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Quelle: Friedrich Zöllner: «Wissenschaftliche Abhandlungen«. Verlag von L. Staackmann, Leipzig, 1878. Z.
Sir William Crookes ist nicht der einzige Gelehrte von großem Ruf, der eine Säule des Spiritismus geworden ist. Phänomene höchst wunderbarer Art in größter Zahl und Mannigfaltigkeit sind auch von dem berühmten Astrophysiker Friedrich Zöllner in Leipzig beglaubigt und gegen ein Heer von Feinden in nachdrücklichster Weise verteidigt worden. Alle diese Versuche wurden in den Jahren 1877 und 1878 mit dem Medium Henry Slade ausgeführt, und es gibt in der gesamten Weltliteratur kaum eine seltsamere Lektüre als die Seiten in Zöllners »Wissenschaftlichen Abhandlungen«, in denen er über diese Begebnisse berichtet.
171 Zöllner, der im Jahre 1834 in Berlin geboren wurde, wirkte seit 1865 zuerst als Privatdozent, dann seit 1872 als ordentlicher Professor an der Universität Leipzig. Seine Werke: »Grundlage einer allgemeinen Photometrie des Himmels«, »Theorie der relativen Lichtstärke der Mondphasen« und besonders das Buch »Über die Natur der Kometen« sind von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Zöllner starb im April 1882 plötzlich infolge eines Schlaganfalls.
Henry Slades mediumistische Leistungen erlangten bereits im Jahre 1876 Weltberühmtheit, als in London Sitzungen stattfanden, in denen Slade auf verdeckten Tafeln »Geister-Schriften« hervorrief. Alles war über die unerklärlichen Leistungen des Mediums in höchstem Grad verblüfft, bis es dem Zoologen Professor Lankaster gelang, Slade bei einem Betrug zu ertappen. Als dieser wieder einmal eine angeblich unbeschriebene Tafel unter den Tisch brachte, um die Geisterschrift darauf erscheinen zu lassen, entriß ihm Professor Lankaster die Tafel, und man fand, daß die Geisterbotschaft schon darauf stand. Es erfolgte dann gegen Slade eine Anklage wegen Betrugs, und er wurde auf Grund des »Landstreichergesetzes« zu drei Monaten Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. Es glückte einer geschickten Verteidigung zwar, im Berufungsverfahren die Aufhebung dieser Verurteilung aus rein juristischen Gründen zu bewirken, aber die Tatsache des Betrugs konnte nicht weggeleugnet werden.
Aber diese Entlarvung beeinträchtigte, wie das gewöhnlich der Fall ist, Slades Ruf in spiritistischen Kreisen nicht. Er kam im Herbst 1877 nach Berlin, wo er in den Sitzungen wieder die größten Wundertaten ausführte. Um seinem Wirken einen starken moralischen Rückhalt zu verschaffen, machten seine Freunde, darunter der bekannte russische Staatsrat Aksakow, die größten Anstrengungen, um Virchow oder Helmholtz zu bewegen, Slades Leistungen zu prüfen. Die beiden großen Gelehrten verhielten sich jedoch vollkommen ablehnend. Nun wandte man sich an Zöllner in Leipzig, und dieser erklärte sich zu den Untersuchungen bereit, die dann den sensationellsten Verlauf nahmen und Zöllner selbst zu einem begeisterten Anhänger und leidenschaftlichsten Vorkämpfer des Spiritismus bis zu seinem Lebensende machten.
Aus seinen Mitteilungen in den »Wissenschaftlichen Abhandlungen« über die Versuche mit Slade sei hier das folgende wiedergegeben:
„In meiner Wohnung lenkte sich sehr bald das Gespräch wieder auf den erwähnten magnetischen Einfluß, sodaß die Frage meines Freundes, ob ich nicht einen Kompaß zur Hand hätte, ebenso ungezwungen als natürlich war. Indem ich dies bejahte, holte ich einen Himmelsglobus, an dessen Gestell sich unten ein Kompaß befand, setzte ihn auf den Tisch, und Slade bewegte auf unsern Wunsch seine rechte Handfläche horizontal dicht über dem durch Glas fest verschlossenen 172 Gehäuse der Magnetnadel. Letztere blieb unbeweglich, und ich schloß hieraus, daß Slade keine Magnetnadel unter der Haut verborgen haben konnte. Als nun aber Slade abermals, unmittelbar darauf, den Versuch in der angegebenen Weise wiederholte, geriet die Nadel in die heftigsten Schwankungen, wie dies nur mit Hilfe eines starken Magneten hätte bewerkstelligt werden können.
