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II

Steinhof, das in Zukunft Lasses und Pelles Heim sein sollte, war eines der größten Güter auf der Insel. Aber alte Leute wußten sich zu erinnern, daß, als ihre Großeltern Kinder waren, nur eine Büdnerstelle mit zwei Pferden dort gelegen hatte; das hatte einem Vevest Köller, einem Enkel von Jens Kofod, dem Befreier von Bornholm, gehört. Unter ihm ward aus der Stelle ein Bauernhof – er arbeitete sich zu Tode, gönnte weder sich noch anderen das Essen. Und die beiden Dinge vererbten sich in der Familie von einer Generation auf die andere – das schlechte Essen und das Bedürfnis sich auszubreiten.

Die Felder in dieser Gegend waren vor nicht gar zu vielen Menschenaltern Steine und Heidekraut gewesen; die kleinen Leute hatten die Erde gebrochen und einer nach dem andern hatte sich totgearbeitet, um sie in Kultur zu halten. Rings um Steinhof herum wohnten lauter Häusler und Büdner, die nur zwei Pferde hielten, Leute, die mit Schweiß und Hunger gekauft hatten und von denen man ebensogut denken konnte, daß sie das Grab ihrer Eltern verkaufen würden wie ihren kleinen Besitz; sie hingen daran, bis sie davongingen oder bis irgendein Unglücksfall sie verschlang. Aber die Familie auf Steinhof wollte kaufen – beständig kaufen und sich ausbreiten, und dazu konnte sie nur durch Unglücksfälle gelangen, überall wo Mißwachs und Krankheit und Unglück mit dem Vieh einen Mann betraf, so daß er schwankte, kauften die Köllers. So wuchs Steinhof, bekam viele Gebäude und viel Schwerkraft; es ward ein so schwerer Nachbar, wie das Meer es ist, dort wo es von der Erde des Landmannes zehrt, Feld für Feld, und wo nichts dagegen zu machen ist. So wurde einer aufgefressen und dann der nächste; jeder wußte, daß auch an ihn die Reihe kommen würde, früher oder später. Niemand rechtet mit dem Meere; aber alles, was an Bösem und Unheimlichem über dem Leben des Armen brütete, kam von dort oben hergeschwebt. Dort hausten die Mächte der Finsternis, ängstliche Gemüter zeigten immer nach Steinhof hinauf. »Es ist gut gedüngter Boden«, pflegten die Leute in der Umgegend mit einem eigenen Tonfall zu sagen, der einen Fluch in sich schloß; weiter aber wagten sie sich nicht.

Das Geschlecht der Köllers war nicht sentimental, es gedieh vortrefflich in dem trüben Licht, das aus so vielen ängstlichen Gemütern auf den Hof fiel – und empfand das als Macht. Die Männer waren aufgelegt zu Trunk und Kartenspiel, aber sie tranken nie mehr, als daß sie sehen und ihren Verstand gebrauchen konnten, und verspielten sie zu Anfang des Abends ein Pferd, so pflegten sie im Laufe der Nacht zwei zu gewinnen.

Als Lasse und Pelle nach Steinhof kamen, erinnerten sich ältere Häusler noch des Bauern aus ihrer Kindheit, des Janus Köller, der mehr als alle andern Schwung in die Sache gebracht hatte. In seiner Jugend kämpfte er eines Nachts um zwölf Uhr oben im Kirchturm mit dem Bösen und überwand ihn – und seither gelang ihm alles. Wie sich das nun verhalten haben mochte, jedenfalls ging zu seiner Zeit ein Nachbar nach dem anderen zugrunde, und Janus ging umher und übernahm sie. Hatte er ein Pferd nötig, so gewann er es im Dreikart – und so auf allen Gebieten; der Teufel legte alles für ihn zurecht. Sein größtes Vergnügen war es, wilde Pferde einzufahren, und wer zufällig in der Christnacht um zwölf geboren war, konnte ganz deutlich den Bösen bei ihm auf dem Kutscherbock sitzen und die Zügel halten sehen. Ihm selber ward ein arger Tod zuteil, wie das ja auch nicht anders zu erwarten war! Eines Morgens in der Frühe kamen die Pferde auf den Hof nach Hause gelaufen, und ihn selber fand man am Wegesrand, den Kopf gegen einen Baum zerschmettert.

