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IX

Pelle machte sich nichts daraus, wurde er in einem Punkte niedergeschlagen, gleich erhob er sich auf zwei anderen – er war unüberwindlich. Und er besaß des Kindes reiche Fähigkeit zu verzeihen, sonst müßte er alle Erwachsenen mit Ausnahme von Vater Lasse gehaßt haben. Aber enttäuscht war er!

Es war schwer zu sagen, wer sich am meisten versprochen hatte, der Junge, dessen Kinderphantasie sich das Unglaublichste aus allen Erzählungen aufgebaut hatte, oder der Alte, der selbst schon einmal hier gewesen war.

Aber Pelle vermochte selber dem Dasein einen reichen Inhalt zu verleihen und war nach allen Seiten hin in Anspruch genommen, daß er nur so eben Zeit hatte, die Enttäuschung im Vorüberfahren festzustellen. Seine Welt war übersinnlich wie die des Fakirs: ein kleines Samenkorn konnte im Laufe von Minuten aufsprossen und zu einem mächtigen Baume werden, der alles andere überschattete. Die Ursache entsprach niemals der Wirkung, und hier galt ein anderes Schwerkraftgesetz – die Ereignisse trugen ihn stets empor.

Die Wirklichkeit konnte ihn so hart bedrängen, wie sie wollte, immer kam er aus der Klemme heraus, in irgendeinem Punkt bereichert. Und die Gefahr konnte niemals drohend groß werden, solange Vater Lasse beruhigend mächtig hinter allem aufragte.

Aber – Lasse hatte mehr als einmal im entscheidenden Augenblick versagt, und jedesmal, wenn Pelle mit ihm drohte, wurde er nur ausgelacht. Die Allmacht des Alten konnte nicht neben seiner zunehmenden Abfälligkeit bestehen bleiben, Tag für Tag bröckelte ein wenig davon ab. Pelle mußte, so ungern er es tat, seine Vorsehung fahren lassen und den beschützenden Ausweg in sich selber suchen. Das war reichlich früh, aber er nahm die Verhältnisse auf seine Weise hin. Mißtrauen hatte er sich schon zugelegt – und Scheu! Er machte täglich unbeholfene Versuche, hinter die Worte der Leute und hinter die Dinge zu kommen. Da war ja wieder irgend etwas hinter allem! Oft führte es ihn in Verwirrung, zuweilen aber war der Ausfall auffallend gut.

Da waren Prügel, vor denen man weglaufen konnte, weil der Zorn währenddes verrauchte, und andere Prügel, bei denen es darauf ankam, soviel wie möglich zu weinen. Die meisten schlugen nur, bis Tränen kamen, aber der Verwalter konnte das Flennen nicht ausstehen, da galt es denn, die Zähne zusammenzubeißen und sich hart zu machen. Die Leute redeten beständig davon, daß man die Wahrheit sagen sollte, aber um die meisten Prügel konnte man sich durch eine Notlüge herumdrücken – wenn sie nur gut ausgedacht war, und man sein Gesicht gehörig in der Gewalt hatte. Sagte man die Wahrheit, so saß die Hand immer sehr lose.

Die Prügel hatten auch eine Seite, die nach außen wendete. Rud konnte er hauen, wann er wollte, aber größeren Knaben gegenüber mußte man am liebsten das Recht auf seiner Seite haben – wie zum Beispiel wenn der Vater angegriffen wurde! Dann half der liebe Gott. Hier war ein Punkt, wo der Junge geradezu die Allmacht beiseite schob und sich als Beschützer des Alten fühlte.

Lasse und Pelle zogen Hand in Hand durch das Leben, und doch ging jeder seiner Wege – Lasse fühlte das selber. »Wir fassen jeder an seinem Ende an!« pflegte er mißmutig zu sich selbst zu sagen, wenn der Unterschied zu deutlich ins Auge sprang, »er is im Aufstieg begriffen, der Junge!«

Das sah man am besten an den anderen. Auf die Dauer mußte man den Jungen gern haben, es konnte nicht anders sein. Die Knechte konnten hin und wieder auf den Einfall kommen, ihm irgend etwas zu schenken, und die Mägde waren herzensgut gegen ihn. Pelle war die allerlichteste, werdende Jugend – sie konnten ihn auf einmal, wenn er so da ging, auf den Schoß nehmen und ihn abküssen. Die personifizierte kindliche Unschuld konnten sie in den Arm nehmen und es einen jeden sehen lassen.