Am nächsten Abend (Freitag, den 16. Nov. 1877) hatte ich in einem Zimmer, welches Slade noch niemals betreten hatte, einen Spieltisch aufgestellt, an welchem 4 Stühle standen. Nachdem Fechner, Professor Braune, Slade und ich Platz genommen und unsere Hände auf dem Tisch übereinander gelegt hatten, klopfte es in dem Tisch. Auf einer zwei Stunden vorher von mir selbst gekauften und mit einem Zeichen versehenen Schiefertafel begann das Schreiben in der gewöhnlichen Weise. Mein Taschenmesser, welches ich Slade zum Abschneiden eines kleinen Stückchens Schieferstift gegeben hatte, wurde auf die Tafel gelegt, diese von Slade seitwärts etwas unter den Rand der Tischplatte geschoben, als plötzlich das Messer in einer Höhe von 1 Fuß emporgeschleudert wurde und auf den Tisch niederfiel, jedoch zu unserm größten Erstaunen geöffnet. Das Experiment wurde noch mehrmals mit gleichem Erfolg wiederholt, und zum Beweis, daß das Messer nicht durch eine Bewegung der Tafel emporgeworfen wurde, legte Slade gleichzeitig mit dem Messer ein Stückchen Schieferstift auf dieselbe und machte zur Fixierung der Lage ein kleines Kreuz auf der Tafel. Unmittelbar, nachdem das Messer fortgeschleudert war, zeigte uns Slade die Tafel, auf welcher das Schieferstückchen unverändert neben dem Zeichen lag.
Die Doppeltafel wurde alsdann, nachdem dieselbe vorher gereinigt und ein Stückchen Schieferstift dazwischen gebracht war, geschlossen und von Slade über dem Kopf von Professor B. gehalten. Man hörte sehr bald das bekannte Kritzeln, und als die Tafel geöffnet wurde, befand sich eine längere Schrift auf derselben. Während dies noch geschah, begann sich plötzlich ein hinter einem Schirm befindliches Bett zu bewegen und rückte etwa 2 Fuß weit von der Wand fort, indem es den Schirm mit fort schob. Slade war hierbei mehr als 4 Fuß von dem Bett entfernt, hatte ihm den Rücken zugekehrt und seine Beine übereinandergeschlagen, jederzeit sichtbar, nach der dem Bett abgewandten Seite gerichtet. Ich rückte hierauf das Bett wieder an seinen ursprünglichen Platz.
Durch das Gelingen des soeben beschriebenen Experiments ermuntert, erneuerte Slade den wiederholt, aber bisher vergeblich angestellten Versuch, die Schrift auf einer Tafel zu erhalten, welche, von ihm garnicht berührt, sich in der Hand eines Andern befindet. Er übergab daher an Professor Scheibner 173 eine von den in Bereitschaft gehaltenen und von mir selbst gekauften Schiefertafeln, ersuchte ihn, sie zunächst unter den Tisch mit seiner Linken zu halten, während Slade sie mit seiner Rechten am Rand festhielt. Scheibner konnte also jederzeit durch einen Zug oder Druck beurteilen, ob die Tafel unter dem Tisch von Slade festgehalten wurde. Die rechte Hand Scheibners und die linke Slades lagen hierbei auf dem Tisch. Nach kurzer Zeit vergeblichen Wartens bemerkte Slade, daß er an seiner die Tafel haltenden Hand die Berührung eines feuchten Körpers fühle, und gleichzeitig konstatierte dasselbe Gefühl auch Professor Scheibner, indem er es mit der Berührung eines angefeuchteten rauhen Filzlappens verglich. Als hierauf Scheibner die Tafel hervorzog, war dieselbe in der Tat auf der oberen Seite sowohl in der Mitte als am Rand etwa 2–3 Zoll breit stark befeuchtet und ebenso die Hände Scheibners und Slades, welche die Tafel gehalten hatten.
