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XXV

Zwei Männer tauchten aus dem Walde auf und kreuzten die Landstraße. Der eine war klein und bucklig, er hatte einen Schustertisch fest auf den Rücken geschnallt; der Rand ruhte auf dem Buckel und ein kleines Kissen war dazwischen geschoben, damit er nicht scheuern sollte. Der andere war jung und stark gebaut, ein wenig mager, aber gesund und frisch von Farbe. Er trug ein großes Bündel Leisten auf dem Rücken, sie wurden im Gleichgewicht gehalten von einem Kasten, den er vorn auf der Brust trug und der, nach dem Geräusch zu urteilen, Werkzeug enthalten konnte. Am Grabenrande warf er seine Last hin und schnallte dem Buckligen den Tisch ab. Sie schmissen sich ins Gras und starrten in den blauen Himmel hinein. Es war ein herrlicher Morgen, geschäftig flogen die Vögel hin und her und zwitscherten, und drinnen in dem betauten Klee ging das Vieh und schleifte lange Streifen hinter sich drein.

»Und trotzdem bist du immer fröhlich?« sagte Pelle. Sort hatte ihm die traurige Geschichte seiner Kindheit erzählt.

»Ja, siehst du, oft ärgert es mich ja auch, daß ich alles so leicht nehme – aber wenn mir nun durchaus nichts einfallen will, worüber ich traurig sein könnte! Gehe ich einmal der Sache auf den Grund, dann stoße ich immer auf irgend etwas, was mich noch fröhlicher macht – wie nun zum Beispiel deine Gesellschaft. Du bist jung, und die Gesundheit strahlt dir aus den Augen. Die Mädchen werden so freundlich, wohin wir auch kommen, und es ist, als wäre ich selbst die Ursache zu ihrer Freude.«

»Woher hast du eigentlich deine Kenntnisse von allen Dingen?« fragte Pelle.

»Findest du, daß ich so viel weiß?« Sort lachte fröhlich. »Ich komme so viel herum und sehe so viele verschiedene Häuslichkeiten, wo Mann und Frau einig miteinander sind – und andere, wo sie leben wie Katz und Hund. Mit Leuten jeglicher Art komme ich in Berührung. Viel bekomme ich auch zu wissen, weil ich nicht so bin wie die anderen Menschen – mehr als ein Mädchen hat mir ihr Elend anvertraut! – Und dann im Winter, wenn ich allein sitze, denke ich über all die Dinge nach – die Bibel ist auch ein gutes Buch, woraus man Weisheit schöpfen kann. Da lernt man hinter die Dinge gucken; und wenn du erst weißt, daß alles seine Kehrseite hat, dann lernst du auch deinen Verstand gebrauchen. Du kannst hinter ein jedes Ding gehen, wohinter du gehen willst; dann führen sie alle an einen Ort – zu Gott; von ihm ist ja auch das Ganze ausgegangen. Es ist der Zusammenhang, siehst du; und hat man den erst erfaßt, dann ist man immer glücklich. Ergötzlich würde es auch sein, den Dingen weiterhin zu folgen – dahin, wo sie sich teilen, und nachweisen, daß sie trotzdem wieder schließlich in Gott zusammenlaufen. Aber das vermag ich nicht!«

»Wir sollten wohl sehen, daß wir weiterkommen.« Pelle gähnte und fing an, sich zu rühren.

»Warum? Wir haben es hier so gut – und erreichen schon das, was wir uns vorgenommen haben! Sollten da ein paar Stiefel liegen, die Sort und Pelle nicht versohlt bekommen, ehe sie sterben, so richtet ein anderer das schon aus!«

Pelle warf sich wieder auf den Rücken und zog die Mütze über die Augen – er hatte keine Eile. Nun war er fast einen Monat mit Sort gewandert und war beinahe ebensoviel auf den Landstraßen gewesen, wie er auf dem Arbeitsstuhl gesessen hatte. – Sort hatte keine Ruhe, wenn er irgendwo ein paar Tage gewesen war, dann mußte er weiter! Er liebte den Waldesrand und die Feldgräben und konnte dort halbe Tage verbringen. Und Pelle fehlte es nicht an Anknüpfungspunkten für dieses müßige Leben in der freien Luft, er hatte seine ganze Kindheit, aus der er schöpfen konnte. Stundenlang konnte er daliegen und auf einem Grashalm kauen – geduldig wie ein Rekonvaleszent –, während Sonne und Luft ihre Arbeit an ihm verrichteten.

»Warum predigst du mir nie etwas vor?« sagte er plötzlich und guckte schelmisch unter der Mütze hervor.