»Ja, er wird bei den Frauen beliebt!« sagte Lasse dann. »Das hat er von seinem Vater!« Aber dann lachten sie.

Immer wurde gelacht, wenn Lasse an dem Treiben der Erwachsenen teilnehmen wollte! Das erstemal – ja, da war er gut genug. – »Wo is Lasse?« hieß es damals stets, wenn Branntwein spendiert wurde, oder wenn es sich um einen Scherz oder eine Demonstration handelte – »ruft doch Lasse Karlsson!« Er brauchte sich nicht aufzudrängen, er gehörte von selbst mit dazu. Die Mädchen hatten zu allen Zeiten ein Auge auf ihn gerichtet – ein verheirateter Mann, wie er war; und er trieb Kurzweil mit ihnen. In allen Ehren natürlich, denn mit Bengta war nicht gut Kirschen essen, wenn ihr etwas zu Ohren kam.

Aber jetzt! Ja ja – ja ja! – Er durfte Branntwein für die anderen holen und ihre Arbeit verrichten, wenn sie frei hatten, ohne daß sie ihrerseits etwas für ihn getan hätten. »Lasse – wo is Lasse? Kannst du heut abend für mich füttern? – Kannst du morgen abend meinen Platz in der Häckerlingscheune einnehmen?«

Es war ein Unterschied zwischen damals und jetzt, und Lasse hatte selbst die Erklärung dafür gefunden – er war im Begriff, alt zu werden. Die Entdeckung selbst gab ihm den Rest. Sie breitete den Schein der Abfälligkeit über ihn aus, nahm seinem Sinn die Spannung und seinem Körper die letzten Spannungsüberreste. Am härtesten traf es ihn, als er entdeckte, daß er nichts mehr bei den Mädchen galt, gar nicht mehr in Betracht kam bei ihren Gedanken an Mannsleute. In Lasses Welt wog kein Wort so schwer wie das Wort Mann – schließlich entschieden die Mädchen, ob man es war oder nicht. Lasse war es nicht – er war nicht gefährlich! Er war nichts als ein paar elendige Überbleibsel eines Mannes, ein komischer Rest von etwas Vergangenem – sie lachten laut über ihn, wenn er schön tun wollte.

Das Gelächter zermalmte ihn, und er zog sich zurück und richtete sich niedergeschlagen in seiner Welt des alten Mannes ein. Das einzige, was ihn am Leben erhielt, war die Sorge um den Jungen, und er klammerte sich verzweifelt an seine Stellung als seine Vorsehung. Wenig nur konnte er für ihn tun, um so mehr große Worte machte er; und wenn dem Jungen etwas zustieß, so warf er mit noch gewichtigeren Drohungen gegen die Welt um sich als bisher. Er fühlte auch, daß der Junge im Begriff war, sich zu befreien, und kämpfte einen verzweifelten Kampf, um den letzten Scheinrest seiner Machtstellung zu bewahren.

Aber Pelle war nicht in der Lage, seiner Einbildung unter die Arme zu greifen, – er besaß auch wohl nicht Verstand genug dazu. Er wuchs tüchtig und hatte selber Verwendung für all das Seine. Jetzt, wo der Vater nicht mehr dahinterstand, glich er einer kleinen Pflanze, die ins freie Land hinausgepflanzt ist und einen harten Kampf kämpft, um die Natur ihrer Umgebung zu erkennen und sich ihr anzupassen. Mit jeder Wurzelfaser, die Fühlung mit dem Erdboden erhielt, sank eins der zarten Blätter zur Erde, und zwei kräftige sproßten dafür auf. Ein Gefühl nach dem andern, wie auch die Wehrlosigkeit des Kindes, fiel und machte harthändigeren Gefühlen – denen des Ichs – Platz.

Der Junge war im Begriff, sich selbst aufzubauen – nach unsichtbaren Gesetzen. Er nahm Stellung zu den Umgebungen in allen Punkten, aber er ahmte sie nicht nach. Die Leute auf dem Hofe waren zum Beispiel nicht gut gegen die Tiere. Die Knechte peitschten oft auf die Pferde los, nur um ihrer schlechten Laune Luft zu verschaffen, und die Mägde machten es ebenso mit dem Kleinvieh und den Milchkühen. Und aus diesen Voraussetzungen lernte Pelle Mitleid. Er konnte keine Tierquälerei leiden, und prügelte Rud zum erstenmal, als dieser eines Tages ein Vogelnest ausgenommen hatte.

