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Quelle: Max Nordau: »Paradoxe«, Abschnitt »Psycho-Physiologie des Genies und Talents«. Verlag Elischer, Leipzig, 1885.
Für die Leistungen der Feinmechanik im Betrieb menschlicher Muskeln sind gewisse Gehirnstellen maßgebend, die als »Koordinations-Zentren« bezeichnet werden. In ihrer Höchstleistung begründen sie, da es sich eben um eine geistige Veranlagung handelt, den Anspruch auf die Bezeichnung des Genies. Bei ihm spielen die Tricks und Hilfen, auf die sich das bloße Muskeltalent vorzugsweise stützt, nur eine untergeordnete Rolle. Lange und ausdauernde Übung ist aber auch beim Genie unerläßlich.
Hier einige Proben der bedeutendsten Leistungen aus diesem Gebiet.
Blondin schritt auf dem gespannten Seil über den Niagara. Benutzte er die Balanzierstange, so konnte er einen ausgewachsenen Gefährten auf den Schultern hinübertragen. Schritt er allein, so genügte ihm das eigene Gleichgewicht ohne Stange.
Die Billardmeister Vignaux, Slosson und Kerkau haben es in den Carambolage-Partien zu Serien über 1000 gebracht, in dem unvergleichlich schwierigeren Cadre-Spiel oft die Hundert hintereinander überschritten. Einer ihrer Kollegen, der übrigens im korrekten Serienspiel weit hinter ihnen zurückblieb, brachte folgendes mit nie fehlender Sicherheit zuwege: er produzierte die Carambolage mit drei Bällen dergestalt, daß der Spielball auf dem Billard lag, der zweite weit davon im Saal an der Fußbodenkante, und der dritte auf dem Hals einer Flasche, die sich im Saal auf einem Tisch befand.
Erstaunliches zeigten die Jonglierkünstler Cinquevalli, Kara und Spadoni: minutenlanges Luftballspiel mit den drei Körpern Kanonenkugel, Glasflasche und Papierstückchen; Balanzierakte mit zwei Billardstäben, die, mit den Spitzen einander zugewendet, durch eine Billardkugel getrennt waren und in dieser linearen Schwebung verharrten.
Während der vormals berühmte Hofzauberkünstler Bellachini höchstens als ein Talent gelten konnte, war Fox ein Genie. Er zeigte ein lebendes Kaninchen, hielt es sorgsam an den Ohren weitab (Fox arbeitete mit nackten Armen), und – zog es langsam in zwei lebendige Kaninchen von derselben Größe auseinander!
Den Gipfel solcher Technik erreichte ein Schweizer Prestidigitateur. Irgend ein Zuschauer wählte aus einem Kartenspiel ein beliebiges Blatt. Diese Karte wurde verbrannt. Alsdann wurde jener Zuschauer aufgefordert, auf seiner eigenen Taschenuhr die Zeit nachzusehen; und dabei ergab es sich, daß sich nunmehr ein stark verkleinertes Abbild der gewählten Karte in der Uhr befand, und zwar bei den Zeigern unter dem Deckglas!
51 Im alten Zirkus Renz trat ein Artist namens Price auf, der, auf der obersten Sprosse einer freischwebenden Leiter stehend, Konzertstücke auf der Violine vortrug.
Der Kunstschütze Ira Paine wiederholte die Tat des Wilhelm Tell auf der Bühne unter erschwerenden Umständen: er durchschoß über seine Schulter hinweg auf fünfzehn Schritt mit der Pistole den Apfel auf dem Haupt eines Knaben, während er nach der entgegengesetzten Seite gewendet dastand und mit einem Spiegel in der linken Hand nur den Widerschein des Zielobjekts wahrnehmen konnte!