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Omar Chajjâm, der große Astronom,
Durchforschte lebenslang den Himmelsdom,
Und fand in allen Werken der Natur
Am Himmel wie auf Erden keine Spur
Von einem Gott, und hatte deß kein Hehl.
Drum sahn die gläubigen Priester auf ihn schel
Und hielten Rath und suchten seinen Tod.
Zum König gingen sie in heiliger Noth
Und sprachen so mit flehender Geberde:
»O Malekschah! Gewaltiger Herr der Erde!
Es lebt ein Mann, Omar Chajjâm geheißen,
Der will den wahren Glauben uns entreißen:
Ein Sternenkundiger aus Nischapur,
Der unsern Gott im Buche der Natur
Nicht finden kann. Der Mann bringt uns Verderben:
Erhör' uns, großer König, laß ihn sterben!«
Der König sprach: »Das bleibt ihm unbenommen,
Wenn Gott ihn ruft und seine Zeit gekommen,
Viel Jahre sind im Forschen ihm entschwunden,
Er suchte Gott und hat ihn nicht gefunden
Bis jetzt; wer aber kann sich unterwinden,
Zu sagen, daß er ihn nie werde finden?
Er suchte nur mit den Verstandesaugen,
Die wenig zur Erforschung Gottes taugen:
Wer weiß, welch Glaubenswunder noch geschieht,
Wenn er erst mit den Herzensaugen sieht!
Er hat die Welt durchforscht von nah und fern,
Doch ihre Schale nur, nicht ihren Kern;
Drum hat sein Wissen ihm auch nie genügt
Wer weiß, ob Gott nicht selbst es so gefügt
Und ihm dereinst zu langer Forschung Lohne
Aufs Haupt des Wissens drückt die Glaubenskrone!
Den Mann zu tödten würd' ich nie verschmerzen:
Dem Licht im Geiste mag das Licht im Herzen
Noch folgen und ihn führen auf die Pfade,
Die wir schon fanden durch des Höchsten Gnade.«
Die Priester lauschten stumm dem Königswort,
verneigten sich und gingen traurig fort.