Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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229. Elektrizität von der Sonne

Quelle: Professor Dr. Adolf Marcuse, Aufsatz: »Über Polarlichter« in dem Werk: »Die Wunder der Natur«. Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart, 1912. Z.

Was wollen alle Leistungen der drahtlosen Telegraphie bedeuten gegenüber einer Elektrizitätsübermittlung von der Sonne zur Erde. Wir überbrücken mit unseren Wellenzügen allenfalls Ozeane, hier aber wird die leere und riesenhafte Weite des Weltenraums überwunden. Und die nach so langer Reise ankommende Elektrizität erschöpft sich auf dem Gebiet der Erde nicht im Erschüttern einer schwachen Telephonmembran, sondern sie ruft hier großartige, höchst seltsame Erscheinungen hervor: die Polarlichter.

Die Erscheinungen des Nordlichts und des Südlichts waren lange vom Geheimnis umwoben, und viele Sagen knüpfen sich an dies Phänomen, das zu den eigenartigsten im gesamten irdischen Umkreis gehört. Aber heute ist der Schleier auch hiervon weggezogen, die Ursache wissenschaftlich festgestellt. Das ehrfürchtige Staunen, zu dem diese Erscheinung uns zwingt, ist aber dadurch nur gesteigert worden.

319 Zur näheren Erforschung des Problems hat der Mensch zunächst die Erzeugung bescheidener Polarlichtchen selbst in die Hand genommen. Professor Adolph Marcuse schreibt darüber:

„Man hat auf einem Berg des nördlichen Finnland künstliche Nordlichter dadurch erzeugt, daß man ein Netz von Kupferdrähten mit Spitzen, gegen den Boden isoliert, anbrachte und dann durch einen gleichfalls isolierten Draht mit einer tieferen Wasserschicht in der Erde verband. So entstanden elektrische Ströme zwischen Erdoberfläche und Lufthülle, die ein beständiges Leuchten über jenem Spitzendrahtnetz hervorriefen, in dem zugleich eine spektroskopische Untersuchung deutlich die auffallende grüne Polarlichtlinie zeigte.

Man nimmt jetzt an, daß Polarlichter auf sogenannten Kathodenstrahlen beruhen, die von der Sonne als Energiequelle ausgehen und sich als kleinste elektrisierte Teilchen durch den luftleeren Weltenraum fortpflanzen. Gelangen nun jene Kathodenstrahlen in das magnetische Feld der Erde, die ja nur einen winzig kleinen Raum im Sonnensystem einnimmt, so bilden sich um die Pole unsres Planeten in den höheren, stark verdünnten Luftschichten Gruppen von Kathodenstrahlen, die wiederum aufs neue nach allen Seiten ihre Nebenstrahlen aussenden. So entstehen die als Polarlichter, besonders in der Nähe der magnetischen Erdpole, aber auch des öfteren in tieferen Breiten beobachteten, prachtvollen Leuchterscheinungen der Atmosphäre.

Daß die Quelle dieser Energie tatsächlich in dem Zentralgestirn unsres Planetensystems zu suchen ist, geht nicht nur aus der mit dem Stand der Sonne wechselnden Intensität der Polarlichter, sondern vor allem auch aus der wichtigen Tatsache hervor, daß die Periode der Sonnenflecken vollkommen übereinstimmt mit der Periode der Häufigkeit der Polarlichter. In etwa elfjähriger Periode treten auf der Sonne jene gewaltigen Eruptionsvorgänge auf, die sich in der leuchtenden Hülle unsres Zentralgestirns als Flecken und Fackeln, sowie in der farbigen Hülle der Sonne als Protuberanzen oder riesige Wasserstofferuptionen äußern. Dem jeweiligen Maximum dieser solaren Eruptionsvorgänge entspricht nun ganz genau das Maximum in der Häufigkeit der Polarlichterscheinungen auf der Erde, und dasselbe Abhängigkeitsverhältnis tritt zu den Zeiten der entsprechenden Minima auf. Wahrlich, eine wunderbare elektrische Fernwirkung der Sonne durch den Weltenraum, die sich in allen elektromagnetischen Kraftwirkungen auf der Erde widerspiegelt, insbesondere in den Polarlichtern, in den Störungen der Magnetnadel und in den unsern Planeten unaufhörlich umkreisenden elektrischen Erdströmen.

