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Zur Zeit als man im Perserland
Noch nichts vom Geist des Weins verstand,
Die Trauben pflegte blos zu essen,
Statt ihren Inhalt auszupressen
Und kunstgerecht ihn zu behandeln,
In flüssiges Feuer sich zu wandeln –
Zu jener Zeit – so hört' ich sagen –
Zog König Dara aus zum Jagen,
Und als er in bedächt'gem Schritt
von steiler Höh' zu Thale ritt,
Im Vorhof des Palastes stand –
Mit einem Tragkorb in der Hand,
Hoch angefüllt mit goldnen Trauben
von einer Größe, kaum zu glauben –
Ein junges Weib und hielt verlegen
Den Korb dem Herrn der Welt entgegen,
Der eine von den Trauben nahm
Und aß. Er fand sie wundersam
Und sprach: »Nach meiner Wiederkehr
Bring' mir der süßen Trauben mehr.«
Dann königlichen Lohn ihr spendend
Und sich zu seinen Dienern wendend,
Sprach er: »In eine Vase thut
Die Trauben, und bewahrt sie gut,
Daß ich nach meiner Jagd aufs neue
Mich ihres Wohlgeschmacks erfreue.«
Dann wie ein Aar aus hohem Forste
Der König flog zum fernen Forste,
Und hinter ihm zog eine Wolke
Von auserlesnem Reitervolke,
Des Königs Kampf- und Jagdgenossen,
Bewehrt mit Speeren und Geschossen,
Geübt in Kunst des Bogenschießens,
Des Schleuderwurfs, des Fangs und Spießens.
Der König zog durch Wald und wüste,
Und mancher Bär und Eber büßte
Sein Leben ein, der sich gestellt
Zum Kampfe mit dem Herrn der Welt.
Auch mancher Leu und Tiger fand
Den Tod durch König Dara's Hand,
Deß Jagdlust täglich neu erwachte,
Daß er der Heimkehr gar nicht dachte,
Derweil daheim ein liebend Weib,
In Jahren jung und schön von Leib,
Verging in Sehnsuchtsleid und Trauern
Um ihn in des Palastes Mauern –
Ein Weib von hochgemuthem Sinn,
Die Tochter einer Königin
Georgia's, wo Dara's Mannen
Als schönste Beute sie gewannen
Und vor den Herrscher sie geführt,
Den ihre Schönheit so gerührt,
Daß er nicht wußte, was beginnen,
Um ihre Liebe zu gewinnen.
Sie aber konnte nicht vergessen
Was sie gewesen und besessen.
Sie war zu stolz, sich ihm zu neigen,
Zu stolz auch, ihren Schmerz zu zeigen.
Lang überhäuft' er sie mit Huld,
Doch endlich riß ihm die Geduld:
Zu stolz und edel, zu begehren,
Was sie sich sträubte, zu gewähren,
Ließ sie der König auf die Dauer
Allein mit ihrer stummen Trauer.
Er war gewohnt von schönen Frauen,
Bewundernd zu ihm aufzuschauen,
Mit frohem Geist ihn zu umgeben,
Nicht grollend ihm zu widerstreben.
Kam er hinfort in Sara's Nähe,
That er als ob er sie nicht sähe;
Sie schien für ihn nicht mehr vorhanden.
Doch während also Monde schwanden,
Und aus den Monden ward ein Jahr,
Geschah's allmählich wunderbar,
Daß Sara's Herz in Lieb' entbrannte
Für den, der fremd sich von ihr wandte.
Kaum daß ihr so ein Mond sich dehnte,
Da sie sich nach der Heimat sehnte,
Eie jetzt die Zeit von wenig Tagen
Seit König Dara zog zum Jagen.
Das war ein Drängen und ein Pochen
In ihrem Herzen, als zu Wochen
Die Tage wuchsen und nun gar
Bald schon ein Mond verschwunden war,
Seit König Dara Abschied nahm!
