war so wunderlich, sie wiederzusehen – seit vielen Jahren hatte er seiner Mutter keinen Gedanken geschenkt. »Die will ich als Reisekiste haben«, dachte er und nahm sie mit.
Lasse stand vor der Tür, als er gefahren kam. »Sieh nur, was ich dir hier alles bringe, Vater!« rief er und knallte lustig mit der Peitsche. Aber Lasse ging hinein, ohne ein Wort zu sagen. Als sie abgeladen hatten und sich nach ihm umsehen wollten, war er ins Bett gekrochen. Er lag mit dem Gesicht nach der Wand gewendet und wollte nicht sprechen.
Pelle erzählte allerlei Neuigkeiten vom Heidhof, um etwas Leben in ihn hineinzubringen: »Nun hat die Gemeinde den Heidhof dem Hügelbauer für fünftausend Kronen verkauft, und sie sagen, daß er ein gutes Geschäft gemacht hat. Er soll doppelt so viel wert sein. Er will selbst da wohnen und seinem Sohn den Hügelhof überlassen.«
Lasse wandte den Kopf halb um. »Ja, jetzt wächst da was. Jetzt ernten sie Tausende – und denn muß ja der Bauer drüberkommen«, sagte er verbittert. »Aber es is auch gut gedüngter Boden. Karna hat sich verhoben und starb mir weg. So gut, wie wir zusammen eingefahren waren; ihre tausend Kronen gingen auch drauf – und ich bin nun ein armes Wrack. Das alles wurde in den öden Felsboden gelegt, so daß er zu guter und mildtätiger Erde würde. Und dann zieht der Bauer ein, nun mag er da schon wohnen – wir armen Läuse haben ihm den Weg bereitet. Sind wir vielleicht zu was anderem da? Toren sind wir, daß wir uns noch aufregen über so was. – – Aber, wie ich den Fleck geliebt habe!« Lasse brach plötzlich in Tränen aus.
»Nun mußt du vernünftig sein und sehen, daß du wieder fröhlich wirft«, sagte Sort. »Die schlechten Zeiten für den armen Mann sind bald vorbei. Es wird eine Zeit kommen, wo sich niemand für den andern totzuarbeiten braucht, wo jeder das erntet, was er selbst gesäet hat. Was für einen Schaden Haft du denn gelitten? Denn du bist ja auf der richtigen Seite und Haft Tausende von Kronen, auf die du einen Wechsel ziehen kannst. Es wär doch schlimmer, wenn du andern was schuldig wärest!«
»Ich erlebe die Zeit wohl nich' mehr«, sagte Lasse und richtete sich auf den Ellbogen auf.
»Vielleicht du und ich nicht, denn die, die sich auf der Wanderung befinden, müssen ja in der Wüste sterben! Aber darum sind wir doch Gottes auserwähltes Volk, wir Armen. Und Pelle, der wird das Gelobte Land schon noch zu sehen bekommen!«
»Jetzt solltest du mit hineinkommen, Vater, und sehen, wie wir es eingerichtet haben«, sagte Pelle.
Lasse stand müde auf und ging mit ihnen. Sie hatten eine von Sorts leeren Stuben mit Lasses Sachen eingerichtet. Es sah ganz gemütlich aus.
»Wir haben uns gedacht, daß du hier wohnen solltest, bis Pelle da drüben gut in Gang gekommen ist«, sagte Sort. »Nein, zu danken brauchst du nicht! Ich freue mich, daß ich Gesellschaft habe, das kannst du doch wohl begreifen!«
»Der liebe Gott wird es dir vergelten!« sagte Lasse mit zitternder Stimme. »Auf andere als auf ihn können wir Ärmsten ja keine Anweisung geben.« – – –
Pelle hatte keine Ruhe mehr, er konnte seinen Sinn nicht länger zügeln, er mußte hinaus. »Wenn du mir so viel geben willst, wie die Fahrkarte kostet, weil ich dir geholfen habe,« sagte er zu Sort, »– dann reise ich noch heute abend.