Gerade die Polarlichter bilden die Brücke zwischen jenen kosmischen Vorgängen auf der Sonne und den durch sie veranlaßten elektromagnetischen 320 Erscheinungen auf der Erde. Diese wunderbare drahtlose Fernwirkung durch den Weltenraum geht aber gerade für die Polarlichter noch viel weiter; kann man doch aus der Periode ihrer Häufigkeit sogar auf die astronomisch festgestellte, etwa 26tägige Rotationsdauer der Sonne schließen! Besonders aus den Beobachtungen auf den Polarstationen zeigt sich nämlich, daß auch die Polarlichter in ihren Variationen eine deutliche 26tägige Periode aufweisen.

In wechselnden, zum Teil äußerst prachtvollen, farbigen Lichterscheinungen treten die Lichter vorzugsweise in den um Nord- und Südpol gelegenen Polarzonen der Erde auf, werden aber gelegentlich auch in mittleren Breiten wahrgenommen. Äußerst mannigfach sind die Formen der Polarlichter, bei denen sich hauptsächlich sechs mehr oder weniger abweichende Arten unterscheiden lassen: Bogen, Fäden, Strahlen, Dunst, Bänder und Draperieformen.

Starke Polarlichter, die manchmal sogar mit knisternden Geräuschen verbunden sind, zeigen sich in der Regel gleichzeitig in den Regionen der nördlichen und südlichen Erdpole. Mit dem Erscheinen der Polarlichter treten mehr oder weniger schwere magnetische Störungen oder sogenannte »Magnetische Gewitter« auf, die sich in unregelmäßigen Bewegungen der Magnetnadel und in Störungen der für die Telegraphie so wichtigen elektrischen Erdströme sogar an Orten zeigen, an denen das Polarlicht selbst nicht sichtbar wird.

Außergewöhnliches erdphysikalisches Interesse beanspruchen endlich die Messungen über verschiedene Höhen, in denen die mannigfachen Erscheinungen der Polarlichter beobachtet worden sind. In den Polargegenden der Erde ist jene elektrische, vielfach farbige Lichterscheinung schon in ziemlich geringen Höhen über dem Boden wahrgenommen worden. Manchmal hat man Polarlichter, z. B. in Grönland, dicht über dem Erdboden gesehen, oft sind sie in andern arktischen Regionen in etwa 1000 Meter Höhe zur Beobachtung gelangt.

Meistens reichen jedoch diese Lichterscheinungen in viel höhere Schichten der Lufthülle hinaus, indem das Aufleuchten von Nordlichtern in vertikalen Erhebungen von 80, 150, 250 und noch mehr Kilometern gemessen werden konnte. Über die äußerste Höhe, zu der Nordlichter in unsrer Atmosphäre emporragen können, ist man überhaupt erst in ganz neuer Zeit durch die epochemachenden Untersuchungen von Professor Störmer sich klar geworden. Auf Grund dieser neuesten Messungen weiß man jetzt, daß sogar bis in Höhen von etwa 450 Kilometern das Aufleuchten der elektrischen Kathodenstrahlen im Nordlicht sichtbar werden kann. Das sind Höhen, wo sicherlich die äußerste Grenze der Lufthülle unsrer Erdkugel zu suchen sein dürfte, vielleicht schon Schichten der Gashülle unsres Planeten, die unmittelbar an die den interplanetarischen Raum erfüllende »Himmelsluft« grenzen.” 321


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