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Mißhelligkeiten auf Vortragsreisen

(1939)

1

In der Zeit meiner »Rheinlande« hielt ich einmal in einer westfälischen Stadt einen Vortrag über moderne Malerei. Nachher saßen wir wie meist noch bei einem Glas Wein. Es ist schon zu lange her, als daß ich mich der Einzelheiten erinnern könnte; aber es war da ein Justizrat namens Windhorst, ein Großneffe des bekannten Zentrumsführers, und wie der ein witziger Mann. Der erzählte:

Ich will den Namen nicht nennen, damit er nicht dauernd geuzt wird; aber es ist ein bekannter Bürger unserer Stadt, dem ich heute auf der Straße begegnete. Nach den üblichen Begrüßungsworten fragte ich nebenbei, ob er auch in den Vortrag heute abend käme?

Ach nein, sagte er, das interessiert mich nun wirklich nicht. Was ist das überhaupt für ein Reisender?

Reisender? fragte ich kopfschüttelnd zurück: Ein Schriftsteller, wenn Sie lieber wollen, ein Redner.

Aber er spricht doch über seine Reisen in Afrika!

Afrika?

Machen Sie keine Umstände! Es hat doch in der Zeitung gestanden.

Was hat in der Zeitung gestanden? fragte ich, nun bereits selber ungeduldig.

Zum Donnerwetter, jetzt ist mirs genug: Von Cézanne bis van Gogh.

2

In einer rheinischen Stadt las ich mit gutem Glück; das heißt, der Saal war festlich gefüllt, und das Publikum ging mit. Es kommt ja alles darauf an, daß die Zuhörer nicht am Gegenständlichen hängen, sondern die Sprache aufnehmen, daß sie mit dem Wort Schillers nicht sentimentalisch, sondern naiv sind, daß sie nicht gerührt sein wollen, sondern dem Aufbau der Dichtung folgen können. Ich bin vom Zuhörer abhängig und brauche die Gesichter – weshalb ich auch nie in einem verdunkelten Raum spreche und mir in die Mikrophonzelle gern jemand mit hinein nehme: entweder werden wir so etwas wie eine Gemeinschaft, oder der Abend ist verloren, weil anders ich schlecht spreche.

Nun, in jener rheinischen Stadt las ich mit Glück, und als ich zum Schluß mitten durch den Saal hinaus gehen mußte, weil sich keine andere Tür fand, war es ein Spießrutenschritt durch eine Beifall klatschende Menge. Bevor ich aber draußen das Künstlerzimmer erreichte, schnitt mir von der Seite her eine weißhaarige Dame den Weg ab, die weinend meine Hand ergreifen und küssen wollte, was ich nicht zuließ, aber die Hand hielt sie fest, und ihr Gesicht war von Tränen überströmt.

Beethoven wurde zornig, wenn einer über sein Spiel gerührt war; vielleicht versteht man mich dadurch richtig, wenn ich sage, daß ich mit meinen Dingen nicht rühren will. Daß ich aber in der Seele dieser alten Dame gerührt hatte, dafür hielt ich die Tatsache in den Händen. Ich muß wohl ein ungeeignetes Gesicht gemacht haben; denn die Gerührte seufzte mir ein Stichwort zu. Sie sagte Orplid. Damit gab sie mir zunächst keinen Schlüssel; denn daß sie mich nicht mit Mörike verwechseln konnte, war wohl sicher. Daß sie mich aber verwechselte, war wiederum ohne Zweifel, und ein zweites geseufztes Wort gab die Erklärung. Ich will es nicht beschwören, daß sie Helianth sagte; aber die Kette in meinem Kopf schloß sich gleich: Schaeffer statt Schäfer, Albrecht Schaeffer war es, den sie anschwärmte, und »Orplid« hieß die Zeitschrift, in der sie etwas von meinem halben Namensvetter gelesen haben mochte.

Mit dieser Erkenntnis, die sich in Sekunden vollzog, befand ich mich nun freilich in einer sonderbaren, aber auch peinlichen Lage: ich wurde nicht nur für jemand anders gehalten, sondern auch für ihn angeschwärmt. Ehrlicherweise hätte ich die Verwechslung richtig stellen müssen; aber das vermochte ich nicht, ohne die Dame bloß zu stellen. Ich ging also noch ein paar Schritte mit der Beglückten dahin, bis ich mich vor dem verwirrten Gefühl ins Künstlerzimmer retten konnte.

So kam ich in jener rheinischen Stadt dazu, eines andern Ruhm einzuheimsen, mich »mit fremden Federn zu schmücken«, weil es mir unmöglich war, einer Glücklichen das Brett unter den Füßen weg zu ziehen.

3

Einmal mußte ich im Saalbau zu Essen lesen. Der Saal ist zu groß für dergleichen. Ich bin zwar nicht für die »Intimität«; auch hat meine Stimme, als ich zum Beispiel nach dem Tode Hans Thomas im Mannheimer Rosengarten die Gedenkrede halten mußte, ohne Lautsprecher – die es damals noch nicht gab – in siebentausend Ohren gereicht; aber einer Dichterlesung sind nach ihrer Natur Schranken gesetzt. Indessen war der Abend für mich aus andern Gründen ärgerlich. Das Publikum hatte sich offenbar mehr auf einen Bierabend eingestellt; während ich mich um seine Aufmerksamkeit bemühte, kamen immerzu Spätlinge noch in den halbleeren Saal, während andere offenbar gelangweilt gingen.