»Das is die Hälfte von dem, was wir eingenommen haben. – So viel kommt mir nich' zu«, sagte Pelle. »Du bist doch der Meister und hast das Werkzeug gehalten und alles.«
»Ich will nicht von anderer Hände Arbeit leben, sondern nur von meiner eigenen«, entgegnete Sort und schob ihm das Geld hin. – »Willst du denn so reisen, wie du gehst und stehst?«
»Nun, ich habe ja Geld in Unmenge«, sagte Pelle froh. »So viel Geld habe ich noch nie auf einmal besessen! Dafür kann man manch ein Kleidungsstück bekommen.«
»Aber das Geld darfst du nicht anrühren. Fünf Kronen kannst du für die Reise und dergleichen gebrauchen; den Rest mußt du aufheben, damit du der Zukunft ruhig entgegensehen kannst!«
»In Kopenhagen werde ich schon Geld genug verdienen!«
»Er is immer ein leichtsinniger Bursche gewesen«, sagte Lasse bekümmert. »Damals, als er hierher in die Stadt in die Lehre kam, hatte er fünf Kronen, und wofür er die ausgegeben hatte, darüber konnte er nie so recht Rechenschaft ablegen.«
Sort lachte.
»Dann reise ich, wie ich gehe und stehe!« rief Pelle resolut aus. Aber das war auch verkehrt.
Er konnte es den beiden gar nicht recht machen, sie waren wie zwei besorgte Gluckhennen.
An Wäsche fehlte es nicht, als Lasse erst an seine Vorräte dachte. Karna hatte gut für ihn gesorgt. »Aber es wird wohl reichlich kurz sein für deinen langen Leib. Es is nich' mehr so wie damals, als du von Steinhof fortzogst – da mußten wir einen Saum in meine Hemden für dich legen.«
Mit dem Schuhzeug sah es auch übel aus; es ging nicht an, daß ein Schustergesell mit solchen Trittlingen ankam, wenn er Arbeit suchte. Sort und Pelle mußten ein Paar anständige Stiefel machen. »Wir müssen uns Zeit lassen«, sagte Sort. »Bedenke! Sie müssen vor dem Urteil der Hauptstadt bestehen können.« Pelle war ungeduldig und wollte die Arbeit gern schnell von der Hand haben.
Dann handelte es sich nur noch um einen neuen Anzug. »Den kaufst du fertig auf Kredit«, sagte Sort. »Lasse und ich werden gut genug sein als Bürgen für einen Anzug.« – – –
Am Abend, ehe er reisen wollte, gingen er und Lasse aus, um Dues zu besuchen. Sie wählten die Zeit, wo sie sicher waren, Due selbst anzutreffen. Aus Anna machten sie sich beide nicht viel. Als sie nach dem Hause herabkamen, sahen sie einen alten feingekleideten Herrn durch die Haustüre hineingehen.
»Das is der Konsul,« sagte Pelle, »der ihnen vorwärtsgeholfen hat. Dann is Due mit den Pferden fort, und wir sind gewiß nich' willkommen.«
»Steht es so mit ihnen?« sagte Lasse und blieb jäh stehen. »Dann tut mir Due leid, wenn er erst den Zusammenhang erfährt. Er wird gewiß finden, daß er seine Selbständigkeit zu teuer erkauft hat! Ach ja, der Preis is hart für den, der vorwärts will. Möchte es dir nun da drüben gut gehen, mein Junge.«
Sie waren zur Kirche herabgekommen. Dort hielt ein Wagen mit grünen Pflanzen; zwei Männer trugen sie in ein Wohnhaus. »Was geht denn hier Feierliches vor?« fragte Pelle.
