Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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99. Hat Napoleon gelebt?

Quelle: Friedrich M. Kircheisen: »Hat Napoleon gelebt?« Erster Band der »Rara«, Bibliothek des Absonderlichen, herausgegeben von Hanns Heinz Ewers und Heinrich Conrad. Verlag Robert Lutz, Stuttgart, 1910.

Eine so ungewöhnliche Erscheinung wie Napoleon Bonaparte, ein Welterschütterer ohne gleichen wie dieser Kaiser der Franzosen ist im höchsten Grad dazu geeignet, Sagen und Mythen entstehen zu lassen. Wenn auch seine Lebenszeit kaum ein Jahrhundert hinter uns liegt, so gibt es doch bereits eine ganze Reihe phantastischer Schriften, die das Allerseltsamste über Napoleon berichten.

Insbesondere sind die merkwürdigsten Behauptungen über seinen Tod verbreitet worden, da man sich nicht recht vorstellen konnte, daß ein so gewaltiger Mensch gleich irgend einem andern gewöhnlichen Erdbewohner an einem gemeinen Magenkrebs zugrunde gegangen sei. Vielfach wird in Schriften von einer abenteuerlichen Flucht von St. Helena erzählt, und mehrere Verfasser lassen Napoleon dann später in der Türkei als Oberbefehlshaber der osmanischen Truppen im Krieg gegen die Russen auftauchen. Hussein Pascha oder Jussuph Pascha sollen Napoleon gewesen sein.

Aber auch ein entgegengesetzter Standpunkt ist vertreten, nämlich ein solcher, der die materielle Existenz des Kaisers überhaupt leugnet, seine Figur als sagenhaft, als erfunden hinstellt. Unter den Schriften, welche diese Anschauung vertreten, ist besonders eine von J. B. Pérès interessant, die 1837 in Berlin in zweiter Auflage erschien: »Warum Napoleon niemals gelebt hat, oder Großer Irrtum, die Quelle zahlloser Irrtümer in der Geschichte des 19. Jahrhunderts.«

Hierin wird nachgewiesen, daß Napoleon garnichts anderes sei, als die Personifikation – der Sonne. Aus den höchst spitzfindigen Darlegungen der Schrift sei hier folgendes wiedergegeben.

Der Name Napoleon soll eng verwandt sein mit dem Namen des Sonnengotts Apollo (französisch Apollon), was Zerstörer bedeutet. Nach der griechischen Mythologie hat Apollo auf einer Insel des Mittelmeers, auf Delos, das Licht der Welt erblickt. Und so hat man auch den Geburtsort Napoleons auf eine Mittelmeerinsel verlegt. Des Kaisers Mutter hieß Laetitia, was Freude bedeutet, und womit man das Morgenrot bezeichnen wollte, dessen aufgehender Schimmer Freude in der ganzen Natur verbreitet. Auch in dem Namen der 128 Mutter Apollos, Leto oder Latona, glaubt der Verfasser einen Anklang an Laetitia erblicken zu sollen.

Napoleon hatte drei Schwestern. Zweifellos bedeuten diese die drei Grazien, den Schmuck des Hofs Apollos. Die vier Brüder sind die vier Jahreszeiten. Wie Napoleon so schreibt man auch der Sonne zwei Frauen zu. Diese beiden Frauen sind der Mond nach der griechischen Sage und die Erde nach der Mythologie der Ägypter. Zwölf Marschälle hatte der Kaiser an der Spitze seiner Armeen und dazu vier, die nicht im Dienst waren. Nun diese zwölf Marschälle sind unzweifelhaft die zwölf Zeichen des Tierkreises, die unter den Befehlen der Sonne Napoleon ihren Lauf nahmen. Die andern vier Marschälle sind wahrscheinlich die vier Himmelsgegenden mit ihrer unbeweglichen Untätigkeit.

Der große Schlachtenlenker hat gleich der Sonne die südlichen Gegenden ruhmvoll und siegreich durcheilt, aber als er sich zu weit nach Norden wagte, konnte er sich nicht mehr auf der Höhe halten. Napoleon kam zu Wasser aus dem Osten, um über Frankreich zu herrschen und ging, nachdem er zwölf Jahre regiert hatte, im Westmeer unter. Die zwölf Regierungsjahre bedeuten nichts anderes als die zwölf Stunden des Tags, während deren die Sonne am Himmel glänzt.

Aus all dem soll klar hervorgehen, daß der Welteroberer nur eine allegorische Figur ist, daß er niemals gelebt hat. Pérès spottet über die guten Leute, die die Mythologie des neunzehnten Jahrhunderts für Geschichte genommen haben. 129


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