Pelle war wie ein junges Kätzchen, das alles vor sich hintrundelt. In sein Spiel nahm er, ohne es zu ahnen, viele von den ernsthaften Geschehnissen des Lebens auf und tummelte sich in ausgelassenen Sprüngen damit. Er übte sein Stückchen Geist, wie er seinen Körper übte; drängte sich in alles hinein und wieder heraus; ahmte Arbeiten und Scherze und das sich um die Arbeit wegdrücken nach; lernte, sich zu einem höllischen Kerl aufzublasen, wo die Umgebungen versagten, und sich fast unsichtbar vor Bescheidenheit zu machen, wenn sie ihn zu hart anfaßten. Er bildete sich zu dem kleinen Tausendkünstler, dem Menschen, aus.

Und es wurde immer schwerer, ihn unvorbereitet zu treffen. Das erstemal, wo er sich allen Ernstes mit etwas abgeben sollte, war ihm der Griff in der Regel geläufig; er war so schwer zu überrumpeln wie eine Katze.

 

Es war wieder Sommer. Die Wärme stand still und spielte über der Erde, glitzernd, mit träger Wollust und weichen Gebärden wie die Fische im Bach. Tief drinnen im Lande schimmerte der Saum der Felsen in einem unruhigen Flimmer von Weißblau; darunter erstreckten sich die Felder unter der sengenden Sonne, es trieb über sie dahin wie Pulverrauch, wenn der Roggen blühte. Oben über den Kleefeldern standen die Kühe von Steinhof in langen Reihen, sie ließen die Köpfe schwer hängen und hielten die Schnauzen in regelmäßig schwingender Bewegung. Lasse ging da oben zwischen den Reihen und suchte nach der Spannkeule, hin und wieder sah er bekümmert nach der Wiese und den Dünen hinüber und machte sich daran, das Jungvieh und die Ochsen zu zählen. Die meisten lagen am Boden, einige standen, die Köpfe einander zugewendet und kauten mit geschlossenen Augen. Die Jungen waren nicht zu sehen.

Lasse stand da und überlegte, ob er Pelle nicht einen warnenden Ruf zukommen lassen sollte; es gab einen Höllenlärm, wenn der Verwalter jetzt kam. Aber da ertönten Stimmen in den jungen Tannen zwischen den Dünen, ein nackter Junge kam zum Vorschein und noch einer. Ihre Leiber hoben sich wie goldene Funken von der Luft ab, als sie über das Riedgras dahinliefen, jeder mit seiner fest zugehaltenen Mütze in der Hand.

Sie ließen sich am Bachabhang nieder, die Füße im Wasser, und öffneten vorsichtig die Mützen, um ihren Fang herauszulassen – es waren Libellen. Sobald die Insekten durch die enge Öffnung gekrochen kamen, rissen die Jungen ihnen die Köpfe ab und legten sie in einer Reihe in das Gras. Neun hatten sie gefangen, und neunmal fünfunddreißig – ja, das wurden über drei Kronen. Die schwindelnde Summe machte Pelle skeptisch.

»Wenn das nur nich' bloß Lügen sind!« sagte er und leckte sich an der Schulter, wo er einen Mückenstich hatte. Es hieß, man bekäme für jede Libelle fünfunddreißig Öre in der Apotheke.

»Lügen?« brauste Rud auf. – »Ja, es mag woll sein,« fügte er ganz verzagt hinzu, »es werden woll Lügen sein, denn so was sind immer Lügen. Du kannst mir deine ja auch geben, du!«

Aber das wollte Pelle nicht.

»Dann gib mir fünfzig Öre, dann will ich in die Stadt gehen und sie für dich verkaufen. Sie kosten wirklich fünfunddreißig Öre, denn das hat Karl mir erzählt, und seine Mutter macht in 'er Apotheke rein.«

Pelle stand auf, nicht um die fünfzig Öre zu holen – denn die wollte er um alles in der Welt nicht weggeben – sondern um sich zu vergewissern, daß sie noch in seiner Westentasche lagen.