Während wir uns noch Rechenschaft zu geben versuchten, auf welche denkbare Weise diese Befeuchtung stattgefunden haben könnte, und alle Hände auf dem Tisch sich befanden, erschien plötzlich dicht vor W. Weber und uns allen sichtbar eine kleine rotbraune Hand an dem Tischrand, die sich lebhaft bewegte und nach 2 Sekunden wieder verschwand. Diese Erscheinung wiederholte sich noch mehrmals.
Um schließlich noch an einem tönenden Körper die Erhebung desselben vom Fußboden zu konstatieren, hatte ich im Innern einer zylindrischen Glasglocke von c. 1 Fuß Höhe und ½ Fuß Durchmesser eine Stahlkugel von etwa dreiviertel Zoll Durchmesser an einem seidenen Faden aufgehängt. Diese so vorbereitete Glocke wurde unter den Tisch gestellt, und sehr bald begann auch hier ein starkes Klingeln mit ungedämpften Tönen, indem die Stahlkugel gegen die Glaswand schlug. Da die Hände Slades sich auf dem Tisch befanden, seine Füße beobachtet wurden und selbst im Fall einer Anwendung derselben doch das Tönen der Glocke durch Berührung mit einem andern Körper verhindert worden wäre, so konnte diese Erscheinung nur durch eine freie Erhebung der Glocke bewirkt werden.
Da wir fast regelmäßig bei allen Sitzungen, (während Slades Hände den Anwesenden sichtbar auf dem Tisch lagen und seine Füße in der mehrfach erwähnten seitlichen Haltung jederzeit beobachtet werden konnten), unter dem Tisch die Berührung von Händen fühlten und, wie oben bemerkt, solche auch vorübergehend unter denselben Bedingungen durch unsern Gesichtssinn wahrgenommen hatten, so wünschte ich ein Experiment anzustellen, durch welches in noch überzeugenderer Weise der Beweis von der Existenz solcher Hände geliefert werden könnte. Ich schlug daher Hrn. Slade vor, ein flaches, bis an den Rand mit 174 Weizenmehl gefülltes Porzellangefäß unter den Tisch stellen zu lassen und dann seinen »Spirits« den Wunsch auszusprechen, daß sie, bevor sie uns betasteten, zunächst ihre Hände in das Mehl steckten. Auf diese Weise mußten sich die sichtbaren Spuren der Berührung an unsern Kleidungsstücken auch nach der Berührung zeigen, und gleichzeitig konnten die Hände und Füße Slades auf zurückgelassene Reste von anhaftendem Mehl untersucht werden.
Slade erklärte sich sofort bereit, die vorgeschlagene Prüfungsbedingung einzugehen. Ich holte einen großen Porzellannapf von etwa 1 Fuß Durchmesser und 2 Zoll Tiefe, füllte ihn bis zum Rand gleichmäßig mit Mehl und stellte ihn unter den Tisch. Während wir uns zunächst um den eventuellen Erfolg dieses Versuchs garnicht kümmerten, sondern noch über 5 Minuten lang die magnetischen Experimente fortsetzten, während welcher Zeit Slades Hände jederzeit sichtbar auf dem Tisch sich befanden, fühlte ich plötzlich mein rechtes Knie unter dem Tisch von einer großen Hand etwa eine Sekunde lang kräftig umfaßt und gedrückt, und in demselben Moment, als ich dies den Anwesenden mitteilte und aufstehen wollte, wurde der Mehlnapf etwa 4 Fuß weit von seinem Platz unter dem Tisch auf dem Fußboden ohne sichtbare Berührung hervorgeschoben. Auf meinem Beinkleid hatte ich den Mehlabdruck einer großen, mächtigen Hand, und auf der Mehloberfläche des Napfs waren vertieft der Daumen und die 4 Finger mit allen Feinheiten der Struktur und Falten der Haut abgedrückt. Eine sofortige Untersuchung der Hände und Füße Slades zeigte nicht die geringsten Spuren von Mehl, und die Vergleichung seiner eigenen Hand mit dem Abdruck im Mehl erwies die Letztere beträchtlich größer. Der Abdruck befindet sich noch heute in meinem Besitz, obschon durch häufige Erschütterungen die Feinheit der Zeichnung durch herabfallende Mehlteilchen allmählich verschlechtert ist.
Viel wichtiger erschienen mir jedoch Versuche, welche dauernd einen bleibenden Eindruck von Berührungen hinterließen, wie dies bei dem Abdruck der Hand in dem mit Mehl gefüllten Napf der Fall war.
