Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Wunder der Technik

190. Antike Erfindungen

Quellen: Bilfinger: »Zeitmessen der antiken Völker«. Stuttgart. – Hermann Diels: »Antike Technik«. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig.

Das Jahrtausend von 300 bis 1300 nach Chr. ist in der Geschichte der Erfindungen wie ein unbeschriebenes Blatt; und es steht auch nicht zu erwarten, daß da noch sonderlich viel hineingeschrieben werden wird. Im Allgemeinen bescheidet man sich, wenn man die Uridee einer Erfindung bis auf die Zeit des Galilei oder Lionardo zurückgeführt hat. Weiter zurückzuforschen erscheint fast durchweg ziemlich aussichtslos. Das eigentliche Altertum scheidet fast gänzlich aus. Die Brennspiegel des Archimedes sind unerwiesen, und die Flugversuche des Dädalus und Ikarus gehören zum Bereich der Fabel.

Um so größeres Erstaunen mußte es erregen, daß neueste Forschungen in dem so unergiebigen Altertum eine ganze Menge von Erfindungswurzeln bloßlegten. Überraschung schließt sich da an Überraschung. Besonders haben es die verdienstvollen, auf umfangreichstes Quellenmaterial gestützten Arbeiten von Hermann Diels klargemacht, daß sogar unter den ganz modernen technischen Mitteln sich viele befinden, die in grauer Vorzeit nicht nur vorgedacht, sondern in praktischem Betrieb waren.

So geht ein Umgestalter unseres ganzen Kleinhandels, der Verkaufsautomat, auf Heron von Alexandrien zurück, von dem uns einundzwanzig Jahrhunderte trennen. Bei Heron war es ein Tempelwunder, von ihm selbst nach ägyptischem Muster vervollkommnet und gebrauchsfertig gemacht. Er beschreibt seinen »Weihwasserautomaten« ganz genau, und aus seiner Darstellung läßt sich erkennen, daß sein Werkzeug nach demselben Grundprinzip arbeitete, wie unsere Schokoladeautomaten. Sein Apparat stand im Altertum vor den Tempeln, um das Weihwasser gegen Einwurf eines Kupferstücks auf die Hände des frommen Tempelbesuchers tröpfeln zu lassen.

Unsere Taxameterdroschke ist ein uraltes Gefährt. Bei Heron heißt es: Mit dem Hodometer (Wegmesser) können wir die auf dem Land zurückgelegten Wegstrecken messen, ohne die Meßkette oder Meßstange mühsam zur Anwendung zu bringen. Vielmehr sitzen wir bequem im Wagen und messen die 266 zurückgelegten Entfernungen einfach an der Drehung der Räder. Heron wie Vitruv geben Beschreibungen der alten Taxameter, bei denen das Schlußergebnis teils durch eine Kugelzählung ermittelt wurde, teils aus der Zeigerstellung auf einem graduierten Kreis abgelesen werden konnte.

Das Schießpulver ist »bekanntlich« um 1300 von Berthold Schwarz erfunden worden, unbekanntlich aber doch bedeutend früher. Ein Rezept des Marcus Graecus lautet nach einer lateinischen Übersetzung des zwölften Jahrhunderts: »1 Teil Kolophonium, 1 Teil Schwefel, 6 Teile Salpeter fein gepulvert aufzulösen in Lein oder Lorbeeröl, dann in ein Rohr oder einen ausgehöhlten Holzschaft zu legen und anzuzünden; es fliegt sofort nach jeder beliebigen Richtung und vernichtet alles durch sein Feuer.« Ein weiteres Rezept aus derselben Zeit nennt direkt die Pulversubstanzen: Salpeter, Schwefel und Kohle. Der Vorläufer dieser Mischung, das Griechische Feuer, wurde schon bei der Belagerung von Konstantinopel 673 von Kallinikos aus Heliopolis mit Erfolg zur Anwendung gebracht.

Die Mitrailleuse und das Maschinengewehr gehen nach den Beschreibungen von Philon, Heron und Vitruv auf Urzeit zurück. Die Bewegungsimpulse und Projektile entsprachen natürlich der alten Kriegführung, das mechanische Prinzip indeß eilte der Zeit voraus; denn dieselbe Kurbeldrehung, welche die Spannung hervorbrachte, bewirkte gleichzeitig, daß jedesmal ein neuer Pfeil für den Schuß eingelegt wurde.

In dem Drama »Agamemnon« des Äschylos (458 v. Chr.) erzählt Klytemnästra in anschaulicher Ausführlichkeit von der Funkentelegraphie; sie beschreibt dort den Lichtweg einer Signalgebung durch »Feuerpost« vom Ida über Lemnos, Euböa usw. bis zum Atriden-Schloß; unmöglich hätte Äschylos diese umständlich-genaue Darstellung frei erfinden können, wenn nicht solche Feuertelegraphie bereits bestanden hätte.

Polybios beschreibt eine Fackeltelegraphie, vermöge deren beliebige Nachrichten buchstabengetreu übermittelt werden konnten; nach einer Anordnung, die deutlich auf das heutige alphabetische System im Depeschendienst hinweist.

Plato besaß eine Weckeruhr; nämlich eine nach dem Prinzip der Wasserorgel gebaute Maschine, die nach Ablauf einer bestimmten Wassermenge einen lauten Ton erzeugte und ihm dadurch das Ende seines Schlafpensums anzeigte.

Selbst die weltumwälzende Erfindung des Gutenberg war, wenigstens theoretisch, schon im klassischen Altertum vorhanden. Ciceros Lehrer Poseidonios hat den Gedanken des beweglichen Buchstabendrucks zuerst ausgesprochen.

Ben Akibas Wort »Alles schon dagewesen« erhält also durch die Geschichte 267 der Erfindungen reichliche Bestätigung. Und neben den Wundern der Mechanik erleben wir durch jene Forschung noch ein Wunder der Chronologie.


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