»Warum sollte ich wohl predigen – weil ich fromm bin? Das bist du ja auch; jeder, der froh und zufrieden ist, der ist fromm.«

»Ich bin keineswegs zufrieden!« entgegnete Pelle und rollte sich auf den Rücken, alle viere in der Luft. »Aber du – ich begreife nich', daß du dir nich' eine Gemeinde schaffst, du hast ja das Wort in deiner Macht.«

»Ja, wenn ich so gestaltet wäre wie du – dann würde ich es schon tun. Aber nun bin ich ja bucklig!«

»Was tut das? Du machst dir ja doch nichts aus den Frauen.«

»Nein, aber ohne die kann man nichts ausrichten; sie ziehen die Männer und die Kinder nach sich. Eigentlich ist es sonderbar, daß sie es gerade sein müssen – denn die Frauen, die machen sich ja eigentlich nichts aus Gott! Sie haben nicht die Fähigkeit, hinter die Dinge zu gehen. Sie wählen nur nach dem Äußeren, alles müssen sie sich auf den Leib hängen als Staat – auch die Männer, ja, und den lieben Gott am liebsten auch – sie haben Verwendung für das Ganze.«

Pelle lag eine Weile da und wühlte in seinen zerstreuten Erfahrungen. »Marie Nielsen war aber nich' so«, sagte er sinnend. »Sie schenkte gern das Hemd vom Leibe weg und verlangte nichts für sich selbst. Ich habe treulos gegen sie gehandelt! ich habe ihr nich' einmal Adieu gesagt, ehe ich hinauszog.«

»Dann mußt du sie aufsuchen, wenn wir in die Stadt kommen, und deinen Fehler eingestehen. – Ihr hattet also keine Liebschaft miteinander?«

»Sie betrachtete mich wie ein Kind, das habe ich dir doch gesagt.«

Sort lag eine Weile schweigend da.

»Wenn du mir helfen wolltest, dann wollten wir schon eine Gemeinde gründen! Ich kann es ihren Augen ansehen, daß du die Macht über sie hast, wenn du nur wolltest – wie nun zum Beispiel die Tochter auf dem Weidenhofe. Tausende würden uns anhängen.«

Pelle erwiderte nichts. Seine Gedanken wanderten fragend zurück nach dem Weidenhof, wo Sort und er zuletzt gearbeitet hatten; er war wieder in dem naßkalten Zimmer mit dem allzu großen Bett, in dem das bleiche Mädchengesicht fast verschwand. Sie lag da und umfaßte ihre dicke Flechte mit der durchsichtigen Hand – und sah ihn an; und hinter ihm wurde die Tür leise geschlossen. – »Das war eigentlich ein sonderbarer Einfall,« sagte er und atmete tief auf, »einer, den sie nie vor Augen gesehen hatte; ich könnte noch weinen, wenn ich daran denke.«

»Die Eltern hatten ihr erzählt, daß wir da waren, und gefragt, ob sie nicht wollte, daß ich mit ihr von Gottes Wort reden sollte. Sie sind ja fromm. Aber sie wollte dich lieber sehen. Der Vater war böse und wollte es nicht erlauben. Sie hätte sich bisher nie in ihren Gedanken mit jungen Leuten beschäftigt – sagte er – und sie soll ganz rein vor dem Thron Gottes und des Lammes stehen. Aber ich sagte: ›Weißt du denn so genau, daß der liebe Gott sich was aus dem macht, was du Reinheit nennst, Ole Jensen? Laß die beiden nur zusammenkommen, wenn sie Freude daran haben kann.‹ – Dann machten wir die Tür hinter euch zu, und – wie war es dann?« Sort wandte sich nach ihm um.

»Du weißt es ja,« antwortete Pelle verdrossen – »sie lag bloß da und sah mich an, als dächte sie, so sieht er aus und war so weit heruntergekommen. Ich konnte es ihren Augen ansehen, daß ihr über mich gesprochen hattet und daß sie von allen meinen Schweinereien Bescheid wußte.«

Sort nickte.

»Dann streckte sie die Hand nach mir aus. Wie sie schon einem Engel Gottes gleicht – dachte ich – aber ein Jammer ist es nun doch um eine, die so jung is. Und dann ging ich hin. Und nahm ihre Hand.«

»Und was dann?« Sort drängte sich näher an Pelle heran. Seine Augen hingen erwartend an Pelles Lippen.

