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Besuch in Luxemburg

(1931)

Der Zweck meines Besuches in Luxemburg war die Hinterlassenschaft des sogenannten Hauptmanns von Köpenick, der dort zum Frühjahr 1909 – im dritten Jahr nach seinem Schelmenstreich – aufgetaucht und bis zu seinem Tod im Januar 1922 geblieben war, sein verschlissenes Leben doch noch in ein unbescholtenes Alter zu bringen.

Der selbe Schuhmacher Wilhelm Voigt, den die Gerichte im ganzen zu siebenundzwanzig Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Gefängnis verurteilt hatten, der nach seinen Akten ein so gefährlicher Verbrecher war, daß ihm die deutschen Behörden kein Niederlassungsrecht geben konnten, lebte noch dreizehn Jahre lang ein drolliges Rentnerdasein in Luxemburg. Anders nicht als sonst ein an der Majorsecke verabschiedeter Hauptmann legte es auch der Hauptmann von Köpenick darauf an, ungeschoren seinen Schrullen zu leben. Daß er dabei in das Haus und Herz einer Gendarmenwitwe geriet, diesen Witz hatte sich der alte Zuchthäusler nicht ausgedacht.

Als ich nach Luxemburg kam, war er schon neun Jahre lang tot; aber »Madame Köpenick«, wie ich in der Zeitung gelesen hatte, lebte noch. Ich konnte also die Probe aufs Exempel machen: wenn Wilhelm Voigt sein Leben unbescholten zu Ende gebracht hatte, so war mein angefochtenes Buch gerechtfertigt. Eben dies sollte mir die Hausgenossin des Zuchthäuslers in der Rue Neipperg zu Luxemburg bestätigen. Indessen hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wenn ich dachte, ungehindert in den Lebensraum des Hauptmanns von Köpenick eindringen zu können. Ich war ausgerechnet an jenem »Schwarzen Montag« nach Luxemburg gekommen, als das deutsche Geld wieder einmal an den Börsen der Welt für wertlos erklärt wurde, und die verächtliche Handbewegung, mit der an der Wechselbank meinem Zwanzigmarkschein abgewinkt wurde, habe ich nicht mehr vergessen können. Diese Handbewegung bedeutete, daß ich mich mittellos auf die Straße gesetzt fand, wo ich zwar in der Lützelburger Heimat des Dantekaisers Heinrich VII., aber fühlbar im feindlichen Ausland war.

Und die drei Schweizer Franken, die ich danach in meiner Geldtasche entdeckte, befreiten mich wohl aus der peinlichen Verlegenheit, aber sie konnten mein gestörtes Gleichgewicht nicht wieder herstellen, obwohl ich nun auf der selben Wechselbank eine Handvoll belgischer Münzen erhielt, die ich nur lose im Hosensack verstauen konnte. Ich kann es nicht anders ausdrücken, als daß ich mich bedenklich dem Hauptmann von Köpenick angenähert fühlte. So unbegreiflich kam ich mir aus der Welt der Zahlungsfähigen heraus gefallen und mit diesem angeblichen Geld im Hosensack wieder hinein geschwindelt vor, als hätte ich mich an der erbeuteten Stadtkasse von Köpenick mitbereichert.

So war ich auf kuriose Weise vorbereitet, als ich an der verschlossenen Tür in der Rue Neipperg klingelte und lange warten mußte, bis mir geöffnet wurde. Eine alte Frau schien zuerst wenig geneigt, mich einzulassen. Da ich mich aber bei ihr gültiger ausweisen konnte als an der Bank mit meinem Zwanzigmarkschein, zog sie bald eine bessere Miene auf und führte mich in die Wohnung ihres verstorbenen Zimmerherrn hinauf.

Die lag im ersten Stock und bestand aus einem schmalen Raum, der durch die ganze Tiefe des Hauses ging, je vorn und hinten hinaus ein Fenster und überdies hinten eine Tür zum Garten zeigte. Ursprünglich waren es zwei Zimmer gewesen; aber der raumbedürftige Wilhelm Voigt hatte die Mittelwand heraus nehmen lassen. Und während die Tür hinten früher nur auf einen Balkon geführt hatte, ging da jetzt eine Eisenbrücke gleich in den Garten hinüber, der in der Höhe des ersten Stockwerks lag und, wie ich danach sah, mit gutem Zwergobst bestanden war.

