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Das Nächste und Fernste.

Von Heimatflur und Vaterhaus
Früh zog ich in die Welt hinaus,
Um spät, nach langen Wanderjahren
Geklärten Blickes zu erfahren,
Daß alles Größte was ich sah,
Mir schon daheim war immer nah;
Denn rings um diese Erdenwelt
Wölbt sich das blaue Himmelszelt
Für unsern Blick in gleicher Ferne,
Im Glanz der Sonne wie der Sterne.
Und Quellen springen uns zu Füßen,
Uns aus der Unterwelt zu grüßen,
In deren Tiefen, wie in Särgen,
Sich alte Weltbrandsgluten bergen,
Die einst lebendig dort begraben,
Noch immer Leben in sich haben,
Das drangvoll aus der finstern Gruft
Aufstrebt nach Himmelslicht und Luft.
Und Himmelslicht und Luft und Wasser,
Des Lebens Quellen und Erhalter,
Sind aller Körperwelt Umfasser,
Und kennen weder Zeit noch Alter.

Doch wo die Drei in heiliger Einheit
Aus ihrem Born der ewigen Reinheit
Gedanken in Gestalten bilden,
Die sich mit Erdenstaub umschilden:
Da tritt die Zeit in ihre Rechte,
Bringt mit dem Werden das Vergehn
Und trennt die ewigen Lebensmächte
Von allem, was sie läßt erstehn
Aus Staub, um wieder Staub zu werden.
Selbst was am dauerndsten auf Erden
Gegründet scheint, wird einst zum Raube
Der Zeit, die es erhob vom Staube.
Kein Berg, kein wolkenhoher Thurm,
Kein Erzbild widersteht dem Sturm
Der Zeit, die in gemessenem Ring
Stets neu erschafft was unterging.
Nur Eins entzieht sich ihrer Macht:
Der Geist, der sich schon in der Hülle
Des Staubes frei vom Staube macht
Und mächtig aufstrebt zu der Fülle
Des Lichts, daraus er nur als Funken
In diesen Erdenstaub gesunken,
Um ihn verklärend zu durchdringen,
Und dann sich wieder aufzuschwingen
Vom Zwang des Raumes und der Zeit
Zum Born des Lichts der Ewigkeit.
Er läßt, in Bildern, die vergänglich,
Uns hier schon seine Wunder ahnen,
Daß wir oft Wonnen überschwenglich
Empfinden auf geweihten Bahnen,
Fernab vom wirren Lärm der Welt,
Wenn auf der Alpen weiße Gipfel
Und auf des Bergwalds dunkle Wipfel
Das Licht des Himmels rosig fällt,
Die Wasser sich und Wolken röthen,
Und in des Thales Dämmergründen
Die Nachtigallen klagend flöten,
Des Tages Untergang zu künden.
Da webt und weht es in den Lüften
Von holdem Klang und würzigen Düften,
Als ob die Nacht des Tags Getöse
In eitel Duft und Wohllaut löse.

Im Waldesgrunde, aus Quellenmunde
Murmelt geheimnißvolle Kunde:
Der Tagsverstand mit seiner Helle
Ist nur ein blendender Geselle
Für Thoren, die nichts Höheres kennen,
Als was sie greif- und sichtbar nennen.
Sie wissen nicht, daß alles Große
Geboren wird aus dunklem Schoße;
Sie wissen nicht, daß alles Größte
Unsichtbar bleibt, und erst beginnt,
Wo sich der Geist vom Staube löste,
Der sicht- und greifbar ihn umspinnt.
Du siehst die Rose blühn am Strauche,
Doch siehst du nichts vom süßen Hauche,
Der mehr sie als der Blätter Pracht
Zur Königin der Blumen macht.
Du siehst die Erde – nicht den Brodem,
Den sie aushaucht als Lebensodem.
Du siehst die kleine Nachtigall,
Doch nicht der süßen Stimme Schall,
Die eine ganze Welt des Schönen
Erschließt in weihevollen Tönen.

Und so gibt auch aus Menschenmunde
Nur unsichtbarer Hauch dir Kunde,
Ob er im Wort sich offenbart
Von hoher oder niedrer Art.
Wir trinken Licht aus ewigen Quellen,
Um Aug' und Seele zu erhellen,
Doch alles, was dem Auge sichtbar
In irdischer Hülle, ist vernichtbar.
Nur was gestaltlos urlebendig
Im Wechsel fortwirkt, lebt beständig.
Das Meer wälzt ewig seine Wogen
Frisch um den staubigen Erdenball,
Unsichtbar kommt die Luft gezogen
Und strahlend dringt das Licht durchs All.
Doch ob sie auch den Staub gestalten
Zu einem höhern Schein des Lebens:
Sie sind nur dienende Gewalten
Von einem höhern Sein des Lebens!
Das Feste muß in Geist verrinnen,
Der Geist muß neue Form gewinnen –
Allein des Geistes höchste Schranke
Erfaßt kein menschlicher Gedanke.


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