Als er sich entfernt hatte, hob Rud schnell eine Grassode an dem Abhang in die Höhe, schob etwas darunter und lief in das Wasser hinaus. Und als Pelle mit schwerem, unheilverkündendem Gang zurückkam, kroch er auf das andere Ufer hinauf und lief in großen Sätzen davon.

Auch Pelle lief – in kurzen, hastigen Sprüngen. Er wußte, daß er der Geschwindere war, und das machte ihn übermütig. Er klatschte während des Laufens seinen nackten Körper, als sei der gelenklos, wiegte sich nach den Seiten wie ein Ballon, bäumte sich und stampfte auf den Boden – und stürzte dann weiter. Dann umfingen die kleinen Tannen sie wieder beide, die Bewegungen der Wipfel gaben an, wo sie liefen, ferner und ferner, bis alles still wurde.

Auf den Wiesen kaute das Vieh mit geschlossenen Augen und wachsamen Ohren. Die Wärme stand über der Erde und spielte, flimmernd, nach Luft schnappend – wie ein Fisch im Wasser. Es summte schwer und betäubend; der Laut kam überall und nirgends her.

Oberhalb der Felder kam ein großes, dickes Frauenzimmer gegangen. Sie war im Unterrock, Hemd und Kopftuch, sie beschattete die Augen und spähte. Sie ging schräge über die Wiese hinab, fand Pelles Vorratskorb, nahm den Inhalt und steckte ihn unter das Hemd, auf ihre nackte, schweißige Brust. Dann schlug sie die Richtung nach dem Meere zu ein.

Es knackte am Saum der Tannen, und heraus kam Rud, auf dessen Rücken Pelle hing. Ruds zu großer Kopf hing vornüber, seine Beine schlotterten, seine Stirn, die bei den Augen einfiel und oben an der Haarlinie stark hervorsprang, war voll von blauen Flecken und alten Narben – sie wurden jetzt sehr deutlich sichtbar infolge der Anstrengung. Beide Jungen waren über den ganzen Körper voll roter Stellen von dem Gift der Tannennadeln. Pelle ließ sich auf die Wiese niederfallen und blieb auf dem Bauch liegen, Rud ging langsam hin, holte das Fünfzigörestück und reichte es zögernd dem Besitzer. Er duckte sich überwunden, aber in seinem Blick lauerte der Gedanke an einen neuen Streich.

Pelle betrachtete die Münze zärtlich. Jetzt hatte er sie seit dem April gehabt, seit damals, als er das Haselfett kaufen sollte; alles Begehrenswerte hatte er sich dafür gekauft, und zweimal hatte er sie verloren – er liebte das Geldstück. Es war wie ein Kribbeln in den Fingern – im ganzen Körper, immer forderte es ihn auf, es auszugeben, kam bald mit diesem, bald mit jenem Vorschlag. Rollen, rollen! Danach sehnte es sich offenbar; und das kam daher, weil es rund war, sagte Vater Lasse. Aber reich werden, das hieß: das Geld im Rollen aufhalten! Pelle, der würde schon reich werden! Und dann kribbelte es beständig in ihm, das Geldstück auszugeben, es so auszugeben, daß er alles dafür bekam – oder etwas, das er sein ganzes Leben haben konnte.

Sie saßen an dem Abhang am Bach und zankten sich; Rud hatte es darauf abgesehen, zu imponieren, er saß da und prahlte, um Eindruck zu machen. Er bog die Finger hintenüber und bewegte die Ohren, er konnte sie lauschend vornüber legen wie ein Pferd. Das alles ärgerte Pelle mächtig.

Plötzlich hielt er inne. »Krieg ich nun eigentlich die fünfzig Öre? Dann sollst du auch zehn Kronen haben, wenn ich erst groß bin.« Rud sammelte Geld – er war schon geizig – hatte eine ganze Schachtel voll Münzen, die er der Mutter weggenommen hatte.

Pelle besann sich eine Weile. »Na denn, du wirst ja doch nie groß – du bist ja ein Zwerg!« Der pure Neid klang aus seiner Stimme.