»Dann reichte sie mir den Mund ein klein wenig hin, und im selben Augenblick vergaß ich, was für ein Schwein ich gewesen war – ich küßte sie, du!«

»Sagte sie dann nichts zu dir – kein Wort?«

»Sie sah mich nur an mit diesen unbegreiflichen Augen. Da wußte ich nich', was – ich noch weiter tun sollte, und machte, daß ich hinauskam.«

»Warst du nicht bange, daß sie den Tod auf dich übertragen könnte?«

»Nein, warum das? Daran dachte ich nich'. Auf so was konnte sie ja gar nich' verfallen – so kindlich, wie sie war!«

Eine Weile lagen sie beide, ohne etwas zu sagen, da. »Du hast was an dir, was sie alle besiegt!« sagte Sort dann. »Wenn du mir helfen wolltest – – das Wort, das wollte ich schon übernehmen.«

Pelle reckte sich träge – er empfand kein Bedürfnis, neue Religionen zu stiften. »Nein, nun will ich in die Welt hinaus«, sagte er. »Es soll ja Orte in der Welt geben, wo sie schon angefangen haben, auf die Großen loszuschlagen – da will ich hin!«

»Man erreicht nichts Gutes mit Hilfe des Bösen – bleib du nur lieber hier! Hier weißt du, was du hast – und wenn wir zusammen gingen –«

»Nein, hier is nichts zu erreichen für jemand, der arm is, soll ich hier weiter gehen, so ende ich wieder im Dreck; ich will meinen Anteil haben, selbst wenn ich einen Blutsauger darum totschlagen müßte – das kann auch wohl keine so große Sünde sein. – Aber wollen wir nun nich' sehen, daß wir weiter kommen? Einen ganzen Monat sind wir nun auf den Höfen im Südlande herumgetrabt. Immer hast du mir versprochen, daß wir nach der Heide hinüberkommen wollten. Seit mehreren Monaten habe ich nichts von Vater Lasse und Karna gehört. Als es anfing, mir schlecht zu gehen, da war es, als habe ich sie ganz vergessen!«

Sort erhob sich schnell. »Gut, daß du noch Gedanken für anderes hast, als die Blutsauger totzuschlagen. Wie weit ist es denn bis zum Heidehof?«

»Eine gute Meile!«

»Wir gehen gleich dahin. Ich hab doch keine Lust, heute noch etwas anzufangen!«

Sie packten die Sachen auf den Nacken und trabten in fröhlichem Geplauder von dannen. Sort malte sich die Ankunft aus: »Ich gehe dann zuerst hinein und frage, ob sie altes Schuhzeug oder Sielengeschirr haben, das wir flicken sollen; und dann kommst du, während wir mitten in der Unterhaltung sind.«

Pelle lachte. »Soll ich dir nich' den Tisch tragen? Ich kann ihn sehr gut auf das andere aufbinden.«

»Du schwitzt wohl nicht auch noch für mich!« entgegnete Sort lachend. »Denn dann könntest du ja die Hosen ausziehen.«

Sie hatten das Plaudern satt und trabten nun schweigend weiter. Pelle schritt sorglos dahin und sog den frischen Tag ein. Er empfand das Übermaß von Kräften als Wohlbehagen in sich, sonst dachte er an nichts, freute sich nur ganz unbewußt auf den Besuch in der Heimat. Jeden Augenblick mußte er seine Schritte mäßigen, damit Sort nicht hinter ihm zurückbleiben sollte.

»Woran denkst du jetzt eigentlich?« fragte er plötzlich. Es ließ ihm keine Ruhe, daß Sort immer an irgend etwas dachte, sobald er schwieg. Man konnte nie im voraus wissen, in welcher Gegend er wieder auftauchen würde.

»Genau so fragen die Kinder!« erwiderte Sort lachend. »Sie wollen auch immer sehen, was inwendig ist!«

»Dann sag es mir doch – du kannst es mir doch wohl sagen!«

»Ich dachte über das Leben nach. Hier gehst du an meiner Seite, stark und siegesgewiß wie der junge David. Und noch vor einem Monat warst du ein Abschaum der Menschheit!«

»Ja, das is eigentlich auch sonderbar!« sagte Pelle und wurde nachdenklich.

