Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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96. Lionardos Tiergarten

Quelle: Marie Herzfeld: »Leonardo da Vinci«. Verlegt bei Eugen Diederichs, Jena, 1911.

Die Blüten des Wahns gehören, wie schon der vorige Abschnitt zeigt, keineswegs zu den ausschließlichen Vorrechten der Rückständigen. Sie zeigen sich vielmehr auch bei den Auserlesenen, wie sich im hellen Nervengeflecht der Netzhaut im menschlichen Auge ein dunkler Punkt befindet.

Lionardo da Vinci gehörte nach der Quersumme seines Wissens wie nach der Stärke seines Vorahnens gewiß zu den herrlichsten Erscheinungen des Menschengeschlechts. Aber auch er hat seinen dunklen Punkt. In seiner Schrift 125 »Bestiarius« (vergl. die kürzlich erschienene Ausgabe durch Marie Herzfeld) bekennt sich Lionardo u. a. zu folgenden Ansichten:

Die Zikade: diese, durch ihren Gesang, macht den Kuckuck schweigen, stirbt in Öl und wird im Essig wieder lebendig.

Das Rebhuhn: dieses verwandelt sich aus einem Weibchen in ein Männchen.

Das Chamäleon: dieses lebt in der Luft, und in dieser ist es allen Vögeln unterworfen; und um mehr Sicherheit zu haben, fliegt es über die Wolken und findet dort so dünne Luft, daß sie den Vogel nicht trägt, der ihm etwa folgte.

Der Vogel Lumerpa wird in Vorderasien geboren und leuchtet so stark, daß er seinen eigenen Schatten aufzehrt.

Die Viper: diese trägt plötzlichen Tod in ihren Zähnen, und, um keine Zauberweisen zu hören, verstopft sie sich mit dem Schweif die Ohren.

Die Kröte nährt sich von Erde, und immer bleibt sie mager, weil sie sich nie sättigt. So groß ist die Angst, daß diese Erde ihr einmal mangeln könnte.

Die Boa, eine große Natter, die mit sich selbst die Füße der Kuh umwickelt, so daß diese sich nicht rühren kann, melkt sie hierauf derartig, daß sie fast austrocknet.

Das Gnu: Kopf von solcher Größe, daß es ihn nur widerwillig trägt, so daß er immer zu Boden gebückt ist. Sonst wäre das Gnu die schlimmste Pest für die Menschen, denn wer immer von seinen Augen erblickt wird, stirbt sofort.

Der Ibis hat Ähnlichkeit mit dem Kranich; wenn er sich krank fühlt, füllt er seinen Kropf mit Wasser, und mit dem Wasser gibt er sich ein Klystier.

So geschrieben von einem der größten Forscher aller Zeiten um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit.


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