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Quelle: Dr. Conrad Günther: »Vom Urtier zum Menschen«, erster Band. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1909.
Jene bunten Tiere niederster Art, die festgewurzelt und unfähig jeder Fortbewegung auf dem Meeresboden sitzen, pflegen uns als Urbilder der Hilflosigkeit zu erscheinen. Denn wenn sie angegriffen werden, können sie die beste Waffe der Schwachen nicht anwenden: das Fortlaufen. Aber so ganz wehrlos sind sie doch nicht. Die sorgende Natur hat vielmehr die Polypen wie auch ihre schwimmenden Nachkommen, die Quallen, mit höchst raffinierten, vom menschlichen Standpunkt aus direkt modern anmutenden Waffen versehen.
Wenn kleine Tiere sich den Fangarmen eines Polypen genähert haben, so werden sie von diesen dünnen Fäden nicht gepackt, denn dazu sind die Fangarme viel zu schwach, sondern sie werden durch eine austretende giftige Flüssigkeit gelähmt. Das Gift wird durch besonders abgeschnellte Kapseln in den Körper des fremden Tiers hineinbefördert.
An den Fangarmen der Polypen sitzen zu diesem Zweck die Nesselzellen. Sie sind so zahlreich, daß sie sich zu dicken Wülsten anhäufen. Ihr Inneres ist konstruktiv aufs feinste durchgebildet. Es enthält nämlich einen langen spiralig aufgewickelten Faden, der mit einer gewissen Spannung in der Zelle unter einer in deren Wand befindlichen Öffnung liegt. So fein der Spiraldraht ist, enthält er doch noch ein Rohr, in dem das Gift sich befindet. Die Nesselzellen werden von einem ganz dünnen Körperhäutchen umspannt. Sobald dies an einem spitzigen Fortsatz berührt wird, platzt es, und die Kapsel fliegt heraus. Zugleich streckt sich der Spiralfaden, der nun entlastet ist, aus, dringt wie ein Spieß in das angegriffene Tier und lähmt es durch das ausfließende Gift.
Es ist das also eine Art Schrapnellwirkung, die hier beim Polypen schon vor unendlichen Zeiten üblich war, als der Mensch wahrscheinlich noch gar nicht auf der Erde lebte.
Bei gewissen Hohltieren ist die Nesselwirkung so stark, daß auch der Mensch empfindlich gebrannt wird, wenn er die Zellen zur Explosion bringt. Ja in einzelnen Meeresteilen soll die Wirkung des Polypengifts so stark sein, daß der Badende, der sich an solchen Tieren vergreift, gelähmt wird und so unter Umständen ertrinkt.