Sein Sohn war der letzte Steinhöfer Bauer von dieser Familie. Er war ein toller Teufel mit viel Gutem darin; wenn jemand anderer Meinung war als er, so schlug er ihn nieder; aber er half stets denen, die im Unglück waren. Auf die Weise kam es, daß niemals jemand von Haus und Heim mußte; und da es nun doch einmal in ihm lag, daß auch er das Gehöft vergrößern sollte, so kaufte er Land in der Heide und zwischen den Klippen. Aber er ließ es klugerweise als das Jux liegen, das es war. Er band viele durch seine Handreichungen an den Hof und machte sie abhängig, so daß sie es nie wieder verwanden; die Häusler mußten ihre eigene Arbeit liegen lassen, wenn er nach ihnen schickte, und er war nie in Verlegenheit um billige Arbeitskräfte. Was der Mann bot, war kaum Armeleuteessen, aber er aß immer selbst aus der Schüssel mit den anderen. Und der Pfarrer war in seinem letzten Stündlein bei ihm, es war nichts auf seinen Heimgang zu sagen.

Er hatte zwei kerngesunde Frauen totgelegen, und alles, was er davon hatte, war eine Tochter von der letzten. Und sie war nicht einmal so ganz ordentlich. Schon als sie erst elf Jahre alt war, kam das Blut über sie – sie rannte den Männern nach und drängte sich an alle heran. Aber niemand wagte auch nur, sie anzusehen, denn sie waren bange vor dem Schießgewehr des Steinhöfer Bauern. Später legte sie sich auf das strikte Gegenteil, sie staffierte sich mit einem Stock aus wie ein Mann und trieb sich allein draußen in den Klippen herum, statt sich mit etwas Häuslichem zu beschäftigen. Sie ließ niemand an sich herankommen.

Kongstrup, der jetzige Steinhöfer Herr, war fremd. Er kam vor ungefähr zwanzig Jahren von anderswoher nach der Insel, und bis jetzt war noch niemand aus ihm klug geworden. Er hatte damals die Gewohnheit, sich in der Heide herumzutreiben und nichts zu tun, genau so wie sie, und da war es dann ja nicht so wunderlich, daß er vor das Schießgewehr des Alten kam und sich mit ihr verheiraten mußte. Aber schrecklich war es.

Er war ein wunderlicher Kauz, aber vielleicht waren die Leute dort, woher er kam, so? Er hatte bald einen Einfall, bald einen anderen, erhöhte den Tagelohn, ohne daß ihn jemand darum gebeten hatte, und errichtete einen Steinbruch mit Akkordarbeit. So klügelte er gleich zu Anfang allerlei Narrenstreiche aus, überließ es den Häuslern, ob sie freiwillig zur Arbeit auf den Hof kommen wollten; es ging so weit mit ihm, daß er sie im Regenwetter nach Hause schickte, damit sie ihr Korn bergen sollten – während das seine dastand und verfaulte. Aber die Sache ging ja natürlich auch schief, und allmählich mußte er seine Narrheiten wieder in sich hineinfressen.

Die Leute dort in der Gegend fanden sich in die Abhängigkeit, ohne zu murren. Vom Vater auf den Sohn waren sie es gewohnt, durch die Tore von Steinhof ein und aus zu gehen und zu verrichten, was von ihnen verlangt wurde – so pflichtgemäß wie Fronbauern. Dafür ließen sie all ihr Bedürfnis an Tragödie, die ganze Angst des Lebens, die finstere Mystik über Steinhof los. Sie ließen den Teufel da oben hausen, Dreikart mit den Männern um ihre Seelen spielen – und bei den Frauen liegen; und sie nahmen die Mütze vor den Leuten aus Steinhof tiefer ab als vor anderen.

Dies alles hatte sich im Laufe der Jahre wohl ein wenig geändert, der ärgste Stachel war von dem Aberglauben abgeschliffen. Aber die böse Luft, die über Herrensitzen liegt – über allen großen Anhäufungen von dem, was den Vielen gehören sollte – lag auch schwer über Steinhof. Es war das Urteil des kleinen Mannes, seine einzige Rache für sich und die Seinen.

