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An Emil Strauß

Im Frankfurter Sender gesprochen

(1936)

Lieber Emil Strauß, Sie kennen gewiß jene Briefstelle Goethes, die mir seit langem zum Richtwort geworden ist, in Neapel an Herder geschrieben, als er aus Sizilien kam: Erst an den homerischen Gestaden sei es ihm wie eine Decke von den Augen gefallen, daß die Alten in ihrer Dichtung Existenz gewollt und erreicht hätten; wir aber – schreibt Goethe an Herder – wollen mehr oder weniger den Effekt.

Ich weiß kein Scheidemittel der Kunst, das zuverlässiger wäre als dieses anscheinend nur aus einer Stimmung hingeworfene Wortspiel Goethes: es scheidet das aus eigenem Gesetz gewordene Sein der Kunst vom Schein, der nur aus seiner Wirkung zu leben versucht. Wenn wir seit Nietzsche zeitgemäß und unzeitgemäß sagen, meinen wir das gleiche, daß etwas vom Beifall der Zeitgenossen abhängig ist und mit ihm vergeht, während anderes, von den Zeitgenossen unabhängig, besteht. Damit wird freilich nur ein Anspruch der Zeitgenossen zurück gewiesen, aus dem Effekt etwas über die Existenz aussagen zu können; denn zeitgemäß ist natürlich jede Kunst, und zwar die vermeintlich unzeitgemäße am meisten, wie wir Heutigen es an Stifter erleben, der mehr über seine Zeit aussagt als die vergessenen Lieblinge des damaligen Publikums.

Ein Liebling des Publikums können Sie, lieber Emil Strauß, nicht sein, weil Sie um der Existenz willen den Effekt allzeit herb und stolz abgelehnt haben. Existenz kann man freilich nicht wollen, ohne selber Existenz zu sein; das hat uns Zeitgenossen kaum einer so deutlich gemacht wie Sie. Ihre Dinge haben Gestalt gewonnen aus einem menschlichen Sein, das in keiner geringen Weise verbindlich, sondern in Bescheidenheit stolz, in Demut hochmütig, in Aufrichtigkeit unbeugsam ist.

Ihr Leben konnte darum kein leichtes sein; und wenn Ihre Lebensbeschreibung einmal dem deutschen Volk vorgelegt wird, werden die Schwierigkeiten und Leiden keinen geringen Teil darin ausmachen. Dann wird das deutsche Volk freilich auch das Vorbild in Ihrer Existenz sehen; denn so in Bescheidenheit stolz, in Demut hochmütig, in Aufrichtigkeit unbeugsam, wie Sie es sind, sollte der deutsche Mann sein.

Wenn Ihnen das deutsche Volk am 31. Januar dankt, kann dieser Dank nichts sein als ein Widerhall Ihrer Dinge; eben darin aber gibt sich der Segen, dessen Sie mit Ihrem vollendeten siebzigsten Lebensjahr teilhaftig werden. Der Segen ist, daß Ihre Existenz sich aus soviel Effekten der Zeitgenossen immer stärker heraus gestellt hat, daß diese Herausstellung ein Sieg des deutschen Menschen ist, der an sich selber glaubte und sich darum der behutsamen Pflege aller Äußerungen für wert hielt.


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