»Aber wie bist du nur so in all dies hineingeraten? Du hättest dich ganz gut über Wasser halten können, wenn du nur gewollt hättest.«

»Das weiß ich wirklich nich'. Es war, will ich dir sagen, als wenn dich jemand auf den Kopf schlägt – und du dann herumrennst und nich' weißt, was du tust; es is auch gar nich' so schlimm, wenn man nur erst so weit is. Man arbeitet und betrinkt sich und schlägt sich dann mit den Flaschen an den Kopf.«

»Das sagst du so vergnügt – du siehst nicht hinter die Dinge, das ist die Sache! Ich habe so viele Menschen zugrunde gehen sehen; für den armen Mann ist es nur ein kleiner Schritt zur Seite, dann geht er vor die Hunde – und glaubt selbst, daß er ein verteufelter Kerl ist. Es war aber doch ein Glück, daß du da herauskamst! – Daß euch aber die Reue nicht das Dasein verbittert!«

»Wenn die Reue kam, dann hatten wir ja den Branntwein«, sagte Pelle erfahren. »Der soll schon alles andere austreiben.«

»Dann hat der ja gewissermaßen auch sein Gutes – er hilft einem über die Wartezeit hinweg!«

»Glaubst du wirklich, daß ein Tausendjähriges Reich kommt? – mit einer guten Zeit für alle, für die Armen und die Elenden?«

Sort nickte. »Gott hat es versprochen, und seinen Worten müssen wir doch wohl glauben.' Da drüben soll irgend etwas in Vorbereitung sein, ob es aber das Rechte ist, weiß ich nicht!«

Sie schritten fürbaß dahin. Der Weg war steinig und öde, nach den Seiten zu begannen die Felsenklippen mit ihrem struppigen Wachstum aus den Äckern aufzuragen, vor ihnen erhob sich die blauende Felslandschaft der Heide. »Sobald wir nun zu Hause gewesen sind, reise ich; ich muß übers Meer und sehen, was sie da vorhaben!« sagte Pelle.

»Ich habe kein Recht, dich zurückzuhalten,« erwiderte Sort still – »aber die Wanderung wird einsam für mich werden, es wird mir immer zumute sein, als habe mich mein Sohn verlassen. Aber du hast natürlich dann an was anderes zu denken, als dich des armen Buckligen zu erinnern! Dir steht ja die Welt offen. Wenn du erst dein Schäflein im Trocknen hast, dann denkst du auch nicht mehr an den kleinen Sort!«

»Ich werde schon an dich denken«, erwiderte Pelle. »Und sobald es mir gut geht, komme ich zurück und sehe mich nach dir um – nicht vorher. Vater wird sich schon gegen meine Reisepläne auflehnen, er will so gern, daß ich den Heidehof von ihm übernehme – aber dann mußt du mir beistehen. Ich habe keine Lust, Bauer zu werden.«

»Das will ich schon tun!«

»Sieh doch nur einmal hier! Nichts als Stein auf Stein mit Heidekraut und struppigem Buschwerk dazwischen! So war der Heidehof noch vor vier Jahren – und nun is es ein ganz schönes Gehöft. Das haben die beiden ausgerichtet ohne fremde Hilfe.«

»Ihr seid aus gutem Holz gezimmert«, sagte Sort. »Aber was für ein armer Kerl ist das da oben auf dem Hügel? Er hat einen großen Sack auf dem Nacken und geht, als wolle er bei jedem Schritte fallen.«

»Das – das is ja Vater Lasse! Hallo!« Pelle schwenkte die Mütze.

Lasse kam auf sie zugestolpert; er ließ den Sack fallen und gab ihnen die Hand, ohne sie anzusehen.

»Kommst du hierher!« rief Pelle erfreut aus, »wir wollten gerade hin und uns nach euch umsehen!«

»Das kannst du dir jetzt sparen! Du bist geizig mit deinen Schritten gewesen. Spare sie dir jetzt nur ganz!« sagte Laste tonlos.

Pelle starrte ihn an. »Was is denn das? Zieht ihr fort?«

»Ja, wir ziehen fort!« Lasse lachte hohl. »Fort – ja, ja! – wir sind fort – und zwar sind wir jeder unseren Weg gegangen. Karna is nun da, wo es keine Sorgen mehr gibt – und hier is Lasse, mit allem, was sein is!« Er stieß mit dem Fuß gegen den Sack und blieb stehen, halb von ihnen abgewandt und den Blick zu Boden gerichtet.

Alles Leben war aus Pelles Antlitz gewichen. Entsetzt starrte er den Vater an, bewegte die Lippen, konnte aber kein Wort herausbringen.