Lasse und Pelle witterten schnell die drückende Luft und sahen mit den halb furchtsamen Augen der anderen, noch ehe sie selbst etwas Eigentliches gehört hatten. Namentlich Lasse hatte ein Gefühl, als könne er hier nie so recht froh werden, so schwer wie es beständig auf einem lastete. Und dann das Weinen, das man sich nicht erklären konnte!

 

Den ganzen langen, lichten Tag war das Weinen aus den Stuben von Steinhof herausgesickert: ho, ho, ho! so wie der Refrain eines traurigen Volksliedes. Jetzt war endlich eine Pause eingetreten. Lasse machte sich auf dem unteren Hof zu schaffen – ihm lag noch immer der Klang im Ohr. Trübselig, ach, so trübselig war es mit diesem ewigen Frauenweinen, als sei ein Kind gestorben oder als säße eine mit ihrer Schande da. Und was konnte da wohl zu weinen sein, wenn man einen Hof von mehreren hundert Morgen Land hatte und in dem großen Haus mit zwanzig Fenstern wohnte. –

»Reichtum, das ist eine Gabe von Gott,
Doch Armut, das ist eine Belohnung.
Wer den Reichtum hat,
Hat das Leben oft satt,
Der Arme, der ist immer zufrieden!«

Karna sang das da drüben in der Milchstube, und weiß Gott, das war wirklich wahr! Wenn Lasse bloß gewußt hätt', woher er das Geld für einen neuen Kittel für den Jungen nehmen solle, so wollt' er nie einen Menschen hier auf der Welt beneiden. Wenn es auch ganz angenehm sein könnt', Geld zu Tabak und zu einem Schnaps hin und wieder zu haben, wenn man anderen deswegen nicht zu nahe zu treten brauche.

Lasse glättete den Misthaufen; er war mit der Mittagsarbeit im Stall fertig und ließ sich gute Zeit. Dies war nur etwas, was er dazwischen schob. Hin und wieder sah er freilich zu den hohen Fenstern empor und griff mit einem Ruck zu, aber die Müdigkeit war doch am stärksten; eine kleine Nachmittagsruhe hätte gut getan, aber er wagte es nicht. Es war still auf dem Hof, Pelle war nach dem Kaufmann gelaufen, um für die in der Küche etwas zu holen, alle Mannsleute waren auf dem Felde, um die letzte Sommersaat unterzupflügen. Man war weit zurück auf Steinhof.

Da kam der Landwirtschaftseleve schnobernd aus dem Stall; er war anders herumgegangen, um Lasse von hinten zu überraschen, der Verwalter hatte ihn geschickt. »Bist du da, du fauler Polizeispion,« murmelte Lasse, als er den Eleven sah, »eines schönen Tages schlag' ich dich noch tot!« Aber er nahm die Mütze tief vor ihm ab. Der lange Eleve ging über den Hof, ohne ihn anzusehen, und fing an, mit den Mädchen unten im Brauhaus zu schäkern. Das ließ er hübsch bleiben, wenn die Knechte zu Hause waren – das Gespenst! Kongstrup trat da oben auf die Treppe hinaus, er blieb eine Weile stehen und sah nach dem Wetter, dann ging er auf den Kuhstall zu. Herrjemine, was für eine Gestalt – er füllte die ganze Stalltür aus. Lasse stellte die Mistgabel hin und eilte hinein, um zur Hand zu sein.

»Na, wie gehts, Alter?« fragte der Gutsbesitzer freundlich, »kannst du mit deiner Arbeit fertig werden?«

»Ach ja, das geht woll«, sagte Lasse. »Aber viel kann man ja nich' machen. Es is 'n großer Viehstand für einen Mann.«

Kongstrup blieb stehen und befühlte das Hinterteil einer Kuh. »Du hast ja den Jungen zur Hilfe, Lasse. Wo ist der übrigens? Ich sehe ihn nicht.«

»Er ist für die Frauenzimmer nach dem Kaufmann.«

»So – wer hat ihn dahin geschickt?«

»Die Frau selbst, glaub' ich.«

»Hm – ist er schon lange weg?«

»Ach ja, er muß woll gleich wieder hier sein.«

»Halt ihn an, wenn er kommt, und schick ihn mit den Einkäufen zu mir herauf – hörst du?«

