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Quellen: Keplers Schriften, Ausgabe von Ch. Frisch, Frankfurt a. M., 1858–71. – M. Cantor: »Geschichte der Mathematik«, zweiter Band, Verlag von B. G. Teubner, Leipzig, 1892.
Zu auffälligen Ergebnissen verketten sich bisweilen Zwang und Gegenzwang in der Denklinie bedeutender Männer.
Blaise Pascal wurde eines Nachts von unerträglichem Zahnweh heimgesucht. Um seine Schmerzen zu betäuben, griff er nicht zu einem Opiat, sondern zur Mathematik. Und in dieser Nacht gelang es ihm, durch Gegenzwang gegen rebellische Zahnnerven, die mathematischen Geheimnisse der Kurve »Cykloide« 36 analytisch zu enthüllen, in einer Entwicklung, die seitdem als Lehrsatz in alle Lehrbücher des Fachs übergegangen ist.
Victor Poncelet aus Metz nahm 1812 am russischen Feldzug teil, geriet auf dem Rückzug in russische Gefangenschaft und verbrachte zwei Jahre seines Lebens im Verließ zu Saratow an der Wolga. Von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Bücher und irgendwelches Anregungsmaterial, im Dunkel der Kasematte, entwickelte er aus sich heraus die neue Wissenschaft der projektivischen Geometrie, die ihn unsterblich machen sollte.
Johannes Kepler besaß vor 300 Jahren – ganz ausnahmsweise – einmal Geld und kam dadurch in die für ihn noch nie dagewesene Lage, sich einige Fässer Wein anzuschaffen. Dieser singuläre Glückszustand hätte einen anderen zu Hymnen oder Trinkliedern entflammt. Den Kepler begeisterte er zur Formung einer direkt aus dem Wein geschöpften mathematischen Disziplin: »Doliometrie« (Faßmessung). Diese aus den Weinfässern entwickelten Keplerschen Untersuchungen sind die Grundlage für eine weltbeherrschende Wissenschaft geworden: für die Infinitesimalrechnung.
Auch die komische Note tritt bisweilen im kategorischen Imperativ der großen Forscher hervor. Fehlt auch dabei das wichtige Ergebnis, so gibt sie doch Kunde von der Zwangläufigkeit des mathematischen Denkens:
Gaspard Monge, eines der Häupter der deskriptiven Geometrie, wurde von seinen Freunden, die ihn einmal auf andere Gedanken bringen wollten, in die Große Oper verschleppt. Man gab Mozarts »Don Juan«. Monge folgte mit gespannter Aufmerksamkeit dem Bühnenvorgang, grübelte in den Zwischenakten und brach am Schluß der Oper in den Ruf aus: »Eh bien, qu'est-ce que ça prouve?!« Er hatte das ganze Musikdrama für einen Lehrsatz genommen und sich vergebens angestrengt, darin die gewohnte Ordnung nach Voraussetzung, Behauptung und Beweis zu entdecken.