»Das sagt die Sau auch! Aber denn laß ich mich auf den Jahrmärkten und Johannisabend im Walde für Geld sehen. Denn werd ich fürchterlich reich!«

Es tat Pelle inwendig weh. Sollte er ihm die ganzen fünfzig Öre geben, für gar nichts? Das hatte noch nie einer getan, soviel er wußte. Und dann einmal, vielleicht, wenn Rud schrecklich reich wurde, kriegte er die Hälfte ab. – »Willst du es haben?« fragte er, bereute es aber gleich wieder.

Rud streckte begehrlich die Hand aus, aber Pelle spuckte hinein: »Es hat woll Zeit, bis wir gegessen haben«, sagte er und ging nach dem Vorratskorb hinüber. Eine Weile standen sie beide da und glotzten in den leeren Korb hinein.

»Die Sau is hier gewesen!« sagte Rud und steckte die Zunge aus.

Pelle nickte: »Sie is der leibhaftige Satan.«

»Ein Diebsweib«, sagte Rud.

Sie sahen zu der Sonne hinauf, um die Zeit zu bestimmen. Rud behauptete, wenn man sie sehen könne, indem man sich vornüber beugte und zwischen die Beine hindurchsah, dann sei die Uhr fünf. Pelle fing an, sich wieder anzuziehen.

Rud umkreiste ihn. »Du,« sagte er plötzlich, »wenn ich es kriegen kann, denn darfst du mich mit Nesseln peitschen.«

»Auf 'n bloßen Leib?« fragte Pelle.

Rud nickte.

Mit einem Sprung war Pelle wieder aus den Hosen heraus und bei einer Nesselgruppe. Er riß sie mit Hilfe eines Klettenblattes aus, so viele wie er umklammern konnte, und kehrte zurück. Rud legte sich auf den Bauch, über einen kleinen Hügel, und das Peitschen begann.

Die Verabredung lautete auf hundert Hiebe, aber als Rud zehn bekommen hatte, sprang er auf und wollte nicht mehr.

»Denn kriegst du auch das Geld nich'«, sagte Pelle. »Willst du oder willst du nich'?« Er war rot infolge der Spannung und Anstrengung. Der Schweiß stand ihm schon in Perlen auf seinem schlanken Rücken, – er hatte gut zugehauen. »Willst du, oder willst du nich'? – Denn meinetwegen fünfundsiebzig Hiebe!« Pelles Stimme zitterte vor Eifer, er mußte die Nasenlöcher blähen, um Luft genug zu bekommen, seine Glieder fingen an zu beben.

»Nee – sechzig – du schlägst so hart! Und denn will ich das Geld erst haben, sonst kannst du mich betrügen.«

»Ich betrüge nich'«, sagte Pelle finster. Aber Rud beharrte auf seinem Verlangen.

Pelle wand sich. Er war wie ein Wiesel, das Blut geschleckt hat. Mit einem Ruck schleuderte er Rud die Münze hin und stieß ihn knurrend um. In ihm weinte es, weil er auf die vierzig Schläge verzichtet hatte, aber er gelobte sich selbst, um so kräftiger zuzuhauen.

Dann schlug er, langsam und mit seiner ganzen Kraft, während Rud den Kopf ins Gras hineinbohrte und das Geldstück fest umklammerte, um Kraft zu sammeln. Es lag Haß in jedem Schlage, den er schlug, und sie gingen wie Stöße durch den Leib des Kameraden, aber der jammerte nicht. Nein, sein Jammern hatte keine rechte Art, die Münze, die er in der Hand hielt, nahm wohl die Schmerzen weg. Aber um Pelles Körper flammte die Luft wie Feuer, die Arme fingen an, vor Müdigkeit zu versagen, mit jedem Schlag sank seine Lust – es war nur eine Arbeit, nichts als saure Arbeit. Und das Geldstück – die schönen fünfzig Öre – entglitten ihm mehr und mehr, fortan würde er wieder arm sein – und Rud weinte nicht einmal. Bei dem sechsundvierzigsten Schlag drehte er das Gesicht herum und steckte die Zunge aus. Da fing Pelle auf einmal an laut zu brüllen. Er warf die faserigen Nesselstengel weit weg und lief auf die Tannen zu.

Da saß er den Rest des Tages unter einer Düne und trauerte um seinen Verlust, während Rud unten unter dem Abhang am Bach lag und seinen blasigen Körper mit nassem Lehm kühlte.


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