»Hier muß ich zufällig meinen eigenen Sohn antreffen, mitten auf dem öden Felde! Soviel ich nach dir gesucht und gefragt habe – niemand wußte von dir. Dein eigen Fleisch und Blut hat sich von dir abgewandt, dachte ich – aber zu Karna mußte ich sagen, daß du krank seiest. Sie erwartete bestimmt, dich zu sehen, ehe sie von dannen ging. Dann mußt du ihn grüßen sagte sie – Gott gebe, daß es ihm gut ergehen möge. Sie dachte mehr an dich, als es manch eine Mutter tun würde! Schlecht hast du es gelohnt. Es is Jahr und Tag her, seit du deinen Fuß in unser Haus gesetzt hast.«

Pelle sprach noch immer nicht, er stand da und schwankte; jedes Wort traf ihn wie ein Keulenschlag.

»Du mußt nicht zu hart gegen ihn sein«, sagte Sort. »Er ist ohne Schuld – krank wie er gewesen ist!«

»Ach so, du hast auch böse Zeiten durchgemacht und kämpfen müssen, du auch? Dann müßte ich als dein Vater doch eigentlich der letzte sein, der über dich herfällt.« Lasse strich ihm über den Ärmel, und diese Liebkosung schaffte Pelle Luft. »Weine du dich nur aus, mein Sohn, das erleichtert den Sinn. In mir sind die Tränen schon lange ausgetrocknet. Ich muß sehen, wie ich mit meinem Leid fertig werde; es is eine harte Zeit für mich gewesen, das kannst du mir glauben. Manch eine Nacht habe ich bei Karna gesessen und wußte nich' aus noch ein – ich konnte sie ja nich' verlassen und Hilfe schaffen, und da fiel alles um uns her zusammen. Da kann es denn ja sein, daß ich beinahe Böses auf dich herabgewünscht habe. Du warst doch der, der einen freundlichen Gedanken für uns hätte haben sollen, und etwas Nachricht hättest du uns doch immer schicken können. – Aber nun hat das Ganze ja ein Ende!«

»Willst du denn den Heidhof verlassen, Vater?« fragte Pelle still.

»Sie haben ihn mir ja weggenommen«, erwiderte Lasse jammernd. »Ich konnte das Termingeld bei allen diesen Sorgen nich' schaffen, und nun hat ihre Geduld ein Ende. Aus purer Gnade erlaubten sie mir nur, so lange zu bleiben, bis Karna ausgekämpft hatte und glücklich in die Erde gekommen war – jeder konnte ja sehen, daß es sich nich' mehr um viele Tage handelte.«

»Wenn es nur die Zinsen sind,« sagte Sort, »ich habe ein paar hundert Kronen, die ich für meine alten Tage zusammengespart habe.«

»Jetzt is es zu spät, das Gehöft is schon auf einen anderen Mann übertragen. Und selbst, wenn das nich' der Fall wäre was sollte ich jetzt da wohl ohne Karna? Ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen!«

»Wir wollen zusammen hinausziehen, Vater!« sagte Pelle und erhob den Kopf.

»Nein, ich ziehe nirgends mehr hin als nach dem Kirchhof. Ich tauge doch zu nichts mehr. Meinen Hof haben sie mir genommen, und Karna hat sich darauf totgearbeitet, und ich selbst habe meine letzten Kräfte dort niedergelegt. – Und dann haben sie ihn mir einfach weggenommen!«

»Ich will schon für uns beide arbeiten, du sollst es gut haben und deine alten Tage genießen.« Pelle sah licht in die Ferne.

Lasse schüttelte den Kopf. »Ich kann nichts mehr von mir abstreifen – und es liegen lassen und weitergehen!«

»Ich mache den Vorschlag, daß wir nach der Stadt gehen«, sagte Sort. »Oben an der Kirche finden wir sicher einen Mann, der uns da hinfährt.«

Sie sammelten ihre Sachen zusammen und machten sich auf die Wanderung. Lasse ging hinter den anderen drein und redete vor sich hin; von Zeit zu Zeit brach er in eine Klage aus. Dann trat Pelle schweigend an ihn heran und faßte ihn bei der Hand.

»Niemand is da, der sich unserer annimmt und uns gute Ratschläge gibt. – Im Gegenteil, sie sehen es gern, wenn wir unser Leben und unser Glück zusetzen, wenn sie nur ein paar Schilling dabei verdienen können. Selbst die Obrigkeit nimmt sich des armen Mannes nich' an. Er is nur dazu da, daß sie alle auf ihm herumhacken und jeder mit seinem Raub davonfliegen kann. Was machen sie sich daraus, daß sie Not und Unglück und Untergang über uns bringen? – Wenn sie nur ihre Steuern und Zinsen bekommen. Ich könnt' mit kaltem Blut jedem von ihnen das Messer in die Kehle stoßen!«

So fuhr er noch eine Weile fort, sich steigernd – und brach dann zusammen wie ein kleines Kind.


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