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Der kleine Nikas hatte sich die Wichse aus dem Gesicht gerieben und seinen guten Anzug angezogen; er wollte auf den Markt mit einem Bündel Wäsche, das der Schlachter aus Aaker seiner Mutter nach Hause mitnehmen sollte, und Pelle ging hinter ihm her und trug das Bündel. Der kleine Nikas begrüßte viele freundliche Dienstmädchen ringsumher in den Häusern, und Pelle fand, daß es ergötzlicher sei, neben ihm zu gehen als hinterdrein – man war doch zu zweien, um zusammenzugehen. Aber jedesmal, wenn er an die Seite des Gesellen trat, stieß ihn dieser in den Rinnstein. Schließlich fiel Pelle über ein Rinnsteinbrett, und dann gab er es auf.
Oben in der Straße stand der verrückte Uhrmacher am Rande seiner hohen Treppe und schwenkte mit einem Gewicht; es hing an einer langen Schnur; mit den Fingern folgte er den Pendelschwingungen, als zähle er die Zeit. Das war sehr spannend, aber Pelle fürchtete, daß es dem Gesellen entgehen könne.
»Der Uhrmacher experimentiert wohl nur«, sagte er lebhaft.
»Halt's Maul!« rief der kleine Nikas kurz angebunden. Da fiel es Pelle ein, daß er nicht reden durfte, und er klemmte den Mund fest zu.
Er befühlte das Bündel, um sich ein Urteil über den Inhalt zu bilden. Die Augen hatte er in allen Fenstern und in den Seitengassen; jeden Augenblick führte er die hohle Hand an den Mund, als gähne er – und verschlang einen Happen Schwarzbrot, das er in der Küche gemopst hatte. Die Tragbänder waren gerissen, und er mußte fortwährend den Bauch vorstecken; da war hunderterlei zu beobachten – und des Kohlenhändlers Hund mußte einen Fußtritt hinten vor kriegen, während er in gutem Glauben dastand und einen Eckstein beschnüffelte.
Ein Leichenzug kam ihnen entgegen, der Geselle ging entblößten Hauptes daran vorüber, und Pelle tat wie er. Ganz hinten im Zuge kam Schneider Bjerregrav auf seinen Krücken; er folgte bei allen Begräbnissen und ging immer ganz hinten, weil seine Gangart so großen Spielraum erforderte. Er stand still und sah zu Boden nieder, während das übrige Gefolge sich einige Schritte entfernte, setzte dann die Krücken vor, bewegte sich eine Spanne vorwärts – und stand wieder still. So kam er auf seinen kranken Beinen vorwärts, nur indem er stillstand und sich die anderen ansah und dann hin und wieder einen Schritt machte; er glich einem langsam wandernden Zirkel, der die Bahnen der anderen maß.
Aber das amüsanteste war, daß er vergessen hatte, die Klappe seiner schwarzen Begräbnishosen zuzuknöpfen, sie hing ihm wie ein Schurzfell über die Knie herab. Es war nicht ganz sicher, daß der Geselle das entdeckt hatte.
»Bjerregrav hat vergessen – –«
»Halt's Maul!« Der kleine Nikas machte einen Ruck nach hinten, und Pelle duckte den Kopf und preßte die Hand fest gegen den Mund.
Aber oben in der Staalstraße war ein großer Auflauf, ein mächtig fettes Frauenzimmer stand da und zankte sich mit zwei Seeleuten. Sie war in Nachtmütze und Unterrock, und Pelle kannte sie.
»Das is die Sau,« sagte er aufgeräumt – »sie is ein fürchterliches Frauenzimmer! Auf Steinhof –«
Schwupp fiel der kleine Nikas mit einer Ohrfeige über ihn her, so daß er sich auf die Treppe des Bildschnitzers niedersetzen mußte. »Eins, zwei, drei, vier – so, jetzt komm!« Er zählte zehn Schritte vorwärts und setzte sich in Bewegung. »Aber Gott sei dir gnädig, wenn du nich' den Abstand einhältst.«
Pelle hielt redlich den Abstand inne, aber wütend war er, und flugs entdeckte er, daß der kleine Nikas ebenso wie der alte Jeppe ein zu großes Hinterteil hatte. Das kam gewiß von dem vielen Sitzen – man wurde krumm in den Leisten. Er streckte den Hintern tüchtig heraus und schlug eine Falte in die Jacke über den Lenden, hob sich kokett auf den Fußballen und stolzierte dahin, die eine Hand auf der Brust. Wenn der Geselle sich juckte, tat Pelle es auch – und machte dieselben flotten Schwingungen mit dem Körper; seine Wange brannte, aber er war höchst zufrieden mit sich selbst.
