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(1940)
Hans Grimm hat uns das Volk ohne Raum genannt; daß wir es sind, braucht man keinem Deutschen im In- und Ausland erst zu beweisen. Wie wäre es sonst zu dem deutschen Schicksal gekommen, daß wir als einziges unter den großen Kulturvölkern zu einem Drittel im Ausland leben mußten? Wobei der Volksverlust, den wir durch die Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Nordamerika erlitten – wo ein Viertel der weißen Bevölkerung als von deutscher Abkunft geschätzt wird –, nicht mitberechnet ist.
Wohl wanderte jährlich auch mehr als eine Viertelmillion Briten aus, aber sie zogen ins britische Weltreich, wobei sie die Vereinigten Staaten immer noch als ihre Domäne betrachteten. Uns hingegen hatte man durch den Raub der Kolonien auch noch die letzte Tür zugemacht, draußen nach eigenem Recht leben zu können.
Bis tief in den Osten hinein und über dem Meer, wo Raum ist, sitzen wir Deutschen als Siedler; und alle Welt weiß, daß wir das geborene Siedlervolk sind.
Siedler sein, heißt eines Tages aus der Heimat auswandern, um das Leben von Grund auf neu zu wagen. Das mag nicht schwer sein, wenn die Brusttasche mit jenen Papieren gespickt ist, die durch ihren Aufdruck einen Anspruch an die Lebensgüter bedeuten; aber soweit wir wissen, war diese Brusttasche den deutschen Ansiedlern in aller Welt selten gegeben. Was also, müssen wir fragen, was brachten sie mit, das unmöglich Scheinende dennoch zu wagen? Die Antwort kann nur ihr deutsches Menschentum geben, das so sichtbar die gespickte Brusttasche ersetzte. Worin dieses deutsche Menschentum besteht, das können die Völker der Erde seit Jahrhunderten in Augenschein nehmen.
Zum ersten ist es sein Bienenfleiß. Dem deutschen Menschen macht die Arbeit Freude, weil er in ihr seiner Tüchtigkeit froh wird. Und so gewiß ihm die Tüchtigkeit nützen soll, so wenig liegt es ihm, die tägliche Arbeit als Übel zu beseufzen, das um des Lohnes willen getan werden muß. Der deutsche Kleinbauer, der den tüchtigsten Ansiedler stellt, hat sich nie einen Achtstundentag vorreden lassen; seine Hände taten die Arbeit, wie sie sein Gewese verlangte: wenn er um vier Uhr in der Frühe zur Mahd dastehen mußte, kam er nicht erst um sieben; und wenn die Kuh kalbte zur Nacht, war er im Stall. Und alles geschah mit Frohmut, der ein getreuer Begleiter des Fleißes ist.
Zum zweiten ist es sein Ordnungssinn. Der deutsche Mensch kann keine Nachlässigkeit leiden; sein Arbeitsgeschirr oder seine Maschinen in Dreck und Rost verkommen zu lassen, wie es von andern Völkern berichtet wird, ist ihm ein Greuel. Hat er einen Garten am Haus, müssen die Beete sauber umzirkelt und die Wege frei von Unkraut sein, selbst der Misthaufen muß seine gepflegte Form haben. Wer je aus einem deutschen Dorf über die Grenze in ein französisches Dorf ging, hat den Unterschied vor Augen gehabt. Dort sind Dach und Wände, Türen und Fenster sauber gehalten, alles steht oder hängt an seinem Platz, während es hier in lässiger Unordnung herum liegt.
Zum dritten ist es seine Unverdrossenheit. Der deutsche Mensch gibt nicht leicht etwas auf, was er einmal begonnen hat. Der Brunnen wird so tief gegraben, bis er Wasser bringt. Daß steter Tropfen den Stein höhlt, ist ihm nicht nur ein Sprichwort: was er sich in den Kopf gesetzt hat, ist er durch harte Übung gewohnt, auch zu erreichen. Er trägt die Steine aus seiner Wiese zusammen, bis daraus eine Mauer rundum geworden ist; und wenn ein Feld im dritten Jahr der Bearbeitung noch zu mager steht, setzt er weitere Jahre geduldiger und zäher Arbeit daran, bis es zuletzt doch seine karge Frucht bringt.
Zum vierten ist es seine Rechtschaffenheit. Der deutsche Mensch kann nicht in Listen und Schlichen leben. Er hat von seinen Eltern den Spruch geerbt, daß ehrlich am längsten währt, und sucht seinen Vorteil in der Dauer. Wo er Unrechtlichkeit wittert, schließt er sich hochmütig aus; mit den Wölfen zu heulen, ist er zu stolz. Seine Lebenslust ist dort, wo der Mann ein Wort gilt, wo ein Handschlag das Geschäft besser besiegelt als ein beschriebenes Papier. Wenn er hier einen Fehler hat, so den seiner Treuherzigkeit.
Zum fünften ist es seine Gemütlichkeit. Der deutsche Mensch kann dem Verstand allein nicht die Entschließungen überlassen, sein Herz muß beteiligt sein. Ein Gerät, das er braucht, ist ihm lieb wie ein Freund, und ein Ding, das er noch von seinen Eltern hat, kann er streicheln. Eine Sache um ihrer selbst willen tun, heißt ihm nicht, daß seine Seele mitverkauft ist. Wo fröhlich gelacht wird, mag er nicht sauertöpfisch stören; und ein Leid ist ihm nicht gleichgültig, weil es den andern trifft. Sein Fehler ist, daß er leicht sentimental wird, daß er sich seinem Gefühl allzu leicht hingibt: aber er kann den Fehler nicht ablegen, weil ihm sein Leben, ohne daß er mit ganzem Herzen dabei ist, nicht lebenswert wäre.
Zum sechsten ist es seine Abenteuerlichkeit. Der deutsche Mensch hat noch immer den Landsknecht im Blut, der sein Leben auf fremden Straßen wagte. Immer lockt ihn die blaue Ferne mit Sehnsucht; und lieber, als daß er verhockt, schleppt er sein Schneckenhaus mit in die Ungewißheit. Daß er nirgendwo ein Schlaraffenland findet, weiß er wohl, und daß es zum Glück gehört, erobert zu werden. Geht es hart dabei zu, sitzt er nicht weinend am Straßenrand, sondern er lacht sein Trutzgelächter, weil sich nun der Mann weisen muß. Von allen Zuständen ist ihm der gewisseste der, wo er die Beine breit stellen kann, den Angriff zu erwarten. Und wenn er auch hier seinen Fehler hat, so den, daß er nicht hinter sich sieht und den Feind nicht auf der Lauer erwartet.
Zum siebenten ist es sein Gottvertrauen. Der deutsche Mensch hat mehr Leid um seines Glaubens willen durchgemacht als ein anderer, weil er nicht anders leben kann, als daß er in sich selber Ordnung hat. Als er auf den Brandtrümmern des Dreißigjährigen Krieges stand, hat er sein Haupt nicht verhüllt und mit Asche bestreut, sondern sein »Nun danket alle Gott« gesungen. Zu denken, daß er aus eigener Vollmacht sein Leben bestehen könnte, dazu ist er weder hochmütig noch leichtfertig genug. Er muß sein Vertrauen in etwas setzen können, darin der Sinn seiner Dinge in Hut ist. Darum hat er sich mitten im Winter den Weihnachtsbaum erdacht, daran die Kerzen ihm die ewige Wiederkunft des Lichtes bedeuten. Er mag und kann nicht anders leben, als daß er zu jeder Stunde bereit ist, die Hände ineinander zu legen: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Dies Wort von allen Worten des Christ hat ihn am stärksten berührt.