Im übrigen sah der helle Raum mit dem geblümten Vorhang am Bett, dem altmodischen Lehnstuhl und dem Harmonium vorn am Fenster eher nach einem kleinbürgerlichen Rentner als nach einem alten Zuchthäusler aus. Ich habe da mit der selbstbewußten Bürgerin von Luxemburg gesessen, die sich nicht zu gut gewesen war, dem Gestrandeten ihr Haus und Herz zu öffnen. Sie hat mir bei einer Flasche eigenen Weins manches erzählt, das anders war, als man es von einem alten Zuchthäusler erwarten möchte. Wer mein Buch kennt und sich des Kavaliers von Obornik erinnert, kann sich ein Bild des alten Mannes machen, der im ehrbaren Alltag der Bürger kein zerbrochenes Wrack, sondern so gut oder besser seetüchtig war als andere, denen es leichter gemacht wurde.

Als könnte das Schicksal sich des Schabernacks mit Wilhelm Voigt nicht genug tun, stand eines Tages ein Hauptmann in seiner Stube, ihn zu verhören und zu verhaften: nicht wegen »unbefugten Tragens einer Uniform«, wie es von einer flinken Feder gemeldet wurde, sondern weil er aufrührerische Reden geführt haben sollte.

Denn im fünften Jahr seiner Anwesenheit, als er mit dreiundsechzig Jahren noch rüstig genug war, seine Reitkünste zu zeigen, war Luxemburg das Tor geworden, durch das die deutschen Heere einbrachen; und manche von den Soldaten, die singend und mit grünen Kränzen am Helm in die Stadt einmarschiert waren, hörten kaum von dem Hauptmann von Köpenick, als sie ihn sehen wollten. Er war aber kein Spaßvogel, wie sie dachten, sondern ein bitter erfahrener Mann, der nicht an ihren frisch-fröhlichen Sieg glaubte.

Die Militärbehörden ließen ihn gleich wieder frei, als sie seine Harmlosigkeit sahen: sie wollten nicht lächerlich an dem alten Mann werden, durch den schon einmal die ganze Welt über die Pickelhaube gelacht hatte. So konnte der Hauptmann von Köpenick unbehelligt in Luxemburg bleiben, so lange es Einfallstor, Hauptquartier und danach Etappe war; bis im November 1918 der Wind wieder von Paris wehte und das Großherzogtum zu einem Anhängsel von Belgien machte. Da freilich war die Grenzluft von so bissiger Schärfe, daß Wilhelm Voigt seine Heimkehr bedachte. Aber die Bürgerin von Luxemburg hielt und deckte ihn und war seinem Alter eine getreue Beschließerin, als die Inflation ihm wie uns allen die Grundlage der Existenz nahm.

 

Als ich von der Rue Neipperg zum Bahnhof zurück ging, hatten die Fenster von Luxemburg ihre Beargwöhnung und die Blicke ihre Feindseligkeit verloren. Seitdem ich den Hauptmannssäbel in der Hand gehabt hatte, mit dem der ausgewiesene Zuchthäusler Wilhelm Voigt nach Köpenick kam, den Bürgermeister in seinem eigenen Rathaus zu verhaften, war der Teufel in mich gefahren, nichts mehr ernsthaft zu nehmen. Derselbe Schalk, der für eine Stunde die Polizeiordnung auf den Kopf stellte, hatte ebenso eifrig Sauerkirschen aus Erfurt in seinen Garten gepflanzt und auf dem Harmonium die alten Choräle und Lieder gespielt, die überall, wo sie erklingen, das Herz einfältig machen. Ich war mit meinem Menschentum auf Grund geraten, wo es seit je spottsüchtig ist; und die Bürgerin von Luxemburg, eine siebenundsechzigjährige Frau, hatte mir die Stichworte gegeben.

Auf der Rückfahrt nach Trier stand ich eine Weile vor dem altersgrauen Sandstein der Igeler Säule, die sich eine römische Kaufherrenfamilie – dreiundzwanzig Meter, also Dorfkirchturm hoch – als Denkmal setzte. Der Sekundinius Securus, dessen Name darauf prahlte, war in seiner Zeit gewiß ebenso geachtet gewesen, wie der Hauptmann von Köpenick vor seinem Schelmenstreich mißachtet war; aber ich konnte das Bürgertum seiner kaufmännischen Taten, wie sie auf den Reliefs dargestellt waren, unmöglich ernst nehmen. Wären es Schelmenstreiche, dachte ich mir, würde der Sekundinier selber der Ruhmträger sein, statt daß er nun sichtbar nur der Bezahler ist!

Aber da ging ein Grenzaufseher vorüber; und vor dem amtlichen Blick des Mannes war es mir, als hätte ich mich mit meinem Besuch in Luxemburg eines unpassenden Spaßes schuldig gemacht.


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