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Zur Braunschweiger Lessing-Feier.

(15. Februar 1881)

In Tagen geistiger Zersplitterung,
Wo Deutschlands Einheit – schweren Kampfs errungen –
In hadernder Pertein Verbitterung
Sich neu zu lösen droht, vom Gift durchdrungen
Verjährten Wahns und Hasses, der im Volke
Schon längst verwunden schien und ausgemerzt,
Und der nun stürmisch sich als drohende Wolke
Erhebt und unsern Ruhmeshimmel schwärzt: –

Was gibt es höheres für die Lebenden,
Als unserer großen Todten zu gedenken,
Den Blick von dem uns trüb umschwebenden
Gewölk in die Vergangenheit zu lenken,
An der Heroen Anblick uns zu stärken,
Die kämpfend uns den Weg zum Licht gebahnt,
Und deren Geist, machtvoll in ihren Werken
Fortleuchtend, uns an heilige Pflicht gemahnt.

Wir sollen gegen das verwirrende
Gezücht der Nacht, das plötzlich abermals
wie Fledermäuse uns umschwirrende
Gelichter, Todfeind jeden Sonnenstrahls –
Den Kampf fortkämpfen bis zu vollem Siege
Des Lichtes über Trug und Finsterniß,
Daß nicht das Volk aufs neue unterliege
Dem alten Wahn und seinem Schlangenbiß.

Vom Bann verfinsterter Jahrhunderte
Erlöste uns der kühne Feuergeist,
Der vielgeschmähte, vielbewunderte
Gewaltige Mann, der Gotthold Lessing heißt –
Gehaßt von Allen, die zu dem Gelichter
Des Nachtgezüchts, das er bekämpfte, stehn,
Geliebt von Allen, die der größten Dichter
Und Denker Deutschlands Herold in ihm sehn.

Sein Schaffen war ein grunderneuerndes
Zu festem Bau in Kunst und Wissenschaft,
Ein jeden Geist des Lichts befeuerndes
Zum Dienst der Wahrheit, Born der höchsten Kraft.
Im scharfen Blick glich er den alten Sehern,
Durch dunkle Zeiten schauend sonnenklar,
Und so nun sehn wir ihn im Denkmal ehern
Heut vor uns stehn, wie er im Leben war.

Sein Leben war ein kämpfend leidendes,
Schmerz war sein Los und Kampf sein Element.
Sein Denkmal ist ein bindend scheidendes,
Das Wahrheitsfreunde eint, von Heuchlern trennt. –
Schon grünt von hundertjährigen Trauerzweigen
Sein Grab – wir aber trauern um ihn nicht:
Wir freun uns, daß sein Geist uns blieb zu eigen,
Und feiern ihn begeistert im Gedicht.


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