»Hier soll morgen Hochzeit sein,« antwortete einer von den Männern – »Kaufmann Laus Tochter heiratet diesen Wichtigtuer – Carlsen heißt er ja wohl, und ein armer Bursche ist er, so wie wir. Aber glaubst du, daß er uns überhaupt ansieht? Wenn Dreck zu Ehren kommt, dann ist nicht damit auszukommen. Nun ist er ja auch Teilhaber im Geschäft geworden.«
»Die Hochzeit will ich doch mitmachen«, sagte Lasse eifrig, während sie weiterschlenderten. »Es is doch interessant, zu sehen, wenn einer aus der Familie es zu was bringt.« Pelle faßte das ein wenig als Vorwurf auf, sagte aber nichts.
»Wollen wir uns den neuen Hafen einmal ansehen?« fragte er.
»Nein, jetzt geht die Sonne unter, und jetzt will ich nach Hause und zu Bett. Ich bin alt, du aber, geh du nur. Ich will schon nach Hause zurückfinden.«
Pelle schlenderte hinab, bog dann aber ab und ging nach Norden zu – er wollte hin und Marie Nielsen Adieu sagen. Er schuldete ihr ein freundliches Wort für all ihre Güte. Sie sollte ihn auch ausnahmsweise einmal ein wenig ordentlich in Kleidern sehen. Sie war gerade von der Arbeit gekommen und war im Begriff, ihr Abendbrot zurechtzumachen.
»Nein, Pelle, bist du das!« rief sie erfreut aus, »und so fein wie du bist – du siehst ja aus wie ein Prinz!« Pelle mußte dableiben und mit ihr essen.
»Ich bin eigentlich nur gekommen, um dir für all deine Freundlichkeit zu danken und um dir Lebewohl zu sagen. Morgen reise ich nach Kopenhagen.«
Sie sah ihn ernst an. »Dann freust du dich wohl!«
Pelle mußte erzählen, was er erlebt hatte, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. Er saß da und sah sich dankbar um in der ärmlichen, reinen Stube, wo das Bett so keusch an der Wand stand, mit einer schneeweißen Decke zugedeckt. Diesen Duft nach Seife und Reinlichkeit und ihren frischen, schlichten Sinn vergaß er wohl niemals. Sie hatte ihn mitten in all seinem Elend aufgenommen und ihr weißes Bett nicht zu gut gehalten, während sie den Dreck von ihm abschruppte. Wenn er in die Hauptstadt kam, wollte er sich photographieren lassen und ihr sein Bild schicken.
»Und wie lebst du denn jetzt?« fragte er weich.
»Gerade so wie damals, als du mich zuletzt gesehen hast. – Nur ein wenig einsamer«, antwortete sie ernsthaft.
Und dann mußte er gehen. »Leb wohl und laß es dir so recht gut gehen!« sagte er und schüttelte ihr die Hand – »und vielen Dank für alles Gute!«
Sie stand nur da und sah ihn stumm an mit einem unsicheren Lächeln. – »Ach nein, ich bin ja doch auch nur ein Mensch!« brach es plötzlich aus ihr hervor, und sie schlang heftig die Arme um ihn.
Und dann brach der große Tag an! Pelle erwachte mit der Sonne und hatte die grüne Kiste schon gepackt, ehe die anderen aufstanden, und dann ging er umher und wußte nicht, was er anfangen sollte, vor lauter Unruhe und Spannung. Er antwortete in den Nebel hinein, die Augen schauten in lichte Träume. Am Vormittage trugen er und Lasse die Kiste nach dem Dampfer, um am Abend freie Hand zu haben. Von dort gingen sie zur Kirche, um Alfreds Trauung beizuwohnen. Pelle wäre gern weggeblieben – er hatte genug mit sich selbst zu tun, und hatte keine Teilnahme für Alfreds Treiben, aber Lasse drang in ihn ein.
Die Sonne stand hoch am Himmel und glühte in die schiefen Gassen hinab, daß das Fachwerk Teer schwitzte und die Rinnsteine stanken; vom Hafen her hörten sie den Trommelschläger Heringe ausrufen und eine Auktion ankündigen. Die Leute strömten zur Kirche in atemloser Unterhaltung über dieses Glückskind Alfred, der es so weit gebracht hatte.
