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Sechstes Buch.
Vorläufer des Mirza Schaffy.

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Nach Dschelal-ed-din Rumi.

Glaube und Unglaube.

Was ist vor dir Glaube, was Unglaube, Herr!
Was schert dich der Zweifler Gezänk und Gezerr!
Es kennt dich nur nicht, wer sich selbst noch nicht kennt,
Wie Holz an das Feuer nicht glaubt, bis es brennt,
Was außen von dir sich uns kund gibt, ist nichts,
Dich sieht nur die Sehkraft des innern Gesichts.
Der Urquell des Lebens und Geistes bist du,
Und was von dir ausging, strebt wieder dir zu.
Von dir kommt die Wahrheit und geht zu dir ein,
Die sichtbare Welt ist nur Schatten und Schein.
Das Meer nährt den Quell und der Quell nährt das Meer,
Dazwischen ziehn Wolken und Ströme einher;
Du trennst sie und einst sie mit ordnender Hand,
Wie Himmel und Erde, wie Wasser und Land.
Aus dir lösen Sonnen wie Blumen sich los,
Nichts ist für dich klein und nichts ist für dich groß.
Dir gilt kein Vergangnes und Künftiges und Jetzt:
Zuerst warst du Alles, bist Alles zuletzt,
Wie mag sich denn Glaube und Unglaube blähn?
Kein Mensch kann dich ehren und keiner dich schmähn.
Alle menschlichen Werke, ob böse, ob gut,
Verschwinden vor dir gleichwie Spreu in der Glut,
Dich findet kein Grübeln des schärfsten Verstands,
Nur dem Auge der Liebe enthüllst du dich ganz!

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Der Mensch und die Welt.

Was ist das Licht dem, der nicht steht,
Was ist der Schall dem, der nicht hört?
Was ist die Welt dem, der sie flieht
Und ahnungslos sich selbst bethört!

Wer nicht in sich die Welt entdeckt,
Sieht sie von außen niemals klar;
Wem Liebe nicht das Herz erweckt,
Wird nichts Verborgenes offenbar.

Ein reiner Abglanz ist die Welt
Des Geistes, der nie fehlt und irrt,
Und wenn sie trüb' ins Aug' dir fällt,
Dein Aug' ist's, das ihr Bild verwirrt.

Du bist der Schleier Gottes hier,
Die Welt ist ohne dich nicht da
Für dich. Such' deinen Zweck in dir,
Und selbst das Fernste siehst du nah'.

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Wahre Liebe.

Der Liebe Qual ist nicht wie andrer Schmerz,
Wie eine Sonde senkt sie sich ins Herz,
Es prüfend bis zum Grunde zu durchdringen
Und all sein Bestes mit sich aufzuschwingen
Zu höherm Sein, als blöde Menschen ahnen,
Die nie gewandelt auf der Liebe Bahnen.

Doch sing' ich nicht von Liebe wie die deine,
Du Wüstling, der nur Sinn hat fürs Gemeine,
Und dem der Lichtblick für die Höhe fehlt,
Der himmlisches mit Irdischem vermählt.

Die wahre Liebe knospt im Heiligthume
Des Herzens, bis sie sich zur Wunderblume
Erschließen darf, wenn sie der Lichtstrahl trifft,
Der Wunder offenbart in Blumenschrift
So holder Art, daß Worte nicht erreichen
Den tiefen Inhalt ihrer duftigen Zeichen.

Die Liebe kann sich nur von Liebe nähren
Und, wie die Sonne, sich nur selbst erklären,
Erröthend vor sich selbst, wie diese thut,
wenn sie ausblüht in junger Morgenglut,
Der Welt ein Reich des Lichtes zu erschließen,
Draus alle Quellen der Begeisterung fließen
Für den, der weiß, daß es noch Höh'res gibt,
Als was der eine Mensch im andren liebt,
Und daß vom Glück der Liebe ihre Qualen
Untrennbar, wie der Schatten von den Strahlen
Der Sonne, deren Herrlichkeit selbst nichts
Ist als der Abglanz eines höh'ren Lichts,
Für Menschenblick von Schatten auch untrennbar,
Da selber wir als Schatten nur erkennbar.
Doch wenn die Hülle sinkt, die Schatten schwinden,
wird sich ein Licht zum andern wiederfinden.

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Des Lebens Kreislauf.

Stets dreht die Welt im Kreise sich,
Du drehst nach ihrer Weise dich,
Ob du magst liegen oder gehn –
Wer's nicht gelernt, kann's nicht verstehn.

Leb' reinen Sinns und werde Staub,
Und aus dir sprossen Gras und Laub,
wirst du zu Heu, verbrenne dich,
Und in der Glut erkenne dich!

Bist du zu Asche dann verbrannt
Und wiederum als Staub erkannt,
Erwäge, was solch Kreisen ist
Und was der Stein der Weisen ist!

Verwandlung ist der Erde Lust:
Zur Handlung wird die Werdelust;
Was Lebensodem in sie blies,
Kann größre Wunder thun als dies.

Vergiß im Kreis des Lebens nicht:
Vom Himmel kommt das Lebenslicht,
Es lebt als Geist in deinem Hauch,
Wie du im Hauch des Himmels auch.

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Sprüche.

Der Mensch, der ohne Liebe lebt, ist nichts.
Wer nur gemeinem Triebe lebt, ist nichts.
Bedenk', wenn Lebenswasser vor dir quillt:
Das Wasser, das man mit dem Siebe hebt, ist nichts.

Es gibt nichts Verborgnes und nichts Offenbares,
Was dir nicht dein Haupt zeigt im Wuchs deines Haares.
Der Thor sucht das Große in wuchtigen Massen:
Du suche im Kleinsten das Größte zu fassen!

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Wach' auf!

Wach' auf, o Herz! Schon dreimal rief der Hahn:
                            Wach' auf!

Sieh, golden färbt sich schon die Himmelsbahn;
                            Wach' auf!

Aus rosigen Schleiern hebt ihr Haupt die Sonne,
Der Tag hat seine Pforten aufgethan;
                            Wach' auf!

Er zeigt im reinen Glanz erhabner Bilder
Das Schönste, was je Menschenaugen sahn,
                            Wach' auf!

Schlaftrunken weißt du nicht, was Sehende wissen:
Das Glück, das nur im Schlaf kommt, ist ein Wahn.
                            Wach' auf!

Bezwing' dich selbst, eh' dich der Tod bezwungen,
Nur wachen Augs siehst du das Höchste nahn –
                            Wach' auf!

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Die Pilger.

(Nach Dschami.)

Seht die gläubigen Pilger zur Kaaba ziehn,
Als Sündenvertilger vor Gott zu knien.

Sie kommen zum Ziele durch Wüstenein,
Dann sehn sie ein hohes Haus von Stein.

Sie wollen Gott sehn von Angesicht,
Sie suchen, doch sie finden ihn nicht.

Nachdem sie lange umgangen das Haus,
Erschallt eine Stimme von innen heraus:

»Was seid ihr gekommen vor Steinen zu beten,
Statt ins Gotteshaus der Wahrheit zu treten?

Gott wohnt nicht in einem Haus von Stein,
Er wohnt in der Wahrheit, da tretet ein!«


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