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Quelle: Dr. Alfred Lehmann: »Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart«, deutsche autorisierte Übersetzung von Dr. med. Petersen I, Düsseldorf, zweite Auflage. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart, 1908. Z.
Die Spiritisten sind nicht selten in der Lage, als Anhänger ihrer Anschauungen Männer zu bezeichnen, deren Name, deren Ruf als Beobachter gegen jede Möglichkeit einer Täuschung zu sprechen scheinen. Aber gerade diese Eideshelfer des Spiritismus sind für jeden, der die Vorgänge kritisch prüft, ohne Bedeutung. Ein Medium, das später zugab, Erscheinungen schwindelhaft hervorgerufen zu haben, erklärte einmal einem bekannten Psychologen gegenüber, es habe am liebsten bei Fürsten und Naturforschern zu tun gehabt. Bei diesen sei der Betrug am leichtesten gelungen.
Wenn daher Männer der Wissenschaft als gläubige Spiritisten genannt werden, so beweist dies garnichts. Der Kernpunkt einer wissenschaftlichen Beobachtung ist, daß der Mann der Wissenschaft die Sitzung leitet, nicht aber das Medium oder dessen Helfer. Der Mann der Wissenschaft muß die Bedingungen stellen, unter denen die Erscheinungen eintreten sollen. Das ist der Sinn jeder experimentellen Forschung. Nun behaupten zwar auch wissenschaftliche Forscher, daß sie bei spiritistischen Sitzungen die Bedingungen selbst gestellt hätten. Es hat sich dann aber bei genauerer Prüfung der Berichte herausgestellt, daß dies auf einer Selbsttäuschung der Forscher beruhte, daß diese, wie es so oft geschieht, einige Bedingungen stellten, auf vieles aber, was das Medium tat, gar kein Gewicht legten, weil sie das für nebensächlich hielten, während es in Wirklichkeit für das Zustandekommen der Phänomene die Hauptsache war.
Am besten läßt sich das an den Experimenten des berühmten englischen Naturforschers Sir William Crookes, des Entdeckers des Thalliums, eines der angesehensten Mitglieder der Royal Society in London, zeigen. Es ist das große Verdienst des dänischen Psychologen Alfred Lehmann, nachgewiesen zu haben, daß, soweit man aus den genaueren Veröffentlichungen erkennen kann, nicht Crookes, sondern sein Hauptmedium Daniel Dunglas Home die Bedingungen für die Sitzungen festsetzte, wenigstens die Bedingungen, auf die es 167 ankam. Nebensächliche Dinge hat Crookes mit der Gewissenhaftigkeit eines Gelehrten bis ins kleinste angeordnet, d. h. das was objektiv nebensächlich war, von ihm aber für die Hauptsache gehalten wurde.
Die Hauptfähigkeit von Home war, auf musikalischen Instrumenten, die er nicht unmittelbar berührte, Töne hervorzurufen, ferner das Gewicht von Körpern durch die Nähe seines Körpers zu verändern. Crookes hat Anfang der siebziger Jahre darüber berichtet.
Es wurde eine neue Harmonika gekauft, die Home vorher weder gesehen, noch vor Beginn der Versuche in der Hand gehabt hatte. Home saß auf einem Stuhl an einem Tisch, zwischen seinen beiden Beinen ein Bauer, das zwar oben und unten offen, aber so hoch war, daß es gerade unter den Tisch geschoben werden konnte; wenn es dort stand, konnten weder eine Hand noch ein Fuß von oben oder von unten hineinkommen. An den Seiten waren so viele Drahtwindungen um das Bauer gezogen, daß zwei benachbarte Windungen etwas weniger als einen Zoll von einander entfernt waren. Die Windungen waren durch Schnüre befestigt, sodaß sie auch nicht auseinandergebogen werden konnten. Beide Hände von Home oder zeitweise auch nur eine – die Harmonika war angeblich so eingestellt, daß sie mit einer Hand nicht gespielt werden konnte – wurden so gehalten, daß sie nicht in dem Bauer sein konnten. Das Instrument spielte, obgleich kein Mensch daran rührte.
Ferner hat damals Crookes ein Instrument gebaut, eine Platte, die mit eine Federwage in Verbindung stand. Auf die Platte, die unten gestützt war, wurde ein Gefäß gestellt, in dieses Gefäß ein durchlöcherter kupferner Kessel, und dann wurde das Gefäß mit Wasser gefüllt. Wenn Home seine Hand in das Wasser tauchte, aber ohne die Platte mechanisch hinunterdrücken zu können, kamen Gewichtsschwankungen an der Federwage zustande, die durch eine Trommel aufgezeichnet wurden.
Da Crookes die Versuche Anfang der siebziger Jahre so mitteilte, als ob alles ganz in Ordnung und für den Spiritismus beweisend gewesen wäre, ist man in Anbetracht der Persönlichkeit des Experimentierenden leicht geneigt, jede Einwendung zurückzuweisen. Doch in Wirklichkeit haben alle wissenschaftlichen Voraussetzungen bei den Untersuchungen gefehlt.
Dies Urteil ist scharf, aber seine Berechtigung ist von Lehmann nachgewiesen.
Denn achtzehn Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung über die Sitzungen, die ungeheures Aufsehen erregte, gab Crookes seine Tagebuchaufzeichnungen darüber heraus, die nicht, wie die erste Veröffentlichung, eine zusammenfassende Darstellung, sondern ein Protokoll enthielten. Aus den Notizen des Tagebuchs 168 erhält man aber ein ganz anderes Bild von den Vorgängen, als aus den ursprünglichen Berichten.
„Mehrere der Séancen oder jedenfalls Teile davon, sind fast Sitzungen im Dunkeln; denn so darf man sie doch nennen, wenn nur die Zunächstsitzenden eben wahrnehmen können, was vor sich geht. Sodann sehen wir, daß keineswegs Crookes, sondern Home den Gang der Versuche, wie die gegebenen Befehle leitet. Crookes und die anderen Teilnehmer werden einfach gezwungen, die Plätze einzunehmen, die ihnen angegeben werden, bis irgend etwas sich ereignet hat. Home dagegen geht frei umher, tritt auf eigene Hand an die Apparate heran, rückt seinen Stuhl, die Plätze werden gewechselt und ähnliches mehr. Alles dieses zeigt, daß die berühmten Crookesschen Sitzungen sich durchaus nicht von anderen spiritistischen Sitzungen unterscheiden; sie haben dasselbe unberechenbare und launenhafte Gepräge, dieselbe Abhängigkeit von dem Gutdünken des Mediums.”
Lehmann faßt sein Gesamturteil so zusammen: „Crookes kann kaum eine Ahnung davon gehabt haben, wie bedeutungsvoll die Umstände sind, die er im Bericht von 1871 stillschweigend übergeht. Hätte er das eingesehen, so hätte er niemals die erste Schilderung geben können, ohne sich eines bewußten Betrugs schuldig zu machen.”