Pelle war nicht mutig zu Sinn bei dem Gang nach dem Arbeitszimmer; die Frau hatte ihm außerdem befohlen, die Flasche gut unter der Bluse zu verstecken. Es war sehr hoch bis zur Decke da drinnen, an den Wänden hingen feine Jagdgewehre, und oben auf einem Bort standen Zigarrenkisten, eine über der andern, ganz bis an die Decke – als wenn es ein Tabaksladen wäre. Aber das sonderbarste war doch, daß sie eingeheizt hatten, jetzt, mitten im Mai – und bei offenen Fenstern. Sie wußten wohl nicht, wo sie all ihr Geld lassen sollten! Aber wo wohl die Geldkisten waren?

Dies alles und noch viel mehr beobachtete Pelle, während er auf seinen bloßen Füßen an der Tür stand und vor lauter Verlegenheit die Augen nicht aufzuschlagen wagte. Da drehte sich der Großbauer auf seinem Stuhl herum und zog ihn am Kragen zu sich heran. »Laß doch mal sehen, was du da unter der Bluse hast, kleiner Kerl«, sagte er freundlich.

»Das is Kognak!« sagte Pelle und holte die Flasche heraus. »Die Frau hat gesagt, ich sollt' es keinem zeigen.«

»Du bist ein tüchtiger Junge,« sagte Kongstrup und streichelte ihm die Wange, »aus dir wird schon was werden. Gib du mir jetzt die Flasche, dann will ich sie meiner Frau hinbringen, damit niemand sie zu sehen bekommt.« Er lachte herzlich.

Pelle reichte ihm die Flasche, – dort auf dem Schreibtisch stand Geld in einem ganzen Stapel, dicke, runde Zweikronenstücke, eins über dem anderen. Warum bekam denn Vater Lasse nicht den Vorschuß, um den er so sehr gebeten hatte?

Nun kam die Frau herein, und Kongstrup ging gleich hin und schloß das Fenster. Pelle wollte gehen, aber sie hielt ihn zurück. »Du hast ja etwas für mich geholt?« sagte sie.

»Ich habe das Geholte bereits in Empfang genommen«, sagte Kongstrup. »Du sollst es haben, – sobald der Junge gegangen ist.«

Aber sie hielt die Tür zu. Der Junge sollte gerade bleiben und Zeuge davon sein, daß ihr Mann ihr die Waren vorenthielt, die sie in der Küche brauchen mußte – alle sollten es wissen.

Kongstrup ging auf und nieder und sagte nichts. Pelle erwartete, daß er sie schlagen würde; denn sie nahm böse Worte in den Mund, viel schlimmer als Mutter Bengta, wenn Lasse aus Tommelilla nach Hause kam und angeheitert war. Aber er lachte nur. »Jetzt wird es wohl genug sein«, sagte er, führte sie von der Tür fort und ließ den Knaben hinaus.

Lasse war gar nicht wohl dabei. Er hatte geglaubt, der Herr mische sich da hinein, um zu verhindern, daß alle den Jungen schickten – wo er seine Hilfe bei dem Vieh doch so nötig hatte. Und nun nahm es eine so liederliche Wendung.

»Ach so, es war Kognak,« wiederholte er – »ja, dann kann ich es verstehen. Aber daß sie so frei herumgehen kann, wo sie doch mit so 'n Laster behaftet is – er muß ein gutmütiger Bär sein.«

»Er mag ja auch selbst gern was Starkes«, meinte Pelle, der allerlei von den Gewohnheiten des Gutsbesitzers gehört hatte.

»Ja, aber 'n Frauenzimmer, du, das is doch ganz was anders. Bedenk doch, das sind feine Leute. – Ja, ja, es kommt uns woll nich' zu, über die Herrschaft zu räsonieren, wir haben genug mit uns selbst zu tun. Aber ich würd' viel dafür geben, wenn sie dich nich' wieder ausschicken wollt'! Wir können leicht da zu sitzen kommen wie die Laus zwischen zwei Nägel.«

Lasse ging an seine Arbeit. Er seufzte und schüttelte den Kopf, während er Futter heran schleppte, ihm war gar nicht froh zu Sinn.


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