Das ist für einen Dichter schwer zu ertragen, namentlich wenn er, wie ich damals, aus den »Dreizehn Büchern der deutschen Seele« liest, die Aufmerksamkeit also für mehr als seine persönlichen Dinge beansprucht. Darum, als ich andern Tags in Duisburg auf das Podium kam, war ich gereizt, meine Vorlesung mit einer Verwahrung zu beginnen. Ich sagte, daß ich ein Mann von so und soviel Jahren sei, daß ich die weite Reise vom Bodensee gemacht hätte, um Dinge vorzulesen, mit denen ich dem deutschen Volk einen Stecken und Stab zu bringen gedächte; außerdem hätte ich fünf Jahre meines Lebens an das Buch gesetzt. Freilich sage ich mir auf der anderen Seite, daß es vielleicht unbillig sei, die Antwort auf meine Dinge in einer Stunde zu verlangen, nachdem ich zur Frage viel länger Zeit gehabt habe. Ich wolle deshalb nach einer halben Stunde eine Pause machen, damit alle sich entfernen konnten, die sich zu einer Antwort nicht fähig oder geneigt fühlten; bis dahin dürfte ich freilich um meiner Sache willen Aufmerksamkeit für meine Fragen erbitten.

Ich brachte das natürlich nicht gemütlich, sondern mit zornigen Worten vor, und ich spürte deutlich die Befremdung, die mir aus vielen hundert Augen entgegen starrte. Immerhin fühlte ich mich nun »salviert« und ließ die versprochene halbe Stunde hindurch das Pathos meiner Sätze tönen.

Darf ich sagen, daß nach der Pause niemand weggegangen war? Jedenfalls schien mir der Saal nachher genau so gefüllt, und es wurde ein siegreicher Abend. Hatte ich das nun meiner Ansprache zu verdanken, oder war es eine andere Zuhörerschaft? Eben dies hätte ich, weniger gereizt, auf den ersten Blick sehen sollen: In Essen hatte ich es mit einem literarischen Publikum zu tun; hier aber waren es Arbeiter, von einer Volksbühne geladen, ohne Literaturkenntnis, also Volk.

4

Ich glaube, es geschah auf der selben Reise, und zwar in Bochum, wo ich auch aus den »Dreizehn Büchern« las; aber der Saal war wieder einmal garnicht günstig. In München nennt man dergleichen einen Keller, und ich saß auf einer Bühne. Als Tisch hatte man mir einen von den weiß lackierten runden Möbeln aus dem Biergarten hingestellt und seine Schäbigkeit mit einem Leintuch verhüllt.

Gleichwohl wurde ich bald warm, weil ich viele Augen meiner Lesung aufmerksam folgen sah. Aber mit Pathos dasitzen geht eigentlich nicht. Meinen Worten Kraft zu geben, tat ich, was jeder tut, der Kraft einsetzen muß: ich umklammerte mit der Rechten den Tischrand und das war mein Mißgeschick. Denn das armselige Möbel hielt meinen Griff nicht aus; ein Segment von der Platte brach ab, glücklicher Weise unter dem Leintuch, so daß es niemand im Publikum bemerkte. So waren die Rollen vertauscht, statt Halt an dem Tisch zu finden, mußte ich das Stück Holz schwebend in der Hand halten. Denn wie hätte ich meine Lesung aus den »Dreizehn Büchern der deutschen Seele« unterbrechen sollen, um das Brett unter dem Leinen hervor zu holen oder gar fallen zu lassen? Seit diesem Abend können mich die schönsten Sessel nicht mehr zum Sitzen verlocken; ich stehe lieber auf meinen zwei Beinen, wie ich es von meiner Arbeit am Stehpult her auch gewohnt bin.

5

Wenn man den sogenannten Verpflichtungsschein für einen Vortrag ausfüllt, steht gewöhnlich auch die Frage vorgedruckt: ob man im Hotel oder in einem Privatquartier zu wohnen wünscht. Ich habe die Neutralität eines Hotels stets vorgezogen; wäre ich vordem anderer Neigung gewesen, hätte mich eine Erfahrung in Mitteldeutschland bekehren müssen.

Ich hatte ausdrücklich ein Hotelzimmer gewünscht; aber der Studienrat, der mich an der Bahn abholte, sagte mir bedauernd, daß er mich trotzdem in ein Privatquartier brächte, weil sie eigentlich kein empfehlenswertes Hotel in der Stadt hätten. Im Augenblick zu schwach, der Verfügung zu widerstehen, wurde ich nach längerem Marsch in das Haus eines Zahnarztes geführt. Der an sich sympathische Mann hatte im Krieg ein Bein verloren, und die Inflation war gerade in ihrer Blüte. Ich wurde »zunächst«, da mein Gastfreund wider Willen noch einiges zu arbeiten hatte, in sein Wartezimmer gesetzt, wo auf dem Tisch Westermanns wie Velhagen und Klasings Monatshefte neben entsprechenden Dingen lagen. Auch dafür würde er das Geld nicht mehr lange aufbringen können! sagte der Mann erbittert, als ob dies eine besondere Einladung wäre, es mir auf seine Kosten bequem zu machen.