Zu diesem Zweck klebte ich einen halben Bogen gewöhnlichen Schreibpapiers auf ein etwas größeres Holzbrett; es war der Deckel einer Holzkiste, in welcher mir Hr. Merz aus München vor 4 Jahren große Prismen für spektroskopische Zwecke gesandt hatte. Über einer stark rußenden Petroleumlampe ohne Zylinder wurde das Papier bei stetiger Bewegung in dem Flammenmantel gleichmäßig mit Ruß überzogen und alsdann unter den Tisch gelegt, an welchem Wilhelm Weber, Slade und ich Platz genommen hatten. In der Hoffnung, auf dem berußten Papier abermals den Abdruck der Hand wie am vorhergehenden Tag zu erhalten, hatten wir zunächst unsere Aufmerksamkeit wiederum 175 den magnetischen Experimenten zugewandt. Plötzlich wurde das Brett unter dem Tisch kräftig, etwa 1 Meter weit, hervorgestoßen, und als ich dasselbe aufhob, befand sich auf demselben der Abdruck eines nackten linken Fußes.
Sofort ersuchte ich Slade, aufzustehen und mir seine beiden Füße zu zeigen. Es geschah dies in der bereitwilligsten Weise; nachdem er seine Schuhe ausgezogen hatte, wurden die Strümpfe auf etwa anhaftende Rußteilchen untersucht, jedoch ohne jedweden Erfolg. Hierauf mußte Hr. Slade seinen Fuß auf einen Maßstab setzen, wobei sich ergab, daß die Länge seines Fußes vom Hacken bis zur großen Zehe 22,5 Zentimeter betrug, während die Länge des Fußabdrucks zwischen denselben Stellen nur 18,5 Zentimeter betrug.
Wollte man nun auf Grund dieser Beobachtungen annehmen, Herr Slade habe selbst durch Aufsetzen seines Fußes auf diese Art den Abdruck erzeugt, so erforderte dies erstens die Annahme, daß Herr Slade die Fähigkeit besitze, sich ohne Anwendung seiner Hände (die stets von uns beobachtet auf dem Tisch lagen), Schuhe und Strümpfe aus- und wieder anzuziehen, und zweitens eine solche Geschicklichkeit im Auftreten auf einen eng begrenzten Raum (die Tafelfläche) besitze, daß er, ohne diese Fläche zu sehen, doch dieselbe stets mit Sicherheit zu treffen vermöge. Sicherlich würde dies eine große Übung zu dem beabsichtigten Zweck bei Herrn Slade voraussetzen und daher naturgemäß die Vermutung erwecken, er habe dies Experiment schon öfter produziert. Abgesehen von dem lebhaften Erstaunen des Herrn Slade und seiner Versicherung, noch niemals solche Phänomene in seiner Gegenwart beobachtet zu haben, sind mir bis jetzt noch in keinem öffentlichen Bericht über Herrn Slades Produktionen ähnliche Tatsachen bekanntgeworden.
Um indessen allen solchen Zweifeln, (und den fast nicht minder wunderbaren Erklärungsversuchen, als die Tatsachen selber sind), zu begegnen, schlug ich Herrn Slade einen Versuch vor, welcher vom Standpunkt der vierdimensionalen Raumtheorie leicht gelingen mußte.
Um eine solche beobachtete Tatsache zu erlangen, nahm ich eine von mir gekaufte Doppeltafel (book-slate). d. h. zwei Tafeln, welche an der einen Seite mit Charnieren aus Messing wie ein Buch zum Aufklappen miteinander verbunden waren. Beide Tafeln beklebte ich (in Abwesenheit Slades) im Innern, auf den einander zugewandten Seiten, wie oben beschrieben, mit einem halben Bogen von meinem Briefpapier, welches unmittelbar vor der Sitzung in der angegebenen Weise gleichmäßig mit Ruß überzogen wurde. Diese Tafel schloß ich und bemerkte Herrn Slade, daß, wenn meine Theorie von der Existenz intelligenter vierdimensionaler Wesen in der Natur begründet sei, es für diese ein Leichtes sein müßte, die bisher nur auf offnen Tafeln erzeugten Fußabdrücke auch im Innern der verschlossenen Tafel herzustellen.
