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Die Noth von Szegedin.

(26. März 1879.)

Schon blickte mit Blumenaugen
Dankbaren Blicks
Die Steppe wieder
Zur Sonne empor,
Ihrer Befreierin
Aus den eisigen Banden des Winters.
Und die Töchter der Steppe,
Die schönen, schwarzäugigen Mädchen
Der reichen Fischerstadt Szegedin,
Tanzten in Feierstunden
Mit rothbeschuhten Füßchen,
Kurzen, faltigen Röckchen
Und langen Haarzöpfen
Dem nahenden Frühling entgegen,
Dessen Herolde schon –
Die langbeinigen Störche –
Vom Süden heimgekehrt
Auf den traulichen Dachfirsten klapperten,
Derweilen die fleißigen Fischer
Ihre Geräthe rüsteten
Zu neuem Tagewerk
An den gesegneten Ufern,
Wo die fischreiche Theiß
Und die wildströmende Maros
Sich jubelnd vereinen
Unter weithinschallendem Rauschen.

Aber unheimlich heut
Wird das Jubelgeräusch
Durch dumpfes Rollen
Aus weiter Ferne
Laut übertönt.
Kein Zirpen und Zwitschern,
Kein Singen und Lachen,
Kein lautes Reden
Ist mehr zu hören,
Selbst die Geigen verstummen,
Womit die Zigeuner
Zum Tanze gespielt.
Doch seltsame Töne
Durchschwirren die Luft.

Feuchtkalter Hauch,
Der bis ins Herz dringt,
Verkündet das Nahen der Windsbraut.
Mächtige Vögelschwärme
In unabsehbaren Massen
Verdunkeln den Himmel,
Wie schwarze Wogen
Einander folgend
Unheilverkündend.
Starr stehn die Menschen
Voll banger Ahnung,
Vor Furcht erbeben
Die Herzen der Stärksten.

Siehe! Plötzlich bewegt sich's
Dem Laufe des Stroms nach,
Als ob ganze Gebirge im Anzuge wären,
Ihrer erzenen Schwere entkleidet
Leicht einhergleitend
wie von den Lüften getragene Wolken,
Und sich selbst auflösend wie diese.

Wo blieb die Tochter der Berge, die stolze Theiß?
Das in Eiseswindeln an Schneebrust gesäugte
Karpatenkind, seiner Amme entsprungen,
Um Herrin der endlosen Steppe zu werden?
Man sieht sie nicht mehr! Sie ist verschwunden
Sammt ihrem Reich: in ein stürmisches Meer
Hat sich jählings die endlose Steppe verwandelt!

Und die Flut stürmt heran auf Szegedin,
Alle Dämme und Wehren brechend,
In Minuten verwüstend,
was Jahrhunderte schufen;
Paläste und Hütten
wie Nußschalen wegspülend,
Uralte Bäume entwurzelnd
Und mit sich fortreißend
Sammt den jammernden Menschen,
Die nach Rettung suchten
Auf Dächern und Bäumen.
Umsonst ringt die Mutter die Hände,
Schluchzend zum Himmel aufflehend
Ihr Kind in der Wiege zu retten;
Das Heulen der Windsbraut
Uebertönt ihre Stimme.
Die Hoffnung sinkt,
Wie die Sturmflut steigt,
In sich Käufer und Menschen begrabend.
Das Wort verstummt
Vor unsäglichem Jammer
Und endlosen Bildern des Elends.

Denn mehr noch leben im Elend,
Als elend starben,
Und sie retteten nichts
Als das nackte Dasein ...

Grausam ist die Natur
In ihrem Zorne,
Und unerforschlich sind
Die dunkeln Wege des Schicksals.
Doch ein Gott gab den Menschen
Ein fühlendes Herz
Und den Weisen die Einsicht:
Daß Mitleid mit menschlichem Elend
Und rasche Hülse,
Die Noth zu lindern,
Mehr hilft als alle Weisheit der Erde.


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