Das Giebelzimmer, in das ich nachher hinauf geführt wurde, war das seines zum Studium abwesenden Sohnes, aber es war mir nicht unbehaglich bis auf das Gefühl, einquartiert zu sein; und das ist keine Sache, die für mich Reiz hat. Unangenehm aber wurde meine Lage, als ich vor der Lesung noch zu einem Imbiß im Familienkreise gebeten wurde. Es gab einen Tee mit Zubehör, wie er damals gegeben werden konnte; und wenn eben das Bedenken nicht gewesen wäre, in dieser knappen Zeit ein unnützer Mitesser zu sein, hätte ich keine so peinliche Erinnerung an den Abend behalten.

Aber der, wie ich sagte, sympathische Hausherr war sichtlich verbittert und seine sonst angenehme Hausfrau dadurch bedrückt. Ich bekam bald zu hören, daß es sich um einen Sohn handelte, der beim Essen fehlte; aber auch diese Wolke hätte den Imbiß nicht ernstlich beschatten können, wenn der Unglückssohn zum Schluß nicht doch noch gekommen wäre: ein »Jugendbewegter«, wie ich danach erfuhr, und im offenen Aufruhr gegen seinen Vater. Die scharfen Fragen und die bockigen Antworten entwickelten sich in wenigen Minuten zu einer Tragödie, keiner Shakespearschen, wo die Leichen auf der Bühne herum liegen, sondern einer Ibsenschen, wo die Worte töten.

Ich armer Dichter saß vor diesem unerbetenen Anschauungsunterricht mit sehr gemischten Gefühlen und war froh, als die Mutter – um ihren Sohn zu retten zum Aufbruch mahnte. Daß ich im Verlauf des Abends selber auf den Tisch schlug, hatte nichts mit diesem häuslichen Konflikt zu tun, aber zu meiner Gereiztheit muß er doch beigetragen haben.

6

Eine meiner schönsten Erinnerungen als Vortragender geht nach Stallupönen. Dort wurde ich gleich von einer ganzen Deputation am Bahnhof abgeholt; und die Herren sagten mir strahlend, daß ich der erste Dichter »von Rang« sei, der ihnen die Ehre antäte. Für mich liegt die Ehre immer auf der andern Seite, weil ich das »große unwillkürliche Wesen« Goethes als etwas Heiliges zu erleben bei jedem Vortrag innerlich bereit bin; aber die Bereitwilligkeit auf der andern Seite rührte mich, die so ganz etwas anderes war als die Blasiertheit eines zusammen gekratzten Großstadtpublikums.

Aber auch sonst enttäuschte mich Stallupönen auf das angenehmste. Es hatte unter den Russen im Weltkrieg nicht zu sehr gelitten und war auf der ursprünglichen Anlage in seiner breiten Geräumigkeit längst wieder hergerichtet.

Eine Aula oder so etwas Ähnliches wäre gewiß nicht ausreichend gewesen; denn offenbar ziemlich die ganze Bürgerschaft saß buchstäblich zu meinen Füßen in dem großen Tanzsaal, dessen Bühne mit Lorbeerbäumen und Fahnen festlich hergerichtet war. Es hätte ohne Störung abgehen sollen; und das wäre ohne den Winter auch gegangen, der dort natürlich sich anders auswirkt als am Bodensee. Der Saal war aus der Winterkälte heraus mit hohen Eisenöfen eingeheizt worden, und die dicht gedrängten Zuhörer hätten die fehlende Wärme beigebracht, wenn es nötig gewesen wäre; die tiefe Bühne aber, auf der ich stand, wehte Eiseskälte aus allen Kulissen.

Ich hatte einige Minuten lang gelesen, als ich die Unmöglichkeit einsah, dies auszuhalten. Es blieb mir wirklich nichts übrig, als aufzuhören und dem Publikum mitzuteilen, daß es so nicht ginge. Sie konnten das in ihrem geheizten Saal nicht gleich verstehen; jedenfalls war für eine Weile erschrockene Stille. Dann aber rief einer das rettende Wort aus dem Saal: Vorhang herunter! Das geschah, und die ganze Herrlichkeit der Bühne hinter mir verschwand mit ihren Fahnen und Lorbeerbäumen; doch war die Rückenkälte nun erträglich. Dafür zeigte sich eine andere Bedenklichkeit. Der Rand der hohen Bühne vor dem Vorhang war selbstverständlich nicht breit; so stand ich den ganzen Abend hindurch am Abgrund; aber die dankbare Zuhörerschaft entschädigte mich reichlich für diesen buchstäblichen Mißstand.

 


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