176 Slade lachte und meinte, daß dies absolut unmöglich sein würde; selbst seine »Spirits«, welche er befragte, schienen anfangs über diesen Vorschlag sehr betroffen, antworteten aber schließlich doch mit der stereotypen vorsichtigen Antwort auf einer Schiefertafel: »We will try it« (»Wir wollen es versuchen«).
Zu meiner größten Überraschung willigte Slade ein, daß ich mir die geschlossene Doppeltafel (die ich nach ihrem von mir selbst hergestellten Überzug mit Ruß nicht aus meinen Händen gab) während der Sitzung auf meinen Schoß legte, sodaß ich sie stets zur Hälfte beobachten konnte. Wir mochten in dem hell erleuchteten Zimmer etwa fünf Minuten an dem Tisch gesessen haben, die Hände in der gewöhnlichen Weise mit denen Slades oberhalb des Tischs verbunden, als ich plötzlich zweimal kurz hintereinander fühlte, wie die Tafel auf meinem Schoß herabgedrückt wurde, ohne daß ich das geringste Sichtbare wahrgenommen hatte. Drei Klopflaute im Tisch kündigten an, daß alles vollendet sei, und als ich die Tafel öffnete, befand sich im Innern auf der einen Seite der Abdruck eines rechten, auf der andern derjenige eines linken Fußes, und zwar desselben, den wir bereits an den beiden vorhergehenden Abenden erhalten hatten.
Meine Leser mögen selbst beurteilen, in wie weit es uns nach solchen Tatsachen noch möglich ist, Herrn Slade für einen Betrüger oder Taschenspieler zu halten. Das Erstaunen Slades selber über den gelungenen Versuch war fast größer als das meinige. Mag man also vorläufig über die Richtigkeit meiner Theorie von der Existenz unsichtbarer intelligenter Wesen in einem vierdimensionalen Raum denken was man wolle – als theoretischer Leitfaden für Experimental-Untersuchungen auf dem so verwickelten Gebiet spiritistischer Phänomene wird man ihr nach solchen Resultaten eine gewisse Brauchbarkeit nicht absprechen dürfen.”
Die Theorie von Wesen im vierdimensionalen Raum ist von Zöllner ausführlich entwickelt worden. Er hatte schon vor dem Auftauchen Slades einige physikalische Erscheinungen diskutiert, die solche vierdimensionalen Wesen auszuführen im Stande sein müßten, falls es ihnen unter gewissen Umständen gestattet wäre, sichtbare, d. h. für uns dreidimensionale Wesen vorstellbare Wirkungen in der realen Körperwelt zu erzeugen. Als eine solche Wirkung hatte er ausführlich die Verschlingung eines einfachen Fadens ohne Ende diskutiert. Wenn ein solcher Faden mit seinen Enden zusammengeknüpft und mit einem Siegel versehen worden ist, so müßte ein intelligentes Wesen, das willkürlich vierdimensionale Biegungen und Bewegungen mit dem Faden vornehmen könnte, im Stande sein, ohne Lösung des Siegels einen oder mehrere Knoten in dem einfachen Faden zu knüpfen. Für dreidimensionale Wesen ist das in der Tat etwas ganz Unausführbares. Umsomehr verblüfft es, wenn wir bei Zöllner lesen:
177 „Dieser Versuch ist mir nun mit Hilfe des amerikanischen Mediums Mr. Henry Slade zu Leipzig am 17. Dezember 1877 Vormittags 11 Uhr innerhalb einer Zeit von wenigen Minuten gelungen. Die nach der Natur gezeichnete Abbildung des mehr als 1 Millimeter starken und festen Bindfadens mit den 4 Knoten sowie die Haltung meiner Hände, mit denen die linke Hand des Herrn Slade und noch eines andern Herrn vereint auf dem Tisch lagen, ist aus Tafel IV dargestellt. (Siehe die Abbildung.) Während das Siegel stets vor unser aller Augen offen auf dem Tisch lag und der dort befindliche Teil des Fadens, wie die Figur zeigt, von den Daumen meiner beiden Hände fest gegen die Oberfläche der Tischplatte gedrückt wurde, hing der übrige Teil des Bindfadens auf meinen Schoß herab. Während ich die Schürzung nur eines Knotens gewünscht hatte, waren nach wenigen Minuten die auf Tafel IV naturgetreu abgebildeten vier Knoten in dem Bindfaden.”