Sobald er sein eigener Herr war, fragte er bei den Landschlachtern 'rum, um etwas Neues von Lasse zu erfahren, aber niemand wußte etwas. Er ging von Wagen zu Wagen und fragte. »Lasse Karlsson?« sagte einer – »ach, das war ja der Kuhhirte aus Steinhof!« Dann rief er einen anderen an und fragte nach Lasse – dem alten Steinhöfer Kuhhirten, und der rief wieder einen dritten an; sie kamen alle an den Wagen heran, um die Frage zu bereden. Da waren Leute, die fortwährend die Insel abgrasten, um Vieh aufzukaufen; sie kannten Gott und alle Welt, konnten aber keine Aufschlüsse über Lasse geben. »Denn is er auch nich' hier auf dem Lande«, sagte der erste ganz entschieden. »Du mußt dir einen anderen Vater zulegen, mein Junge.«
Aber Pelle war nicht zum Scherzen aufgelegt und schlich vom Wagen fort, übrigens mußte er nach Hause an die Arbeit; die kleinen Meister, die eifrig von einem Wagen zum anderen huschten und das Fleisch befühlten, schielten schon zu ihm hinüber. Sie hingen zusammen wie Erbsenstroh, wenn es sich darum handelte, die Lehrlinge im Zaum zu halten, sonst waren sie neidisch genug aufeinander. – –
Bjerregravs Krücken standen hinter der Tür, er selbst saß in steifstem Begräbnisstaat neben dem Fenstertritt; er hatte ein weißes, zusammengelegtes Tuch zwischen den gefalteten Händen und trocknete fleißig die Augen.
»War er vielleicht ein Angehöriger von Ihnen«, fragte der junge Meister verschmitzt.
»Nein, aber es ist so traurig für die, die zurückbleiben – Frau und Kinder. Irgend jemand ist da ja immer, der trauert und vermißt. Die Menschen führen ein sonderbares Dasein, Andres.«
»Ja – und die Kartoffeln sind schlecht in diesem Jahr, Bjerregrav!«
Der Nachbar Jörgen füllte die ganze Türöffnung aus. »Herrje, da haben wir ja den seligen Bjerregrav!« rief er aus – »und im feinsten Staat. Was hast du denn heute vor, – gehst du auf Freiersfüßen?«
»Ich habe gefolgt!« antwortete Bjerregrav still.
Der große Bäcker machte eine unwillige Bewegung, er liebte es nicht, unversehens an den Tod erinnert zu werden: »Du, Bjerregrav, du solltest Leichenwagenkutscher werden – denn arbeitetest du doch nich' umsonst!«
»Umsonst ist es wohl nicht, wenn sie auch tot sind«, stammelte Bjerregrav. »Ich Ärmster bin auch nicht zu viel zu gebrauchen, und ich hab' keinen, der mir nahe steht. Es geht keinem Lebenden was ab, wenn ich denen, die sterben, das Geleite gebe. – Und außerdem kenne ich sie ja alle und hab' ihnen in Gedanken das Geleit gegeben, seit sie geboren wurden«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Wenn du dann doch wenigstens zum Leichenschmaus eingeladen würdest und was abkriegtest von all dem guten Essen. Dann könnt' ich es bester verstehen«, fuhr der Bäcker fort.
»Der armen Witwe, die mit ihren vier kleinen Kindern dasitzt und nicht weiß, wie sie sich ernähren soll, das Essen wegnehmen – nein, das tat ich denn doch nicht. Sie hat dreihundert Kronen Schulden machen müssen, damit der Mann einen anständigen Leichenschmaus bekommen konnt'.«
»Das sollte gesetzlich verboten werden,« sagte Meister Andres, »so eine mit kleinen Kindern hat nich' das Recht, Geld für die Toten wegzuschmeißen.«
»Sie erweist ihrem Ehegatten die letzte Ehre«, sagte Jeppe tadelnd. »Das is die Pflicht jeder guten Ehefrau.«
»Natürlich,« entgegnete Meister Andres – »etwas muß, weiß Gott, getan werden! So wie zum Beispiel drüben auf der anderen Seite der Erde, da wirft sich die Frau auch auf den Scheiterhaufen, wenn der Mann tot is und verbrannt werden soll.«
Bäcker Jörgen kratzte sich an den Schenkeln und grinste: »Du willst uns woll 'ne ausgestunkene Lüge aufbinden, du, Andres dazu kriegst du keine Frauensperson, wenn ich das Weibsvolk recht kenne.«
Aber Bjerregrav wußte, daß der junge Meister nicht log, und griff mit seinen dünnen Händen in die Luft hinein, als wolle er sich etwas Unsichtbares vom Leibe halten. »Gott sei Dank, daß man hier auf der Insel auf die Welt gekommen ist«, sagte er leise. »Hier geschehen doch nur bekannte Dinge – wie verkehrt sie auch sein mögen.«
»Mich wundert bloß, wo sie woll das Geld hergekriegt hat?« sagte der Bäcker.
