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Anklage

(1918)

Unter den verschiedenen Gründungen meiner unruhigen Seele war mir der »Frauenbund zur Ehrung rheinländischer Dichter« die liebste. Er stellte für mein heimliches Poetentum eine Rechtfertigung dar, daß ich doch nicht so ganz nur der Kunstagitator der »Rheinlande« wäre; auch war seine Idee von jener Einfachheit, die guten Dingen nun einmal eigen ist: die rheinländischen Frauen konnten ihren Edelmut zeigen, ohne sich weiter anzustrengen, als daß sie wie sonst auch fünf Mark für ein gut gebundenes und gedrucktes Buch zahlten, wobei sie noch den Vorzug einer vom Verfasser gezeichneten Erstausgabe hatten und ihren Namen in der beigedruckten Subskriptionsliste sahen; der Dichter hingegen bekam ein ungewöhnliches Honorar als Ehrengabe und hatte die öffentliche Anerkennung dazu. Eine besondere Verschönerung schien es mir, daß ich nicht die rauhe Männerwelt, sondern die Frauen aufgerufen hatte, die zu allen guten Zeiten der deutschen Dichtung auch ihre Pflegerinnen gewesen waren.

Wie so ziemlich jeder Plan unseres armen Menschengeistes hatte auch dieser ein Loch, das ich von Anfang an verkleben mußte. In der Unzulänglichkeit menschlicher Gemeinschaften nicht unerfahren und mißtrauisch gegen alle Kommissionenweisheit, gab mein Plan dem Frauenbund wohl eine Lesekommission von zehn Mitgliedern – da man den Frauen die Ehrenwahl des Dichters natürlich nicht vorenthalten konnte –, aber ich glaubte den unbegrenzten Möglichkeiten dieser Wahl ein Regulativ dadurch geben zu können, daß ich dieser Lesekommission nur die Wahl unter drei Werken antrug, die durch Hermann Hesse, Wilhelm Schmidtbonn und mich vorgeschlagen wurden. Das war natürlich nur ein Pflaster auf das Loch, und es konnte – wie die Folgezeit lehrte –, jederzeit abgerissen werden, um dem ungehinderten Wahlbedürfnis der Frauen Genüge zu tun. Immerhin, zunächst hielt es, und wir hatten die Freude, mit einem so prachtvollen Werk wie dem »Zorn des Achilles« von Wilhelm Schmidtbonn durchs Ziel zu kommen. (Um hämischen Glossen den Untergrund zu nehmen, bemerke ich, daß Wilhelm Schmidtbonn erst nach der ersten Wahl und an Stelle eines anderen Dichters in das Triumvirat der auswählenden Männer eintrat.) Schon bei der zweiten Wahl gab es Differenzen um die »Prinzessin Jungfrau« von Benno Rüttenauer, und auch nachher ging es nicht immer glatt; aber daß der Frauenbund nacheinander Ludwig Finckh, Herbert Eulenberg, Alfons Paquet und vor allem den alten innigen Christian Wagner ehrte, wird seiner ersten Zeit ein gutes Gedächtnis bewahren. Daß ich selber schließlich auf die Liste kam, wird ihr – so hoffe ich – in der Zukunft auch keine Schmähung bedeuten.

Dann ging es leider zu Ende, die Selbständigkeit der Frau war in der Lesekommission so weit erstarkt, daß wir Männer uns als Störenfriede entfernten. Danach gab es Josef Wincklers »Mitten im Weltkrieg«, für das zum wenigsten ich keine Verantwortung tragen möchte, und endlich einen längeren Streit um eine preiszukrönende Frau. Der Schrei nach der Dichterin war laut geworden; er suchte zwischen Else Lasker-Schüler und Leonore Niessen vergeblich einen Ausweg. Unterdessen war der »Frauenbund zur Ehrung rheinländischer Dichter« in einen Frauenbund zur Ehrung deutscher Dichter verwandelt und erweitert worden, »weil in unserer Zeit landschaftliche Beschränkungen innerhalb Deutschlands fallen sollten«, wie es wörtlich im Jahresbericht hieß. Damit war in jeder Beziehung die Bahn frei für eine ungehinderte Betätigung; alle deutschen Länder und Provinzen konnten vor den Rat der Frauen treten mit dem Anspruch, den besten ihrer Dichter gekrönt zu sehen, und ein größerer Tor, als ich es bin, hätte mit dieser Aussicht einen schönen Hoffnungsschaum schlagen können.

Im Jahre 1917 geschah dann der erste große Schlag, der deutsche Frauenbund rheinländischer Herkunft kürte sich den ersten deutschen Dichter: Hermann Sinsheimer hieß er, und sein preisgekröntes Werk war ein Roman: »Die drei Kinder« . Ich bin nicht sicher, wann das Buch zur Welt kam; ich wurde erst in diesem Sommer in München darauf aufmerksam gemacht, wo man mich – in der Heimat des Siegers – nicht ohne Spott nach meinem Anteil an dieser Ehrung fragte. Da ich bis dahin einen Dichter namens Hermann Sinsheimer nicht kannte, nahm ich das Buch – es ist ein Roman von 280 Seiten – nicht ohne Mißtrauen zur Hand, denn dies darf ich mir trotz meinen fünfzig Jahren zusprechen: meine Augen sind noch nicht stumpf für die Jugend, und meine Liebe für das Werdende läßt mich auf alles achten, was aus den Herzen der Jüngsten Sprache und Bild wird, obwohl ich selber – das weiß ich wohl – von Anfang an altmodisch in der Welt stand. Ein Hermann Sinsheimer aber war mir wahrhaftig nirgendwo aufgefallen.

