Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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258. Seltsame Meteore

Quellen: Dr. M. Wilhelm Meyer: »Das Weltgebäude«, Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien, 1898. Z. – Bruno H. Bürgel: »Aus fernen Welten«. Verlag Ullstein & Co., Berlin, Wien, 1910. Z. – Felix Linke: »Kann die Erde untergehen?« Verlag von J. H. W. Dietz Nachf., Stuttgart, 1911.

Fern ab von der Erde, weit getrennt von ihr durch ungeheure Zwischenräume, rasen die anderen Himmelskörper durch den Weltenraum.

Daß wir in Jahrmillionen, selbst in Billionen von Jahren mit einem der uns 365 sichtbaren Sterne zusammenstoßen werden, ist recht unwahrscheinlich. Aber kleinere dunkle Körper, die den Weltenraum in ungezählten Scharen durchschwirren, gelangen sehr oft in den Anziehungsbereich der Erde. Meistens sind es nur sehr winzige Stücke, die beim Durchfallen der Lufthülle unseres Planeten gänzlich verpuffen oder schließlich als feiner Staub unmerklich niedergehen.

Die Zahl der Meteorfälle wird von Nichtastronomen weit unterschätzt, weil der Einzelne im allgemeinen ja nur äußerst selten Gelegenheit hat, eine Sternschnuppe zu beobachten. In Wirklichkeit wird die Erde fast unaufhörlich von einem Hagel solcher Weltspäne getroffen, wie sie der deutsche Physiker Chladni genannt hat, der in einer 1819 erschienenen Schrift zum ersten Mal den kosmischen Ursprung der Meteore klarlegte. Nach einer Berechnung von Wilhelm Meyer muß die Masse der Erde durch den ständigen Meteorregen in jedem Jahrhundert um 2000 Millionen Kilogramm anwachsen. Dadurch müßte in Jahrtausenden eine Veränderung in der Geschwindigkeit der Erdrotation bewirkt werden, wenn nicht andere Einflüsse, z. B. die Schrumpfung der Erdkugel, diese Wirkung wieder aufhöben.

Daß große Steine oder gar riesige Meteorblöcke vom Himmelsraum bis auf den Erdboden niederfallen, ist sehr selten. Um so interessanter sind die Nachrichten, die uns die Kunde einzelner Fälle vermitteln. Niemand braucht sich jedoch durch die im folgenden mitgeteilten Vorgänge beängstigen zu lassen; erstreckt sich doch ihre geringe Zahl über Jahrtausende. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Mensch von einem Meteor erschlagen wird, ist noch geringer als die, daß jemand zwei Mal hintereinander das große Los in derselben Lotterie gewinnt.

Bereits auf einer uralten babylonischen Tafel finden wir das Niederfallen einer Masse aus dem Sternenraum unter Feuererscheinung dargestellt. Auch die Bibel berichtet von Meteorfällen; im Buch Josua steht: Gott sandte große Steine vom Himmel. Der heilige Stein der Mohammedaner, der in der Kaaba zu Mekka eingemauert ist, dürfte ebenfalls ein Meteor sein. In chinesischen Annalen wird berichtet, „daß im Jahre 616 zehn Menschen von einem Steinregen getötet wurden. 823 sollen in Sachsen 35 Dörfer durch ein ähnliches Ereignis in Brand gesteckt worden sein. Am 4. September 1511 fielen zu Crema mehr als tausend Steine plötzlich vom Himmel herab, von denen einige mehr als zentnerschwer waren und Vögel, Schafe und Fische, sogar einen Priester erschlugen. In Mailand fiel 1660 ein ganz kleiner Stein in das Kloster Santa Maria della Pace und erschlug einen Franziskanermönch. Mit dem bloßen Schrecken kam zu Siena ein Kind davon, dem am 16. Juni 1794 von einem Meteorstein der Hut durchbohrt wurde.”

366 „Ganz besonders genau ist man über den großen Meteoreinfall orientiert, der sich zu Ensisheim im Elsaß am 7. November 1492 gegen ½12 Uhr vormittags ereignete. Der über drei Zentner schwere Stein, von dem ein Stück noch heute in der Ortskirche zu sehen ist, wurde sehr viel beschrieben und hat alle gelehrten Häupter jener Tage zu langen Untersuchungen veranlaßt. Neben dem in der Kirche zu Ensisheim ausgestellten Stück hängt ein Bericht, dem folgendes entnommen sei:

Anno Domini 1492 uff Mittwochen, nächst vor Martini den siebenten Tag Novembris, geschah ein seltsam Wunderzeichen. Denn zwischen der elften und zwölften Stund zu Mittagszeit kam am großer Donnerklopff und ain lang getös, welches man weit und breit hörete, und fiel ain Stein von den Lüfften herab bei Ensisheim in ihren Bann, der wog zweihundertundsechzig Pfund und war der Klopff anderswo viel größer denn allhier. Da man den Stein fand, da lag er bei halb Mannestief in der Erden, welches Jedermann dafür hält, daß es Gottes Wille war, daß er gefunden würde.”

