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(1931)
Pfingsten, »das liebliche Fest« in Goethes »Reineke Fuchs«, ist außerhalb der Kirche die Feier des wiedergekehrten Sommers, deren Bedeutung für Kind und Greis gleich eindeutig erscheint. Schon der Name Pfingsten aber legt eine Zweideutigkeit bloß. Er ist eine Ableitung aus dem griechischen pentekoste und bedeutet der fünfzigste: der fünfzigste Tag nämlich nach Ostern, den wir als drittes Hauptfest der Christenheit durchaus nicht mit der Selbstverständlichkeit der beiden andern Kirchenfeste feiern.
Weihnachten als Tag der Geburt Christi und Ostern als Tag seiner Auferstehung sind klare Gegebenheiten der christlichen Mythologie für volkstümliche Feiern. Pfingsten als Tag der »Ausgießung des Heiligen Geistes« setzt Verständnis für ein Mirakel voraus, wie es nicht landläufig sein kann; und daß sich diese Ausgießung am Pfingstfest der Juden vollzog, macht den Fall noch verzwickter. Als jüdische Feier war Pfingsten das Erntedankfest, nachdem die sieben Erntewochen seit dem Erstlingsopfer am Passah vorüber waren. Dieses Erntedankfest bekam in der ersten Christengemeinde nur den neuen Sinn einer alten Gewohnheit. Wie aber sollen wir Deutschen im Mai zu einem Erntedankfest kommen, da uns die fünfzig Tage zwischen Ostern und Pfingsten unmöglich Erntewochen sein können? In unserm Klima können wir Pfingsten nur als Fest des beginnenden Sommers feiern, den wir Mai nennen. Pfingsten muß ein Maifest sein. Die von Jakob Grimm angeführten Pfingstbräuche sind Maibräuche, wie es ihre Namen: Maibaum, Mailehen, Maikönig, Maifeuer, Mairitt usw. sagen.
Und dies ist die zweite volkstümliche Enttäuschung an unserm Fest des beginnenden Sommers, daß der deutsche Mai, so aus dem innersten Sprachgefühl klingend, nach einer römischen Göttin Maja genannt, also namentlich ebenso Lehen wie Pfingsten ist; wie sich – um das sprachliche Mißgeschick zu vollenden – im poetischen Wonnemond auch nur eine Verballhornung des altdeutschen »Winnemonats«, also prosaisch Weidemonats, verbirgt.
Darum werden an Pfingsten die Maien doch immer wieder grün, und trotz seinem entlehnten Namen ist es das uralte Maifest der Germanen, den Sieg des Sommers über den Winter zu feiern. Noch im sechzehnten Jahrhundert erfreute sich das Bürgervolk der Städte an dem Kampf der beiden Gewalten, die je durch einen in grünem Laubwerk und einen in Schorf und Moos vermummten Reiter dargestellt wurden. Mancherorts blieb davon die Siegesfeier des Mairitts übrig, wie ihn König Albrecht 1308 von Baden in der Schweiz aus unternahm, als er seinem Neffen Johann von Schwaben und dessen Begleitern Maienkränze aufsetzte und nachher von ihnen treulos im roten »Maientau« gebadet wurde.
Aber es ging in der volkstümlichen Herkunft des Maifestes um mehr als die Überwindung einer Jahreszeit durch die andere; es war der Sieg der heiligen Ordnung über die bösen Mächte, der gefeiert wurde. Dafür zeugen die Hexen, die in der Nacht vor dem ersten Mai, der Walpurgisnacht, nicht nur auf den Blocksberg, sondern an alle Opfer- und Gerichtsstätten ritten, wo andern Tags die Maiversammlung der Männer tagte, im Namen der göttlichen Mächte die Ordnung zu beschwören und im Namen der beschworenen Ordnung Gericht zu halten.
Der Maienkranz, den sich die Mairitter aufsetzten, das Maienreis, mit dem sie die Häuser schmückten, und der Maibaum auf dem Marktplatz waren darum mehr als Zeichen der Fröhlichkeit; sie bedeuteten eine Weihe, durch welche die Menschen sich in den Dienst der ewigen Mächte begaben, die mit dem vollendeten Frühling die Herrlichkeit ihres Reiches wieder hergestellt hatten. Der Mai war die neu offenbarte Macht und Huld der ewigen Mächte; je mehr sich das Pfingstfest der Kirche mit dem germanischen Maifest vermischte, umso mehr kam Huld in den Tag, wurde er das, »liebliche Fest«.
Die Maiversammlung der Männer aber gab Antwort auf die offenbarte Huld durch das Gelöbnis der Treue. Huld und Treue waren die Klammern der mittelalterlichen Welt; ohne sie wäre das Lehnswesen, wie es seit der karolischen Zeit für das Reich gültig wurde, eine Auflösung der öffentlichen in private Verpflichtungen gewesen. So war es der Aufbau des Staates auf einem ungeschriebenen Gesetz, darin der Einzelne sich von Gottes Gnaden eingesetzt fühlte. Jeder Lehnsherr war wiederum Vasall bis zum höchsten Lehnsherrn hinauf, der als Kaiser Vasall Gottes war und seine Macht von ihm als Lehen hatte.
