Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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273. Tullia d'Aragona

Quelle: Casimir von Chledowski: »Rom«, erster Band.

Ein Jahrhundert vor der Ninon de Lenclos stand die blendende Tullia im Brennpunkt des Liebesfeuers einer Großstadt. Sie war die Tochter eines Kardinals, stammte aus Siena und verlegte später den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit nach Rom. Im Nebenberuf war sie Verskünstlerin.

In der Galerie zu Brescia befindet sich ein schönes Portrait der Tullia von Alessandro Bonvicino, der sie als Zwanzigjährige gemalt hat. Von einem durch Lorbeerzweige belebten Hintergrund hebt sich ihre Gestalt mit dem Dichterszepter ab, ein roter pelzgefütterter Mantel deckt die Schultern, in die Haare sind Perlen geflochten. Eine merkwürdige Kühle spricht aus den Augen, eine gemachte Ruhe liegt über dem ganzen Gesicht. Sie sieht wie eine raffinierte, gefährliche Kurtisane aus, nicht wie eine begabte Dichterin.

Aus den Berichten der Zeitgenossen geht klar hervor, daß sie damals den Kennern als der unüberbietbare Gipfel der Schönheit und Anmut erschien. Und gerade die auf dem Bild so kühlen Augen schienen wahre Feuersbrünste in den Herzen ihrer Verehrer anzuzünden. Von diesen Augen singt der Dichter Muzio, indem er ihre Leuchtkraft über Sternenglanz und Sonnenlicht erhebt:

      . . . occhi belli,
occhi leggiadri, occhi amorosi e cari,
più que le stelle belle e più que il sole

Auch der Kardinal Ippolito de Medici hat sie und besonders ihr blondes Haar angesungen. Das einzige Gedicht dieses Medici, das sich erhalten hat, gilt der Tullia d'Aragona, die im übrigen in einer wahrhaften Hochflut von Sonetten, zumal aus den Kreisen der Gelehrten, lebte. Sie bedeutete unbedingt das Schönheitsideal der damaligen Akademiker. In einem von ihr verfaßten szenischen Dialog, betitelt »Dell' infinità d'amore«, tritt sie selbst als Hauptperson 383 auf, und es unterliegt keinem Zweifel, daß sie sich im Thema unendlicher Liebe als unbestrittene Sachverständige fühlen durfte.


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