Die Kirche war voll von Menschen. Sie war festlich geschmückt, und oben um die Orgel herum standen acht weiße Jungfrauen, die singen sollten: »Es ist so lieblich zusammen zu sein.« Laste hatte nie etwas Ähnliches von Trauung erlebt. »Ich bin ganz stolz«, sagte er.
»Er is ein Windbeutel!« antwortete Pelle. »Er nimmt sie bloß der Ehre wegen.«
Und dann trat das Brautpaar vor den Altar. »Es is doch gewaltig, wie sich Alfred den Kopf eingeschmiert hat,« flüsterte Laste – »er sieht ja aus wie ein abgeleckter Kalbskopf. Aber sie is hübsch. Es wundert mich nur, daß sie ihr keinen Myrtenkranz aufgesetzt haben – da is doch wohl nichts passiert?«
»Sie hat ja das Kind,« antwortete Pelle flüsternd – »sonst hätte er sie ja nie im Leben gekriegt.«
»Ach so! Ja, es is aber doch fix von ihm, sich solche feine Frau zu kapern.«
Jetzt sangen die Jungfrauen, es klang gerade so, als wären es Engel vom Himmel, die den Bund besiegeln sollten.
»Wir müssen uns so hinstellen, daß wir gratulieren können«, sagte Lasse und wollte sich in den Gang hinüberdrängen, aber Pelle hielt ihn zurück.
»Ich fürchte, er kennt uns heute nich' – aber sieh nur, da is ja Oheim Kalle.«
Kalle stand eingeklemmt in dem hintersten Stuhl, er mußte dort bleiben, bis alle hinausgegangen waren. »Ja, ich wollte ja auch gern an diesem großen Tag teilnehmen,« sagte er; »ich wollte Mutter eigentlich auch gern mitnehmen, aber sie meinte, ihr Kleid wäre nich' anständig genug.« Kalle hatte einen neuen grauen Beiderwandanzug an, er war noch kleiner und krummer mit den Jahren geworden.
»Warum hast du hier ganz unten in der Ecke gestanden, wo du doch nichts sehen kannst? Als Vater des Bräutigams hättest du deinen Platz doch auf der ersten Bank haben müssen?« sagte Lasse.
»Da hab' ich auch gesessen – hast du mich nich' neben Kaufmann Lau sitzen sehen? Wir haben ja aus demselben Gesangbuch gesungen. Hier bin ich nur im Gedränge herein geraten. Ich sollte nun ja auch mit zum Hochzeitsschmaus. Ich bin feierlich eingeladen, aber ich weiß nich' recht.« Er sah an sich herunter. Plötzlich machte er eine Bewegung und lachte auf seine eigene verzweifelte Art und Weise: »Ach, was stehe ich hier und erzähle Leuten, die es doch nich' glauben, Lügengeschichten. – Nee, Schweine gehören nu doch mal nich' in die Kanzlei. Ich könnt' ja einen üblen Geruch verbreiten, wißt ihr. Leute, wie wir, haben ja nich' gelernt, Parfüm zu schwitzen.«
»Ach so! Er is zu fein, um seinen eigenen Vater zu kennen. Pfui Deibel! Dann komm du man mit uns, damit du nich' hungrig fortzugehen brauchst.«
»Nee, ich bin so überfüttert mit Braten und Wein und Kuchen, daß ich für diesmal nichts mehr 'runterkriegen kann. Nu muß ich nach Hause und Mutter von all der Herrlichkeit erzählen. Ich hab' ja drei Meilen zu gehen.«
»Und zu Fuß bist du hierhergekommen? Sechs Meilen! Das is zu viel für deine Jahre!«
»Ich hatt' auch eigentlich darauf gerechnet, daß ich die Nacht hierbleiben würde, ich dacht' mir ja nich' – Na, da hat 'ne Eule gesessen! Höher können Kinder doch woll nich' kommen, als daß sie ihren eigenen Vater nich' mehr kennen. Anna is nu auch auf dem besten Wege, fein zu werden. Soll mich wundern, wie lang' ich mich selbst noch kenn'! Pfeu Deubel, Kalle Carlsen, ich bin aus guter Familie, du! Na, denn Adjö!«
Müde setzte er sich in Trab, um heimzukehren. Ganz jammervoll sah er aus in seiner Enttäuschung. »So elend hat er nie im Leben ausgesehen!« sagte Lasse und starrte ihm nach. »Und es gehört doch was dazu, ehe Bruder Kalle das Gewehr in den Graben wirft.«
Gegen Abend gingen sie durch die Stadt, hinunter an das Dampfschiff. Pelle machte lange Schritte, eine eigene feierliche Stimmung ließ ihn schweigen. Lasse trippelte vornüber gebeugt an seiner Seite. Etwas Klägliches war über ihn gekommen. »Nun vergißt du wohl nich' auch deinen alten Vater?« sagte er wieder und wieder.