Von weiteren Versuchen müssen noch die folgenden wegen ihrer ganz besonderen Merkwürdigkeit erwähnt werden. Wir lesen bei Zöllner:
„Um die auf menschlichem Zeugnis beruhenden Tatsachen uns unerklärlicher Erscheinungen womöglich gänzlich auszuschließen, war ich darauf bedacht, solche Experimente zu ersinnen, bei denen die als Endresultat hervortretende bleibende Wirkung, nach unserer bisherigen Ausfassung der Naturgesetze, vollkommen unerklärlich ist. Zu diesem Zweck hatte ich folgende Versuche vorbereitet.
Zwei Holzringe, der eine von Eichen-, der andere von Erlenholz, waren 178 jeder aus einem Stück gedrechselt. Der äußere Durchmesser der Ringe betrug zirka 105 Millimeter, der innere zirka 74 Millimeter. Wenn diese beiden Ringe, ohne daß ihr Zusammenhang gelöst wird, in einander gekettet werden könnten, so würde man sich nachträglich durch genaue mikroskopische Untersuchung von dem unverletzten Zusammenhang der Holzfasern überzeugen können. Da außerdem zwei verschiedene Holzarten gewählt wurden, so ist die Möglichkeit, beide Ringe aus ein und demselben Stück Holz zu schneiden, gleichfalls ausgeschlossen. Zwei solche ineinandergeketteten Ringe würden demnach für sich ein Wunder darstellen, d. h. eine Erscheinung, die wir auf Grund unserer bisherigen Vorstellungen vom Zustandekommen physikalischer oder organischer Prozesse absolut unfähig wären, zu erklären.
Aus einem getrockneten Darm, wie er zur Wurstfabrikation gebraucht wird, wurde ein in sich geschlossenes Band von etwa 4 bis 5 Millimeter Breite und 400 Millimeter Umfang ausgeschnitten. Im Fall in diesem Band eine Knotenschürzung stattfand, konnte gleichfalls nachträglich durch genaue mikroskopische Untersuchung konstatiert werden, ob hierbei der Zusammenhang der Teile jenes Streifens gelöst worden sei oder nicht.
Am 9. Mai d. J., 7 Uhr abends, befand ich mich allein mit Slade in unserem gewöhnlichen Sitzungszimmer. Der Himmel hatte sich im Lauf des Nachmittags unter dem Einfluß eines frischen Winds zu einer seltenen Klarheit aufgehellt, sodaß das nach Westen gelegene Zimmer von den Strahlen der untergehenden Sonne hell erleuchtet war. Die beiden Holzringe nebst dem oben erwähnten, aus einem Stück geschnittenen Band eines Darms, waren an einer zirka 1 Millimeter dicken und 1,05 Meter langen Darmsaite aufgereiht; letztere war mit ihren beiden Enden von mir durch einen Doppelknoten zusammengeknüpft und alsdann in der früheren bei den Bindfäden angegebenen Weise mit meinem Petschaft eigenhändig versiegelt worden. Die beistehende Figur stellt diesen Zustand bei Beginn der Sitzung schematisch dar. (Siehe die Abbildung links.)
Nachdem ich in der gewöhnlichen Weise mit Herrn Slade an dem Tisch Platz genommen hatte, legte ich beide Hände fest auf den oberen Teil der versiegelten Darmsaite. Nachdem einige Minuten verstrichen waren, und Slade wie gewöhnlich während physikalischer Manifestationen Lichter zu sehen behauptete, 179 verbreitete sich ein schwacher Brandgeruch im Zimmer, der unter dem Tisch hervorzudringen schien und etwas an den Geruch von schwefliger Säure erinnerte. Kurz darauf hörte man an dem kleinen runden Tisch mir gegenüber vorübergehend ein Klappern, wie von zwei aneinanderstoßenden Hölzern.
Als ich fragte, ob wir die Sitzung schließen sollten und das Werk vollendet sei, wiederholte sich das Klappern dreimal hintereinander. Unmittelbar hierauf erhoben wir uns, um zunächst die Ursache des Klapperns an dem runden Tisch zu erforschen. Zu unserem größten Erstaunen befanden sich die beiden Holzringe, welche ungefähr 6 Minuten vorher noch an der Darmsaite aufgereiht waren, unversehrt um den Fuß des kleinen Tischs. (Siehe die Abbildung unten.) Die Darmsaite enthielt zwei Schlingen, welche den unversehrten endlosen Darmstreifen in der beifolgend schematisch dargestellten Weise umschlossen. (Siehe die Abbildung oben rechts.)
