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Der Freund

Zum 50. Geburtstag von Wilhelm Schmidtbonn

(1926)

In jener nicht angenehmen ersten Zeit, da ich mich als Redaktor der »Rheinlande« – wie die Schweizer so drollig verdeutschen – mit einer mir vorgesetzten Kunstkommission und der dahinter stehenden öffentlichen Meinung meiner einseitig geliebten »Vaterstadt« Düsseldorf herum schlug, kam eines Tages ein noch junger Mann mit eindringlichen Augen in mein Redaktionsstübchen, der sich Wilhelm Schmidt nannte und aus Bonn war. Obwohl es eigentlich eine Beschwerde genannt werden muß, was er wollte, kam er nicht mit dem Ton einer solchen, sondern mit einer trotzig schüchternen Bitte. In der vorletzten Nummer der »Rheinlande« – so lange hatte er zu seinem Entschluß gebraucht – sei ein Drama von ihm übel abgehandelt worden, und er bäte mich, es selber zu lesen, da der Kritiker offenbar voreingenommen gewesen wäre.

Das Drama hieß »Mutter Landstraße« und der Kritiker Fritz Binde, ehemals Uhrmacher und Anarchist in Vohwinkel bei Elberfeld, seitdem mit anderen Angelegenheiten in Bonn und heute längst als Wanderprediger gestorben. Die Voreingenommenheit aber war die, daß besagter Fritz Binde, sicher eine der originellsten Begegnungen meines Lebens, selber jahrelang gewalzt hatte und die Landstraße offensichtlich genauer kannte als Wilhelm Schmidt, das Bürgersöhnchen aus Bonn. Er war als Proletarier Spezialist und wollte sich in sein Lebensgebiet von einem Dilettanten nichts herein reden lassen.

Nun, ich las das Drama, dem er so zornig heimgeleuchtet hatte, und seit dem Tag wußte ich, daß es im Rheinland eine Dichterseele gab. Das Stück handelt auf seine besondere Weise vom verlorenen Sohn, und es gipfelt in einer Auseinandersetzung mit dem Vater, die als Szene etwas hat, was in der modernen deutschen Kunst nicht so häufig ist, wie es häufig scheint: nämlich volksliedhafte Schwere und Süße. Meinem Freund Binde war das natürlich nicht sozialistisch genug: der im Fett sitzende Vater und der hungernde Sohn; da wäre er mit der Moral der Unterdrückten anders losgefahren. Ich aber, der ich aus dem naturalistischen Berlin heimgekehrt war und eine andere Form suchte als die damals beliebte lebenswahre Darstellung aus dem wirklichen Leben, ich hörte einen Klang aus dem wahren Volk, der mich brüderlich berührte.

Das Stück hat, auch abgesehen von Fritz Binde, kein rechtes Glück gehabt; genau genommen ist der Ton, der mich darin so rührte, das Unglück des Dichters sein Lebtag geblieben. Er hat sich nicht abgewöhnen können, auf dem Theater zu dichten; und so starke Erfolge er danach mit andern Stücken hatte: eine gewisse Mißachtung des Dichters durch die Literaten ist an ihm hängen geblieben.

Nun, sein Mißgeschick ist auch das meine: mir sind die Gassen- und Salongeschehnisse nie anziehend und wertvoll gewesen, in der Gewißheit, daß die Zeit das, was ihr am meisten gehört, auch am ehesten auf den Misthaufen bringt. Der viel gerühmte Spiegel Shakespeares, den die Kunst ihrer Zeit vorhalten soll, ist anderer Art als jener, den man in der Glashandlung kauft. Wer darin Alltäglichkeit sucht, wird sie nicht finden, weil er ein Zauberspiegel ist und das Geheimnis der Verwandlung in sich trägt, das Nahe aus dem Ferngesicht der Ewigkeit zu betrachten. Für die subtilste psychologische Zustandsschilderung kann er blind sein und hellsichtig für die Einfalt des Volksliedes, das die großen und kleinen Geschehnisse unbekümmert durcheinander wirft. Meine innigste Sehnsucht und mein höchster Ehrgeiz ist geblieben, meinen Dingen dieses Volksliedhafte zu geben; und eben dies scheint mir auch die Natur des Dichters Wilhelm Schmidt aus Bonn zu sein, der sich in der Folge echt volksliedhaft Wilhelm Schmidtbonn nannte, weil es der Schmidts aus Bonn nach dem Adreßbuch eine Masse, aber nur einen Schmidtbonn gibt.

Über diese altmodische Gemeinsamkeit sind wir brüderliche Freunde geworden, haben uns einmal gestritten, daß ich wie ein Stier – oder wars ein Esel? – schnaubte: aber auch das war ich meinem Freund schuldig, der mich tapfer und gut beim Nasenring nahm. Seitdem bringt mich nichts mehr von ihm ab, der mir wie ein Stück Heimat gehört, und dem ich auch so gehöre.


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