Ein gewaltiger Steinregen ging am 26. April 1803 über Aigle in Frankreich nieder. Es fielen „damals insgesamt gegen 3000 Steine, unter denen sich Stücke von 8 bis 9 Kilo Gewicht befanden, auf einem Raum von etwa 10 Quadratkilometern nieder. Augenzeugen sahen deutlich eine kleine dunkle Wolke von großer Beweglichkeit am Himmel, die sich unter starken, Böllerschüssen ähnelnden Detonationen, zerteilte. Dann hörte man ein langanhaltendes Geräusch wie Gewehrfeuer, und knatternd ergoß sich der Steinregen über den Ort.”

Größtes Aufsehen erregte der Steinregen, der sich am 10. Februar 1896 über Madrid ereignete. Ein Augenzeuge berichtet darüber:

„Heute vormittag, genau um 9½ Uhr, bei prachtvollem sonnigen Wetter, entstand hier am Himmelsgewölbe ein bläulicher Glanz von solcher Stärke, daß selbst das Sonnenlicht davon überstrahlt, und viele Menschen auf der Straße geblendet wurden. Anderthalb Minuten darauf wurde ein donnerndes Krachen vernommen, als würden tausend schwere Kanonen zu gleicher Zeit abgefeuert, sodann folgte eine ganze Reihe von immer schwächer werdenden Explosionen, die Erde erbebte in ihren Grundfesten, viele Gebäude bekamen Risse, Möbel wurden umgestürzt, Millionen von Fensterscheiben zersprangen klirrend.

Eine furchtbare Panik bemächtigte sich der Einwohnerschaft Madrids. Im ersten Augenblick hörte man allenthalben Jammern und Angstgeschrei. »Terremoto! Terremoto!« (Erdbeben) klang es hier, »Dinamita! Dinamita!« klang es dort.”

367 Der Berichterstatter schildert dann die vielen Unglücksfalle, die sich in Madrid und Umgebung infolge des Schrecks der Bevölkerung ereigneten und fährt fort:

„Don Pedro Esteban, der Apotheker von Valleras, wurde von einem herabsausenden erbsengroßen Stein an der Stirn leicht verwundet. Ein Herr Soravilla spazierte, ein Zeitungsblatt lesend, auf der Castellana. Da schwirrte vom Himmel eine feurige Kugel herab, durchlöcherte, Brandspuren zurücklassend, das Blatt, und rollte etwa 40 Meter über den Boden dahin. Der Stein gleicht einem Stück Schwefeleisen, ist von regelmäßiger Form und wiegt ungefähr 150 Gramm.”

Der größte Meteorit, den man mit Bestimmtheit fallen gesehen hat, ging am 12. März 1899 bei Borgo in Finnland nieder. Er durchschlug das fast meterdicke Eis am Meeresufer und drang noch tief in den Meeresboden ein. Eine 10 000 Kilogramm schwere Eisenmasse in Oregon und ein 15 000 Kilogramm schwerer, stark eisenhaltiger Block, der in Mexiko gefunden wurde, sind zweifellos auch meteorischen Ursprungs.

Ein ganz besonders großer Meteorit muß im Canon Diablo in Arizona niedergegangen sein. Man entdeckte dort im Jahre 1891 ein gewaltiges Loch, um das bis zum Umkreis von sechs Kilometern kolossale meteoritische Eisenmassen verstreut sind; einzelne Stücke davon haben mehr als 400 Kilogramm Gewicht. Die Böschungen des Lochs sind ganz steil und reichen 170 Meter tief hinab, sodaß man sich seine Entstehung nur durch einen überaus heftigen Einschlag erklären kann.

Auch Salz kann gelegentlich vom Himmel fallen. Es wird berichtet:

„Am 30. August 1870 fand ein äußerst heftiger Salzhagelfall in Gegenwart dreier Augenzeugen bei der Lucendrobrücke auf der Höhe des Gotthardpasses statt. Die Hagelkörner fielen bei einem frischen Nordwind während einer Zeit von ungefähr fünf Minuten nieder.”

Die größte und schönste Sammlung von Meteorsteinen besitzt das Wiener Hofmuseum; sie enthält an 400 Steine. „Brezina, der ehemalige Vorstand der mineralogischen Abteilung dieses Museums, erzählt, daß ein einziger unter diesen Steinen, ein Stück Eisen von 39 Kilogramm Gewicht, welches 1751 in Hraschina bei Agram vom Himmel stürzte, nach den heutigen Preisen für Meteorsteine einen Wert von mindestens 100 000 Gulden habe.” 368


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