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Quelle: Artur Fürst: »Die Wunder um uns«. Vita, Deutsches Verlagshaus, Berlin-Charlottenburg. Z.
In seinem Buch »Große Männer«, das man als den ersten Versuch einer »biologischen Biographie« bezeichnen kann, stellt Wilhelm Ostwald an einigen Beispielen die schweren körperlichen Katastrophen dar, von denen geniale Menschen häufig betroffen werden, nachdem sie ihre Großtat geleistet haben. Die wissenschaftlichen Forschungen Ostwalds über das Wesen des Genies zerstören leider den schönen Traum der Menschheit, der die Genies, mit purpurnen Königsmänteln bekleidet, strahlend über die Erde wandeln läßt. Es scheint vielmehr, daß die meisten von ihnen schwere Leiden zu erdulden haben, gerade weil sie Genies sind.
„Michael Faraday, auf dessen Entdeckungen die ganze moderne Elektrizitätslehre fußt, ward ein besonders schwer gequältes Opfer seiner Genialität. Nachdem er in unendlicher Mühsal seine erste gewaltige Arbeit ausgeführt hatte, brach er zusammen. Sein Geist erhob sich dann freilich noch hin und wieder zu ganz ungewöhnlichen Höhen, aber sein Leben ist doch fortab nur noch ein fortgesetztes 39 Ringen gegen den Verfall. Er muß allmählich eines seiner Arbeitsgebiete nach dem anderen aufgeben und ist nur zu kurzer Tätigkeit fähig, nachdem er lange Zeit vollkommen geruht hat. »Mein Kopf ist so konfus«, schreibt er einmal, »daß ich wirklich nicht weiß, ob ich meine Worte richtig buchstabiere und schreibe. Ich wußte nicht, daß ich zunächst in einen animalischen Zustand versinken muß, bevor ich auf natürlichem und gesundem Weg herauskommen kann.«
Besonders furchtbar aber war für Faraday der Verlust seines Gedächtnisses. Welche Tragik klingt aus der folgenden Briefstelle: »Letztlich habe ich ganze sechs Wochen gearbeitet, um Resultate zu erhalten und habe auch wirklich welche bekommen; sie sind jedoch alle negativ. Aber das schlimmste dabei ist, daß ich, als ich meine früheren Notizen ansah, gefunden habe, daß ich alle diese Resultate bereits vor acht oder neun Monaten festgestellt hatte; ich hatte sie völlig vergessen.« Man stelle sich die niederschmetternde Enttäuschung eines Forschers von der Größe Faradays vor, wenn er bemerkt, daß er seine letzten Kräfte an eine Sache gesetzt hat, deren Bearbeitung, nachdem er sie bereits einmal ausgeführt, nun einfach lächerlich war.
So stark wie bei Faraday treten die Erschöpfungszustände glücklicherweise nur selten auf. Doch hat Ostwald an allen sechs von ihm angeführten Beispielen nachweisen können, daß eine sehr starke, meistens freilich vorübergehende Herabminderung der geistigen Aktionsfähigkeit bei jedem großen Forscher eintritt, sobald er seine »große Tat« vollbracht.
Als Davy die Natur der Alkalimetalle endgültig festgestellt hatte, verfiel er sofort in eine schwere Krankheit, während der sein Geist gerade so schwach war wie sein Körper. Mayer hatte kaum seine berühmte Schrift »Bemerkungen über das mechanische Äquivalent der Wärme« abgeschlossen (siehe auch Abschnitt 23), als er in einem Anfall von Delirium aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock sprang, wobei er sich schwer verletzte. Nicht lange darauf hatte er eine Gehirnhautentzündung durchzumachen.
Helmholtz pflegte nach größerer Arbeit fast stets eine böse Migräne zu bekommen, die ihm meist einen ganzen Arbeitstag raubte. Diese Erscheinung, so unangenehm sie an sich gewesen sein mag, hat dem Schöpfer der physiologischen Optik jedoch einen großen Teil seiner Gesundheit erhalten, indem sie ihn zwang, immer wieder einen Tag vollkommener geistiger Ruhe in die angespannte Tätigkeit einzuschalten.
Ostwald gibt für dieses Niederbrechen der großen Geisteszentren eine sehr einleuchtende naturwissenschaftliche Erklärung. Beim genialen Menschen werden durch das andauernde, lange und schwere Ringen nach Erkenntnis, das jedem Meisterwerk vorhergeht, bestimmte Zellen des Gehirns außerordentlich stark in 40 Anspruch genommen. Ist die Arbeit vollendet, so sind diese Zellen auch gewöhnlich vollkommen ausgepumpt und müssen durch eine Überernährung aus anderen Teilen des Gehirns wieder aufgefüllt werden, was nur durch eine Verminderung der gesamten geistigen Tätigkeit geschehen kann.
Außerordentlich günstig für den Genialen ist es, wenn er auf der Höhe seines Lebens in den Stand gesetzt wird, sein Arbeitsgebiet zu ändern. Dies war bei Liebig und bei Helmholtz der Fall, und wir sehen die beiden Forscher darum von Höhepunkt zu Höhepunkt schreiten. Denn es ist klar, daß bei einer anderen Art der Arbeit auch andere Gehirnzellen in Anspruch genommen werden, die noch frisch und »gefüllt« vorhanden sind und darum die volle Kraft hergeben können!”