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Quelle: Wilhelm Bölsche: »Das Liebesleben in der Natur«, zweite Folge. Verlegt bei Eugen Diederichs, Leipzig, 1901.
Ein Kapitel von der Sexualverschwendung der Natur.
Auf einem gut belegten Kaviarbrötchen dürften sich etwa 500 der runden Körner befinden. Nehmen wir an, daß sie von der in der Wolga und dem Schwarzen Meer lebenden Störart herstammen, die am meisten Kaviar liefert: vom Hausen. Dann hätten sich aus den 500 Körnern, da ja jedes von ihnen ein richtiges Ei ist, wenn sie befruchtet worden wären, 500 Hausen entwickeln können. Jedes dieser Tiere wird ungefähr 8 Meter lang. In jedem Kaviarbrötchen verspeist man also gewissermaßen eine Fischmasse von 4 Kilometern Länge.
Nun werden aber im Lauf eines Jahrs von den Leckermäulern in allen Teilen der Erde so viele Kaviarbrötchen verspeist, daß man den Jahresverbrauch in dieser Luxus-Eßware auf rund 10 Milliarden Störeier schätzt. Wenn nun die Fortpflanzungsverhältnisse beim Hausen ebenso lägen wie beim Huhn, so nämlich, daß jedes Hausenweibchen in seinem Innern nur ein einziges entwickeltes Ei bärge, dann müßten sich, da man zur Gewinnung des Kaviars den ganzen weiblichen Fisch fangen und aufschneiden muß, im Schwarzen Meer und seinen Zuflüssen so viele Hausenexemplare befinden, daß für Wasser darin gar kein Platz bliebe. Die Wirklichkeit ist jedoch ganz anders. Denn jedes Hausenweibchen stellt ein wahres Riesenbehältnis für Kaviar dar. Es sind einzelne Hausen gefangen worden, die bei 1400 Kilogramm Gesamtleibesgewicht 400 Kilogramm Eier trugen. Das macht mindestens 3 Millionen Eier in einem einzigen Fisch, genug zum Belegen von 6000 Kaviarbrötchen.
Wie armselig erscheint dagegen das Heringsweibchen mit seinen nur 30 000 Eiern. Die Forelle birgt nur 1000, der Stichling nicht 100 Eier. Der Hecht erst kommt wieder auf 100 000, der Karpfen bis zu einer Million, der Kabeljau übertrifft den Hausen noch, denn bei ihm sollen schon bis zu 9 Millionen Eier in einem Weibchen gefunden worden sein. Die Ursache für diese kolossale Verschwendung der Natur, die durch entsprechende Verhältnisse bei den Männchen ergänzt wird, ist die Unsicherheit der Vorgänge bei der Befruchtung; denn die Fische laichen ins offene Wasser, wobei eine Unzahl von Eiern unbefruchtet zugrunde geht.
81 Da die Fische zu den Urahnen des Menschen gehören, so erklärt sich von hier entwicklungsgeschichtlich die sonst unbegreifliche Tatsache, daß im Eierstock des Menschenweibs die Grundlage zur Entwicklung von 72 000 Eiern gegeben ist, während der Mann Millionen von Befruchtungszellen zu produzieren vermag. Beim Menschen liegen ja die Verhältnisse für die Empfängnis unendlich viel günstiger. Aber das Fischstadium spukt eben wie bei allen andern Säugetieren auch noch hier hinein.