»Das hat wohl keine Not«, entgegnete Sort. Pelle hörte nichts davon, seine Sinne waren auf der Wanderung begriffen.
Der Herdrauch senkte sich blau in die enge Gasse hinab. Die Alten saßen draußen auf den Treppen und besprachen die Tagesneuigkeiten; die Abendsonne fiel auf runde Brillen, so daß die runzeligen Gesichter mit großen Feueraugen vor sich hinstarrten. Tiefer Abendfriede lag über der Straße. Aber drinnen in den finstern Gassen pusselte es mit dieser ewigen, dumpfen Unruhe, wie von einem großen Tier, das sich dreht und wendet und nicht einschlafen kann. Hin und wieder flammte es auf in einem Schrei oder Kinderweinen und begann von neuem – wie ein schwerer, ringender Atemzug. Pelle kannte es wohl, dies gespensterhafte Pusseln, das stets von dem müden Lager des armen Mannes ausging. Das waren die Sorgen der Armut, die die bösen Träume für die Nacht einsammelten. Aber er ließ diese Welt der Armut, die ihr Leben so unbeachtet in der Stille verblutete, in seinen Gedanken ersterben wie ein trübseliges Lied – und starrte hinaus aus die See, die errötend am Ende der Straße lag. Jetzt zog er in die Welt hinaus.
Der verrückte Anker stand oben auf seiner hohen Treppe. »Leb wohl!« rief Pelle, aber Anker begriff nichts. Er wandte das Gesicht zum Himmel empor und sandte seinen krankhaften Ruf hinaus.
Pelle warf einen letzten Blick auf die Werkstatt. »Da drinnen habe ich manch eine gute Stunde verbracht!« dachte er, und erinnerte sich an den jungen Meister. Der alte Jörgen stand draußen vor dem Fenster und spielte mit dem kleinen Jörgen, der drinnen auf dem Fensterbrette saß. »Piep, piep, Kleinchen«, rief er mit seiner hohen Stimme und versteckte sich und kam wieder zum Vorschein. Die junge Frau hielt das Kind, sie errötete vor Mutterfreude.
»Du läßt wohl von dir hören«, sagte Lasse noch einmal, als Pelle über die Reling gebeugt dastand. »Vergiß auch deinen alten Vater nich'!« Er war ganz hilflos in seiner Besorgnis.
»Ich werde schon nach dir schreiben, sobald es mir gut geht«, antwortete Pelle wohl zum zwanzigsten Male. »Ängstige dich nur nich'!« Siegesgewiß lächelte er dem Alten zu. Sonst standen sie schweigend da und sahen einander an.
Endlich setzte sich das Dampfschiff in Bewegung. »Laß es dir gut gehen!« rief er zum letztenmal, als sie um den Hafenkopf bogen, und solange er sie sehen konnte, schwenkte er die Mütze. Dann ging er nach vorn und setzte sich auf eine Rolle Tauwerk. –
Was hinter ihm lag, hatte er alles vergessen. Er starrte hinaus als könne die große Welt jeden Augenblick vor dem Steven auftauchen. Er machte sich keine Gedanken über das, was kommen würde, und wie er es angreifen wollte – er sehnte sich nur! – – –
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.