Nun habe ich sein Buch gelesen, nicht eben mit Genuß, und ich muß sagen, es ist so übel nicht. Wenn »Die drei Kinder« im »Daheim« oder sonst einem unserer lieben Familienblätter erschienen wäre, ich müßte die Schriftleitung loben, die statt der sattsam bekannten Namen einmal einen andern vor die selbe Sache setzte, die sie aus dem herzensguten Bedürfnis des Publikums jahraus, jahrein servieren muß. Aber – und jetzt muß ich zum Teufel sagen – ein Familienblatt und ein »Frauenbund zur Ehrung deutscher Dichter« sind immerhin noch zweierlei; oder, da mir dieser Roman das Gegenteil bemerkt, es sollte ein Zweierlei sein. Indem die Frauen dieses Bundes den Anspruch für sich nehmen, deutsche Dichter zu ehren, übernehmen sie vor ihrem Volk eine Verpflichtung. Vor ihrem Volk und vor den deutschen Frauen! Man bedenke doch nur, was das heißt: im Jahre 1917 des Weltkrieges, da alle Anforderungen an den deutschen Geist aufs grausamste gespannt waren, da aus dem Feuerbrand der Jugend wirkliche Blitze loderten, da immerhin manche der Alten sich tapfer zum Ernst der Zeit bekannten – wenn auch dem Hauptquartier der deutschen Bildung nach wie vor Ganghofer und Rudolf Herzog am nächsten standen –, hoben die Frauen des Bundes Hermann Sinsheimer auf den Schild ihrer Ehrung. Denn schließlich zittert in jenen Koryphäen der Unterhaltung das Schicksal unserer Zeit, und es ist nicht ihre Schuld, daß uns ihr Zittern so wenig angeht; in dem Roman von Hermann Sinsheimer aber trödelt das Mißgeschick dreier nicht eben belangvoller jungen Leute zwischen Kaffeestube und Bürgerhaus zu einem schmählichen Ende hin. Eine Lesefrucht aus der kläglichen Zeit um 1900 wird mit einer geistigen Ahnungslosigkeit aufgetischt, die in dem grausamen Zwang unserer Tage erschütternd wirkt. Auch die größte Milde wird an diesen »Drei Kindern« nichts finden, das irgendwie mit einem höheren Gefühl des Lebens zusammen hängt; weil der Mann, der ihren Lebenslauf aufzeichnete, keinen Stern in der Brust trug, geht ihr Leben im ödesten Dunkel aus: weder Heinrich Felcher, der verbummelte Jurist, noch Gustav Moser, der unterirdische Lebemann, noch ihrer beiden Geliebte Maria Striffler aus Weißburg in der Pfalz, haben in dem armseligen Hin und Her ihrer Tage etwas von dem aufzuheben vermocht, was uns im Menschendasein einen Halt geben könnte. Hoffnungsloser Bankrott ist das Ergebnis ihrer sinnlosen Stunden.

Es ist mehr als ein böser Scherz, wenn ich angesichts der traurigen Tatsache dieser Dichterkrönung nach einer Zensur verlange, die geistigen Äußerungen unserer Tage auf ihren Lebenswert zu prüfen. Gegen den unglücklichen Hermann Sinsheimer habe ich nichts, er ist ein armer Teufel und hat sich mit diesem sorgfältig geschriebenen Buch augenscheinlich über seine Kräfte ausgegeben; aber gegen den »Frauenbund zur Ehrung deutscher Dichter« erhebe ich die Anklage einer bösen Leichtfertigkeit. Er hat in einer Zeit, da jede Forderung aufs höchste angespannt sein muß, mit einem Ideal Schindluder getrieben. Denn Dichter sein, heißt weder sich selber, noch andern zum Vergnügen Worte in Verse oder Prosa bringen, es heißt das Gut unserer Sprache in jenem höchsten Sinn verwalten, der in unserer Sprache das geistige Dasein sieht. Wenn ein Literat von dem Schicksal unserer Tage unberührt bleibt, so ist es sein Verhängnis; wenn aber eine Gemeinschaft, die ihren Namen und Zweck an den deutschen Dichter knüpft, sich in unserer Schicksalsstunde derart verplempert, wie es der »Frauenbund zur Ehrung deutscher Dichter« mit dieser Preiskrönung getan hat, ist der schärfste Einspruch nötig. Ich als deutscher Dichter klage den Frauenbund einer unentschuldbaren Leichtfertigkeit an; mein besonderes Verhältnis als Gründer seines Daseins gibt mir ein besonderes Recht und eine besondere Verpflichtung dazu.


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