»Das hat sie sich wohl geliehen«, entgegnete Bjerregrav in einem Ton, als wolle er die Frage damit erledigen.
Jeppe meinte höhnisch: »Wer wollt' 'ner armen Steuermannswitwe wohl dreihundert Kronen leihen, denn könnt' man sein Geld ja man lieber gleich ins Wasser werfen.«
Aber Bäcker Jörgen rückte Bjerregrav hart auf den Leib. »Du hast ihr das Geld gegeben, das hast du getan; kein anderer Mensch würd' so schafsdämlich sein!« sagte er drohend.
»Laß mich in Ruh,« stammelte Bjerregrav, »ich hab' euch nichts getan. Und sie hat einen frohen Tag mitten in all der Trauer.« Seine Hände zitterten.
»Du bist 'n Rindvieh!« sagte Jeppe kurz.
»Was denkt Bjerregrav eigentlich, wenn Bjerregrav so dasteht und in das Grab hineinsieht?« fragte der junge Meister, um das Gespräch abzulenken.
»Ich denke: Nun ziehst du dahin, wo du es besser hast als hier!« sagte der alte Schneider treuherzig.
»Ja, denn Bjerregrav folgt ja nur bei armen Leuten«, sagte Jeppe ein wenig höhnisch.
»Ich kann es nich' lassen, ich muß immer denken, wenn er nu angeführt wird«, fuhr Meister Andres fort. »Wenn er nu dahinkommt und sich auf allerlei gefreut hat – und wenn da denn nichts is! Darum mag ich auch keine Leichen sehen.«
»Ja, siehst du, das is ja die Sache – wenn da nu nichts nich' is?« Bäcker Jörgen wand seinen dicken Körper. »Denn hier gehen wir herum und bilden uns 'ne ganze Masse ein; aber wenn das Ganze nu bloß Lügen sind?«
»Das is ja der Geist des Unglaubens«, sagte Jeppe und stampfte hart auf den Boden.
»Gott bewahre meinen Mund vor Unglauben,« entgegnete Bruder Jörgen und strich sich feierlich über das Gesicht, »aber gegen die Gedanken kann man sich wohl nich' gut verwahren. Und was sieht man rund um sich herum? Krankheit und Tod und Halleluja. Wir leben und wir leben, will ich dir sagen, Bruder Jeppe – und wir leben, um zu leben! Aber ich sag' Herrje für die Ärmsten, die noch nich' geboren sind!« Dann versank er in Sinnen, wie gewöhnlich, wenn er an Klein-Jörgen dachte, der nicht zur Welt kommen und seinen Namen und das Ebenbild seiner Person annehmen und für ihn weiterführen wollte. Da lag nun sein Glaube, da war nichts zu machen. Und die anderen fingen an, leise zu sprechen, um ihn nicht in seiner Andacht zu stören.
Pelle tummelte sich mit allem zwischen Himmel und Erde und hatte seine abstehenden Ohren jedem Wort zugewandt, das fiel, aber wenn die Rede auf den Tod kam, dann gähnte er. Er war selbst nie ernstlich krank gewesen, und seit Mutter Bengta starb, hatte der Tod keinen Eingriff in seine Welt getan – glücklicherweise, denn da hieß es: Alles oder nichts, Pelle hatte nur Vater Lasse. Für Pelle existierte der harthändige Tod gar nicht, er begriff nicht, daß sich die Leute mit der Nase in die Luft hinlegen konnten, so viel wie es hier zu beobachten gab – die Stadt gab schon genug zu tun.
Gleich am ersten Abend jagte er hinaus und suchte die anderen Knaben auf, gerade dahinein, wo der Schwarm am dichtesten war. Da war nichts, worauf er warten brauchte, Pelle war daran gewöhnt, den Stier bei den Hörnern zu fassen – und er sehnte sich danach, sich Geltung zu verschaffen.
»Was für 'ne Göre is das?« sagten sie und scharten sich um ihn.
