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Im Wieland-Museum zu Biberach

(1925)

Biberach lag ehemals an der Riß, die ein Zufluß der Donau ist; heute liegt es an der Strecke Ulm – Friedrichshafen, und zwar so, daß man von der Bahn aus die Türme der alten Stadtbefestigung an einem Hügel und darunter den dicken Kirchturm über den gedrängten Spitzdächern sieht. In den Türmen der Stadtbefestigung stecken noch die üblichen Schwedenkugeln unseres Religionskrieges; der derb bekappte Kirchturm über dem massigen Dach steht als der Zeigefinger eines schwäbischen Wunders da, das uns in Deutschland vielerorts nötig wäre, das der Duldung: Morgens bis dreiviertel zehn Uhr gehört die Kirche in Biberach den Katholiken, von dann bis zum Frühnachmittag den Evangelischen, nachher bis zum Abend wieder den Katholiken; und ich habe nicht vernommen, daß sie jeweils wieder ausgeräuchert wird, wenn die Ketzer darin zur selben Dreieinigkeit gebetet haben.

In dieser schwäbischen Kleinstadt, die um eine breite, altväterliche Marktstätte liegt, ist Christoph Martin Wieland zwar nicht geboren, weil sein Vater von Biberacher Herkunft damals noch Pfarrer im nahen Oberholzheim war, aber er wuchs dort auf und wurde nach seinen Schweizer Hauslehrerjahren mit siebenundzwanzig Jahren Kanzleidirektor, als welcher er neun Jahre lang, von 1760 bis 1769, amtete.

Zu jener Zeit waren solche Landstädtchen noch unzerstörte Lebewesen. Vor ihren Toren lag das Gehege der Bürgergärten, hinter deren Hecken erst das Feld und die Landschaft begannen. Und wer selber keinen Garten vor den Toren besaß, dem pflegten Freunde als Zeichen ihres Zutrauens den Gartenschlüssel einzuhändigen, wie es dem Kanzleidirektor Wieland durch den begüterten Schönfärber Hetsch geschah. Weil der Kanzleidirektor aber in den neun Jahren zu Biberach nicht nur den »Agathon« und »Musarion« samt den »Komischen Erzählungen« schrieb, sondern auch seine Shakespeare-Übersetzung machte – weshalb die Biberacher sich rühmen können, die erste Shakespeare-Aufführung in Deutschland veranstaltet zu haben –, so blieb nach Wielands Weggang ein Gartenhaus zurück, das in den neun Jahren gewiß mehr Geist und Laune erlebt hatte als sonst eins in Schwaben.

Der Garten des Schönfärbers Hetsch hat die moderne »Entwicklung« nicht überstanden; er ist in allerlei Nüchternheiten und einen Kirchhof aufgeteilt worden. Aber das verlassene Gartenhaus stand noch da, als im Jahre 1905 Herr Reinhold Schelle aus Biberach dem Kunst- und Altertumsverein den Vorschlag machte, es zu erwerben und zu einem Wieland-Museum auszubauen. Schon 1907 konnte das Gartenhaus als solches eingeweiht werden, und 18/19 – man denke: 18/19! – kam es zu ferner heutigen Einrichtung, in der es immer noch durch seinen Gründer Reinhold Schelle verwaltet wird.

Die heutige Einrichtung aber ist so, daß man über eine schmale Stiege in einen hellen Raum mit einem größeren Alkoven hinein kommt, der eine Fülle von Erinnerungen an Wieland enthält, wie sie nur durch die Unermüdlichkeit eines rechten Liebhabers zusammen gebracht werden konnte: seine Bücher in allen Ausgaben und die Bücher über ihn, seine Bildnisse bis zur Totenmaske, Bilder seiner Freunde und Freundinnen, darunter die La Roche natürlich an erster Stelle, Briefe und Urkunden aller Art: der Bildnisse allein, meist in Kupfer, über hundertzwanzig.

Aber keine Beschreibung der »Schätze« ist meine Absicht, auch liegt in ihr keine Überschwenglichkeit für den unschwäbischsten aller schwäbischen Dichter, der seinen Ruhm zum guten Teil mit sich nahm, als er 1813 – vierzehn Monate nach Heinrich von Kleist, dem er zugänglicher war als seine großen Freunde – im achtzigsten Lebensjahr starb. Das Bedeutende in dem hellen Raum war mir der weißhaarige Mann, der den Führer machte und mir kein Wort sagte, daß er selber nicht nur der Hüter, sondern auch der Sammler all dieser Dinge war, deren jedes seine Kenntnis und Liebe besaß. Freilich haben ihm die Nachkommen und Freunde Wielandscher Dichtung geholfen; aber es war doch seine Liebe, der sie halfen.

Gewiß, es lag in Biberach nahe, dergleichen zu tun; in Frankfurt und Weimar wie im schwäbischen Marbach stehen die Häuser von Größeren in gleicher Pflege; auch sind es überall nur Einige, deren Pietät wir die Bewahrung der Andenken verdanken: aber dies ist Biberach, an dem die Reisenden von Ulm nach Friedrichshafen vorüber fahren; und was hier als Dank des deutschen Volkes an einem seiner Dichter Erscheinung wurde, kam in der Hauptsache aus einem schwäbischen Landstädtchen. Auch ist der Mann, der darin als Kustos waltet, tagsüber in seiner Fabrik; er muß sich selber – wie wir alle in diesen Zeiten – über Wasser halten, und das Schwimmen ist in Biberach nicht leichter als anderswo.

Wie der weißhaarige Mann die vielen Dinge zeigt, an denen seine Liebe hängt, und jedem kann er gute und kluge Worte sagen: das sieht einem getreuen Eckart nicht unähnlich. Und wenn es auch nur Vergangenheit scheint, was er zu hüten so eifrig ist: in seiner Hut ist ein sehr Lebendiges, aus dem Rundfunk und Kino der Gegenwart in eine Zukunft zu weisen, darin sich die entfesselten Instinkte unserer Zeit ausgerast haben. Ich fühle es gut in seiner Nähe: einmal muß auch über uns die Stille wiederkommen, in der sich der Geist auf seinen Seelenbesitz zurück besinnt, den er heute verschwendet. Der getreue Eckart ist, wenn man will, unser Konkursverwalter; und einmal werden wir wissen, daß er uns nicht nur Andenken gerettet hat.


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