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Eduard Wessel †.

Ich kam in guter Laune, wie sie lange
Mir nicht beschieden war, von spätem Gange
Nach Haus und wollte schlafen gehn – da fand
Ich einen Brief aus Wien, mit schwarzem Rand,
Durchflog ihn schnell, und seine Trauerkunde
Erschütterte mich bis zum Herzensgründe.
Die gute Laune war mir schnell verdorben:
Ein lieber, alter Freund war mir gestorben,
Gekannt von wenigen, doch geliebt von Allen,
Die ihn gekannt wie ich. – Sein Erdenwallen
War wie ein Bach in blumiger Umgebung,
Die Flur durchfließend zu der Flur Belebung,
Rein, bis zum Grunde klar im stillen Lauf.
Gern nahm er jeden guten Eindruck auf,
Hielt alles Schlechte und Gemeine fern,
Und wo er helfen konnte, half er gern.
Reich war sein Geist an reifer Wissensfrucht,
Sein Herz blieb standhaft in der Jahre Flucht,
Doch dabei kindlich harmlos. Geist und Herz
Vereinten gerne sich zu seinem Scherz,
Und manches Wort entsprang dann seinem Munde,
Als wichtiger Ausdruck tiefer Menschenkunde
Den Kreis der Hörer in Erstaunen setzend,
Doch nur erleuchtend wirkend, nie verletzend,
Und was sein Geist im Augenblick geboren,
Das gab er gern dem Augenblick verloren,
Denn nie nach Ruhm und eitlem Glanze strebend,
Nur seiner Pflicht und seinen Freunden lebend,
Galt ihm als höchstes Glück: dem lauten Treiben
Der unbeständigen Welt ganz fern zu bleiben.
Doch kenn' ich keinen ruhmgekrönten Mann,
Der treuere Freunde in der Welt gewann,
Als dieser, unberühmt, in kleinem Kreise
Gewonnen bis zum Ziel der Lebensreise,
Und übers Ziel hinaus, denn in sein Grab
Sinkt mein Erinnern nicht mit ihm hinab.

(1. Februar 1879, nachts 1 Uhr.)


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