»Ich bin Pelle«, sagte er und stand sicher mitten in der Schar und sah sie alle an. »Ich bin auf Steinhof gewesen, seit ich acht Jahr alt war, und das is der größte Hof im Nordland.« Er hatte die Hände in die Taschen gesteckt und spuckte gleichgültig aus, denn dies war ja noch gar nichts gegen das, was er noch im Hinterhalt hatte.
»Na, denn bist du ja ein Bauer«, sagte einer, und die anderen lachten. Rud war unter ihnen.
»Ja,« sagte Pelle, »und ich hab' versucht zu pflügen – und Mengkorn für die Kälber zu mähen.«
Sie blinzelten einander zu. »Bist du wirklich ein Bauer?«
»Ja woll, bin ich das«, antwortete Pelle verwirrt; sie betonten das Wort auf eine eigene Weise, wie er jetzt bemerkte.
Da brachen sie alle in ein Gelächter aus: »Er gesteht es selbst ein. – Und er is von dem größten Hof – er is der größte Bauer im Lande.«
»Nein, der Bauer, der hieß ja Kongstrup,« sagte Pelle bescheiden – »ich war nur Hirtenjunge!«
Sie brüllten vor Lachen. »Er versteht es nich' mal, das is weiß Gott der größte Bauernlümmel!«
Pelle verlor jedoch den Kopf nicht, er hatte gewichtigeres Geschütz, und nun wollte er einen Trumpf ausspielen. »Und da auf dem Hof, da war ein Knecht, der hieß Erik, der war so stark, daß er drei Männer prügeln konnte; aber der Verwalter war noch stärker, und der schlug Erik so, daß er seinen Verstand verlor!«
»So? Wie hat er das denn angefangen? – Kann man einen Bauer denn so schlagen, daß er seinen Verstand verliert? – Wer hat dich denn so geschlagen?« Die Fragen regneten auf ihn herab.
Pelle rückte dem, der die letzte Frage gestellt hatte, auf den Leib und bohrte die Augen in die seinen hinein. Aber der Bengel wich zurück. »Nimm deinen guten Anzug in acht,« rief er lachend, »und zerknüll' deine Manschetten nich'.«
Pelle hatte eine reingewaschene blaue Hemdbluse unter der Jacke, Hals und Handbund dienten als Kragen und Manschetten; er wußte ganz genau, daß er rein und fein war, und nun bissen sie sich gerade darin fest.
»Und was für 'n Paar Elbkähne er an hat, Herr du meines Lebens, die decken ja den halben Hafenplatz zu!« Das waren Kongstrups Schuhe, Pelle hatte mit sich gekämpft, ehe er sie an einem Werktagabend angezogen hatte.
»Wann hast du Umzugstag gefeiert?« fragte ein dritter, das war eine Anspielung auf Pelles dicke rote Wangen.
Jetzt war er kurz daran, aus der Haut zu fahren, er ließ die Augen suchend umherschweifen, ob da nicht irgend etwas war, womit er um sich schlagen konnte; denn dies endete ja unfehlbar mit einem Kampf gegen die ganze Schar. Nun, Pelle hatte schon früher alle gegen sich gehabt.
Aber dann trat ein langer dünner Bursche vor. »Hast du 'ne hübsche Schwester?« fragte er.
»Ich hab' gar keine Geschwister«, antwortete Pelle kurz angebunden.
»Das is ja schade. Kannst du denn Verstecken spielen?«
Ja, darauf verstand Pelle sich!
»Na also, das kannst du doch!« Der Lange schob ihm die Mütze über die Augen und drehte ihn mit dem Gesicht nach dem Bretterzaun herum. »Du zählst bis hundert – und keine Mogelei, das will ich dir man sagen!«
Nein, Pelle wollte nicht mogeln – weder gucken noch überschlagen – es hing ja soviel von diesem Anfang ab. Aber er gelobte sich heilig und teuer, seine Beine zu gebrauchen, sie sollten gefangen werden, Mann für Mann! Er war fertig mit dem Zählen und nahm die Mütze von den Augen – kein Laut. »Sagt mal piep!« rief er, aber niemand antwortete. Da suchte Pelle eine halbe Stunde zwischen Brettern und Warenschuppen, dann schlich er nach Hause und zu Bett. Aber in dieser Nacht träumte er, daß er sie alle fing, und sie erwählten ihn zum Anführer für alle Zukunft. –
Die Stadt kam ihm nicht mit offenen Armen entgegen, in die er sich mit seinem kindlichen Vertrauen hineinstürzen konnte, um gleich weitergetragen zu werden. Hier verschwieg man offenbar die Heldentaten, die den Menschen anderswo Rückhalt verliehen, sie erweckten nur höhnisches Lächeln. Er versuchte es wieder und wieder, immer mit etwas Neuem! Aber die Antwort war beständig – Bauer! Seine ganze, kleine Person strotzte von gutem Willen, und er wurde kläglich abgewiesen.