Der Sieg des Sommers über den Winter war das Unterpfand der göttlichen Ordnung, darin sich das gesamte Leben des gotischen Menschen gesichert fühlte, auch das bürgerliche: den Kaufmann hielt die Gilde und den Handwerker die Zunft in gleicher Huld und Treue wie den Ritter sein Vasallentum. Der Spötter von Sanssouci hätte damals nicht sagen können, daß jeder nach seiner Fasson selig werden dürfe; denn das Reich war durchaus von dieser Welt und in einer andern Gläubigkeit als der christlichen verankert, so sehr die Kirche es als das augustinische Gottesreich ihrer Priester in Anspruch nahm.
Die deutschen Pfingsten hatten weder mit der Ausgießung des Heiligen Geistes noch sonst einem christlichen Mirakel zu tun. Ihr Wunder war einfältiger: so gewiß, wie der blühende Sommer den toten Winter ablöste, so gewiß blieb alles Leben der göttlichen Huld verhaftet; Felonie war darum die größte Schuld. Außer seinem Namen hatte Pfingsten keine jüdisch-christliche Überlieferung bewahrt; es war das Fest der deutschen Gläubigkeit aus uralter Herkunft geblieben.
Wenn wir heute Pfingsten als das liebliche Fest feiern, tun wir das mehr mit den Sinnen als der Seele. Die grünen Maien, die Blüten und Blumen, der blaue Sommerhimmel sind nur eine Augenlust, nichts weiter; und wer sich einen Maienkranz aufsetzen wollte, würde lächerlich sein, weil es bei ihm nur Übermut wäre, was den gotischen Menschen Sinnbild einer heiligen Handlung war. Der weihte sich dadurch den ewigen Mächten, die einmal Wodan und Nerthus hießen und nun Jesus und Maria genannt waren. Wem aber soll sich der moderne Mensch weihen, dem die Mächte Zwangsläufigkeiten geworden sind? Das Absolute läßt sich aus keiner Gleichung errechnen; wir müssen es unserer Erkenntnis setzen, wie es aller Schöpfung gesetzt ist.
Der Baum, der vor unsern Augen in seiner Pfingstblüte steht, tut dies aus den Säften der Erde und durch die Kraft der wiedergekehrten Sonne nicht allein, sondern aus jenem Etwas, das wir nicht nennen können. Wir haben die Säfte der Erde chemisch zerlegt und das Licht der Sonne mathematisch berechnet, auch wissen wir mikroskopisch über die Zellen Bescheid, in und aus denen die Kraft der Sonne die Säfte der Erde im Baum zum Blühen bringt. Nur das absolute Warum in all unserer relativen Erkenntnis wissen wir nicht; wir müssen es setzen, wie es dem Baum gesetzt ist.
Der Baum aber weiß von all unsern relativen Sorgen nichts, er tut das Absolute und blüht.
Daß wir Menschen dies nicht mehr vermögen, ist unser verlorenes Paradies. Indem der Menschengeist sich verleiten ließ, vom Baum der Erkenntnis zu essen, hat er sich aus dem Absoluten gelöst und das Sonderreich seines Bewußtseins aufgerichtet, das im Relativen bleiben muß, weil es das Ich zum Maß der Dinge machte. Das trotzige »Ich will« des Menschengeistes hat alle Zwingburgen des »Du sollst« niedergelegt, um hinter den gestürzten Sinnbildern das erbarmungslose Gesicht einer Zwangsläufigkeit zu erkennen, die in ihm und allen Dingen wirksam ist. Nach zweitausendjähriger Geschichte ist der abendländische Mensch da angekommen, wo der Morgenländer am Anfang seiner Bemühung stand; nur daß er aus einem X fatalistisch hinnehmen muß, was jener aus Gott empfing. Gegen den Gleichmut des »Es kann mir nichts geschehen« steht er mit der Verzweiflung seines: »Es kann mir alles und jedes geschehen«!
Der Baum aber blüht, und der Maien grünt, der Himmel blaut, und das Wasser rinnt von den weißen Bergen in klaren Bächen zu Tal. Alles Einzelne darin ist vergänglich und als Schaubild der Sinne nur ein Gleichnis: aber im Ganzen ist keine Vergänglichkeit sichtbar. Wie kein Wassertropfen im ewigen Kreislauf verloren geht, so kann auch sonst nichts aus der Welt fallen. Das im All irrlichterierende Ich braucht nur die Demut zu haben, seiner relativen Erkenntnis das Absolute zu setzen, das es zwar mit keiner Formel errechnen, aber auch nicht ableugnen kann.
Sich mit grünen Maien den Mächten zu weihen, war das Pfingstfest der Deutschen im Mittelalter, weil sie aus gläubiger Einfalt Treuhänder Gottes waren, statt nur die Nutznießer seiner Erde zu sein. Wollen wir nicht vor dem grünen Maien uns auch getrost unsern Sinnen überlassen, um unserer Seele versichert zu werden?