Unmittelbar nach vollendeter Sitzung rief ich erstaunt und hocherfreut über einen solchen Reichtum von bleibend erzeugten Wirkungen meinen Freund nebst seiner Frau in das Sitzungszimmer. Slade verfiel hierauf in einen seiner gewöhnlichen Verzückungszustände (trance) und teilte uns mit, daß die ihn umgebenden unsichtbaren Wesen bemüht waren, meinem Wunsch gemäß einige Knoten in dem endlosen Darmstreifen zu erzeugen, daß sie jedoch genötigt gewesen seien, ihr Vorhaben aufzugeben, da jener Streifen im Begriff war, während der Operation durch Temperaturerhöhung zu »schmelzen«. Wir würden dies deutlich an einer weißen Stelle des Streifens erkennen. Da ich den Streifen unmittelbar nach beendeter Sitzung in meine Hände genommen und bis 180 zu dieser Mitteilung Slades auch darin behalten hatte, so interessierte mich in hohem Grad die Prüfung der Richtigkeit der soeben erwähnten Behauptung. In der Tat befand sich diese weiße Stelle an dem angegebenen Ort, und als wir zur Bestätigung der angedeuteten Ursache ein anderes Stückchen von einem solchen Darmstreifen über ein Kerzenlicht hielten, erzeugte sich sofort durch die hohe Temperatur eine ganz ähnlich aussehende weiße Stelle.”
Obwohl Zöllner diesen letzten Ergebnissen seine uneingeschränkte Bewunderung zollt, wird der objektive Leser doch sofort bemerken, daß bei den Versuchen die ursprünglichen Absichten nicht erfüllt wurden. Weder waren die beiden ungeleimten Ringe ineinandergekettet, noch befand sich in der endlosen Darmschnur selbst ein Knoten. Nur wenn dies wirklich eingetreten wäre, hätte sich etwas für unser Begreifen ganz Unenträtselbares zugetragen. Was aber wirklich geschah, ist im Vergleich dazu sehr viel einfacher, wenn auch in der von Zöllner beschriebenen Art unerklärbar.
Aber Zöllners Darstellungen können durchaus nicht als das Muster eines wissenschaftlichen Berichts gelten. In den »Wissenschaftlichen Abhandlungen« nehmen die tatsächlichen Angaben immer nur einen kargen Raum ein. Sie sind umgeben von einem Wust der gröbsten Beschimpfungen und heftigsten Angriffe gegen alle Gelehrten, die den Anschauungen des Verfassers nicht beistimmten. Wichtige Nebenumstände der Begebnisse werden dagegen verschwiegen. So hat z. B. Zöllner erst später ganz beiläufig angegeben, daß die Versuche mit den Knoten in versiegelten Bindfäden nicht gleich, sondern erst nach mehreren mißglückten Experimenten gelangen. Wo die bei den ersten Versuchen benutzten Bindfäden und Siegel geblieben sind, erwähnt er überhaupt nicht. So ist es nicht ausgeschlossen, daß Slade sich den einen oder andern davon beschafft und zur Nachahmung des Siegels oder zu anderen taschenspielerischen Kunststücken benutzt haben kann. In einem wirklich endlosen Bandstreifen, in der Darmschnur, gelang ihm die Verknotung ja nicht.
Es ist hier nicht der Ort, auf die zahllosen Einwände näher einzugehen, die gegen Zöllners Versuche erhoben worden sind. Der Kampf hat damals diesseits und jenseits des Ozeans sehr lebhaft getobt. Von vielen ist der normale Geisteszustand Zöllners angezweifelt worden. Näher liegt schon der Einwand, daß er sich gleich nach den ersten Phänomenen so sehr mit Slade identifiziert hatte, daß er ihm unwillkürlich das Gelingen der Versuche erleichtern mußte. Fortab kann er also nicht mehr als objektiver Beobachter gelten.
Wie man die Dinge aber auch betrachtet, müssen sie als ganz besonders wunderbare Geschehnisse gelten, selbst wenn es sich nur um taschenspielerische Kunststücke handelt. Aus diesem Grund schien es angebracht, ihnen in diesem Buch der Wunder einen besonders ausgedehnten Raum zu gewähren. 181