Pelle sah bald, wie sein ganzer aufgesparter Fonds ihm unter den Händen zerbröckelte; alles, was er sich daheim auf dem Hof, in dem Dorf an Respekt erkämpft hatte durch seine Kühnheit und seinen guten Willen, das ward hier zu nichts. Hier galten andere Verdienste, ein neuer Jargon, die Kleider waren anders, man setzte die Füße auf andere Weise. Alles, was er hochgestellt hatte, wurde lächerlich gemacht, bis zu der hübschen Mütze mit den Ähren und den Erntegerätschaften darauf. Er kam so sicher in sich selbst ruhend – und machte die schmerzliche Erfahrung, daß er eine lächerliche Erscheinung war. Jedesmal, wenn er mit dabei sein wollte, wurde er zur Seite geschoben; er hatte kein Recht, mitzureden – gefälligst in die allerhinterste Reihe!
Es blieb ihm nichts weiter übrig, als auf der ganzen Linie Rückzug zu trommeln, bis man auf dem untersten Platz angelangt war. Und so schwer wie es für einen flotten Jungen war, der vor Lust brannte, allem seinen Stempel aufzudrücken, Pelle tat es und bereitete sich getrost darauf vor, wieder hinaufzukrabbeln. Wie sehr er auch gerupft wurde, beständig blieb da ein hartnäckiges Gefühl eigenen Wertes zurück; das konnte ihm niemand nehmen.
Er war überzeugt, daß es nicht er selbst war, sondern alle möglichen Dinge an ihm, woran es haperte, und er machte sich rastlos daran, die neuen Werte herauszufinden und den Ausrottungskrieg gegen sich selbst zu führen. Nach jeder Niederlage nahm er sich selbst unverdrossen vor, und am nächsten Abend ging er wieder darauflos – bereichert durch so viele Erfahrungen – und erlitt seine Niederlage an einem neuen Punkt. Er wollte siegen – was auch geopfert werden mußte! Er wußte nichts Prächtigeres, als dröhnend durch die Straße zu marschieren, die Hose in die Schäfte von Lasses alten Stiefeln gestopft das war der Inbegriff von Männlichkeit. Aber er war Mannes genug, auch das zu unterlassen – da man es hier als bäurisch betrachtete. Schwerer ward es ihm, seine Vergangenheit in sich hineinzuschlucken; sie war so unzertrennlich von Vater Lasse, daß ihn das Gefühl des Verrates überkam! Aber da war kein Ausweg; wollte er vorwärts kommen, so mußte er sich in alles hineinfinden, sowohl in Ansichten als auch in Vorurteile. Dafür gelobte er sich aber, ihnen das Ganze ins Gesicht zu schleudern, sobald er erst obenauf war.
Was ihn am meisten bedrückte, war sein Handwerk – es war so wenig Ansehen dabei! Wieviel er sich auch auszurichten vornahm, war und blieb der Schuster doch ein armer Tropf mit pechbesudelter Schnauze und zu großem Hinterteil. Hier nützte die persönliche Leistung nichts, man mußte sehen, daß man sich so bald wie möglich in etwas anderes hinüberrettete.
Aber in der Stadt war er, und als einer ihrer Einwohner – daran ließ sich nicht rühren. Und die Stadt wirkte sowohl groß als auch festlich auf ihn, wenn sie auch die märchenhaften Vorstellungen nicht einlöste, die er noch von damals hatte, als er und der Vater hier an Land gingen. Die meisten trugen ihre Sonntagskleider, und viele saßen da und verdienten viel Geld, ohne daß man wußte womit. Hier mündeten auch alle Wege, und die Stadt sog alles an sich: Schweine und Korn und Menschen – hier fand das Ganze seinen Hafen, früher oder später! Die Sau wohnte hier mit Rud, der in der Malerlehre war, die Zwillinge waren hier! Und eines Tages sah Pelle einen großen Jungen stehen und an einen Torweg gelehnt aus vollem Halse brüllen, die Arme vor dem Gesicht, während ein paar kleine Jungen auf ihn losprügelten; es war Heulpeter, er fuhr als Küchenjunge auf einer Galeaß. Hier floß das Ganze zusammen. Aber Vater Lasse war hier nicht!