Und als er endlich wiederkam
Mit Jagdgefolg und reicher Beute,
Und Jung und Alt sich seiner freute,
Fühlt' Sara erst, da sie ihn sah,
Daß er ihr nicht zur Freude da:
Ihr Geist ist völlig wie umnachtet,
Da er der Armen gar nicht achtet.
Sie schwankt zurück in ihre Kammer
Und seufzt und schluchzt vor Weh und Jammer,
Derweil der König seine Schritte
Zum Zimmer lenkt, in dessen Mitte
Auf goldnem Tisch die Vase prangt,
Nach deren Trauben ihn verlangt,
Um, eh sein Mahl bereit, inzwischen
Den trocknen Gaumen zu erfrischen.
Er hebt den Deckel von der Vase:
Ein Wohlgeruch erfüllt die Nase,
Doch ist von Trauben nichts zu sehn.
Der König bleibt verwundert stehn,
Fährt dann mit hohler Hand zum Grunde
Der Vase, führt die Hand zum Munde
Und kostet einen süßen Saft
von wunderbarer Eigenschaft.
Er taucht aufs neu' die Hand zum Grunde
Und führt sie wieder dann zum Munde,
Und fühlt sich wunderbar erheitert,
Den Kopf geklärt, das Herz erweitert.
Und denkt: Ich selber will allein
Des Zaubersaftes Hüter sein,
Damit mir niemand daran rühre.
Da plötzlich öffnet sich die Thüre,
Der Marschall kommt: »0 Herr der Welt,
Das Mahl ist aufgetischt!«
Da fällt
Der Herrscher ihm ins Wort und spricht:
»vergiß, was ich dir sage, nicht:
In dieser Vase hier ist Gift,
Schreib' das darauf mit großer Schrift;
Der Tod trifft jeden, dessen Nase
Und Mund zu nah kommt dieser Vase.«
Als diese Kunde kam zu Sara,
Sprach sie: »O Dank dir, König Dara!
Jetzt weiß ich, was mir helfen kann!«
In ihren schönsten Schmuck sodann
Hüllt sie die schlanken, stolzen Glieder,
Nimmt eine Schale, hastet nieder
Zum Vasengift im Königssaale
Und randvoll füllt sie ihre Schale.
Das Leben bot ihr viel des Bösen,
Der Tod soll sie davon erlösen.
Es drang der Feuertrank voll Süße
Ihr bald in Kopf und Herz und Füße,
Doch statt zu sterben, fühlte sie
Sich so lebendig wie noch nie.
Das Auge schwimmt in feuchtem Glanze,
Die Füßchen heben sich zum Tanze,
Die Spangen an den Knöcheln klingen
Zusammen, sie hebt an zu singen
Und schwingt die anmuthvollen Glieder
Im goldnen Saale auf und nieder,
Hoch in der Hand die leere Schale.
Der König kam indeß vom Mahle
Zurück, sich mit erneuten Kräften
Zu widmen seinen Staatsgeschäften.
Doch ganz bezaubert blieb er stehn
Als er, von Sara ungesehn,
Sie zum Gesange fern und nah
Rund um die Vase tanzen sah,
Auch durch die Schal' in ihrer Hand
Bald den Zusammenhang verstand.
Nun trat er vor und sprach zu ihr:
»Sieh, Sara, so gefällst du mir!
In morgenheller Sonnenpracht
Entstiegen deiner Trauernacht!
All meine willigen schönen Puppen
Sind gegen dich nur Sternenschnuppen.
Sei mein Gemahl und du allein
Sollst meines Herzens Sonne sein!«
So hielt er fest umschlossen sie,
Und höchstes Glück genossen sie
In dauernd seliger Gemeinschaft,
Wie Liebe nur im Bund mit Wein schafft.
Denn durch die Tugend seiner Sara
Allmählich lernte König Dara,
wie eine edle Frau den Mann
An Seel' und Leib veredeln kann,
wie Traubensaft in Wein verwandelt,
Veredelt wird, wenn recht behandelt.