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Die Fliege

(1928)

Es ist schon tief in der Nacht, und ich stehe an meinem Pult: eine Arbeit, die mir Schwierigkeiten macht, soll gebogen oder gebrochen werden. Alles im Haus schläft wie draußen der See; nur das grüne Licht meiner Stehlampe ist noch wach in der nächtlichen Stille, um mir endlich zu geben, was der Tag nicht lassen wollte. Da schickt die Dunkelheit einen Dämon, es mir zu entreißen.

Und ob es nur eine Fliege ist, eine Winzigkeit vor meinen Augen, die ich am Tag kaum bemerken würde, nun wir in der Nacht allein sind, ist sie mir eine empfindliche Störung; denn zerbrechlicher als ihre Glieder sind die Fäden meiner Gedanken, und wie das Insekt mit dem Propellerlärm seiner Flügel hinein kommt, droht mir das kaum gesponnene Netz zu zerreißen.

Irgendwo saß die Fliege im Dunkel und schlief, wie alles im Haus außer mir und meinen Gedanken; als ein Strahl meiner Lampe in ihre Geborgenheit stach. Vielleicht hat sie lange den Kopf abgewandt, aber die Grelle brach von allen Seiten durch die gläsernen Halbkugeln ihrer Augen herein, bis es kein Entweichen mehr gab. Sie will sich noch retten in Kreisen der eigenen Flügel, aber das unwiderstehliche Licht zieht eine Spirale daraus, bis ihr Flug eine schnurgerade Linie wird, den sausenden Körper in das weiß glühende Licht zu reißen.

Ihr Schicksal wäre vollendet, sie würde in Surtur verbrennen, wie die asischen Götter an seinem weißglühenden Schwert verbrannten, wenn das Glas der Birne nicht wäre, daran sie abprallt. Gerade vor meine Feder fällt sie noch auf die Füße, dennoch betäubt, und der krause Strich meiner Tinte fließt gegen sie, bis er ihren schwarzen Punkt erreicht hat. Da hebt sie sich leicht – wer sich so aufschwingen könnte! – und gleich darauf fühle ich sie an meiner Stirn.

Ich scheuche sie fort, immer noch in meinen Gedanken, aber schon ist es grimmige Entschlossenheit, was eben noch glückliches Hingleiten war. Die Fliege indessen macht nur einen kurzen Rundflug, wieder auf dem bequemen Landeplatz meiner Stirn zu endigen; als es zum dritten Mal geschieht, bin ich am Rande mit meiner Geduld und meinen Gedanken. Ich lege die Feder hin, ein Tuch zu holen und durch einen raschen Schlag der Störung ein Ende zu machen, denn noch fühle ich mich ganz naiv in der Notwehr.

Wie ich zurück komme, hat sich die Fliege, weil meine Stirn nicht mehr da war, wieder auf das Papier gesetzt, genau an die Stelle, wo ich zu schreiben aufhörte, und ihr Rüssel scheint vorwitzig an der Tinte zu saugen. Ich hebe das Tuch schlagbereit in der Hand und könnte sie treffen; aber die Hand wartet vergebens auf mein Kommando. Es ist Leben wie deins! sagt eine Stimme; denn es ist Nacht, und wir sind mutterseelenallein miteinander: Wo ist dein Recht, zu töten?

Meine Gedanken sind wichtiger als dein Dasein! wirft sich mein Selbst in die Brust.

Vor wem? sagt die Stimme, und schon ist es mir, als spräche die Fliege, die ein paar Schritte auf meinem Papier hin und her läuft, kreuz und quer durch meine Schriftzüge.

Nun gut! gebe ich klein bei: So geh deiner Wege! scheuche sie fort mit der Hand und jage sie mit meinem Tuch in die Dunkelheit des Zimmers hinein. Das kaum Erwartete geschieht: sie bleibt fort. Es ist Frieden zwischen uns, und als Sieger, nicht nur über die Fliege, trete ich an mein Pult zurück.

Aber schon war die Unterbrechung zu lang; die Spinnfäden meiner Gedanken sind abgerissen, ich kann das Netz nicht mehr knüpfen. Unwillig lege ich die Feder hin, ein paar Schritte durchs Zimmer zu tun nach meiner erprobten Gewohnheit. So steht die grüne Lampe allein mit ihrem lockenden Lichtschein; und um den Preis ist Frieden. Aber wie ich zu schreiben beginnen will, weil die Schritte mich rasch zurecht gebracht haben, ist auch mein Feind wieder da, der keine Tücke an sich hat als den Zwang seiner Natur und dem ich darum nicht grollen kann, nur los muß ich ihn sein und stoße hart an das Papier.

Erschrocken stiebt die Fliege in die Lichtschale hinauf, daß Sonnenstäubchen herab wirbeln, saust gegen meine Stirn, wie geschossen, macht einen Gleitflug hinab auf mein Papier und sitzt wieder da wie zuvor, nur still, wie lauernd.

Die Lampensonne hat sie geblendet! denke ich mitleidig und lege das Tuch fort; denn nun will ich sie nicht töten. Ich gestehe mir, daß ich es nicht kann: Laß die Feder ruhen für heute! sagt mein Selbst: morgen ist der Störenfried durchs Fenster hinaus!

Um zu erfrieren? antwortet die Fliege und putzt ihre Flügel.

Ich scheuche sie fort mit der flachen Hand und warne: Hüte dich, mich zu reizen! Sonst brauch ich mein Recht!

Weil du der Stärkere bist! höhnt die Fliege und setzt sich wieder auf meine Stirn.

Also Schluß! gebe ich bei, drehe das Licht aus und fange wieder an, auf und ab zu schreiten; aber nun ist es dunkel, und ich trete ans Fenster. Draußen liegt das schwache Licht einer vom Mondschein verlassenen Nacht über dem See; auch nicht der Hauch eines Windes ist wach. Die Bäume, noch ohne Blätter, ragen in die halbe Helligkeit hinein, und oben blinken einige Sterne. Wie ich mich abwenden will, schlafen zu gehen, verstimmt über die Niederlage; denn längst sind alle Fäden meiner Gedanken abgerissen: höre ich Wasservögel schreien. Auch draußen ist keine Stille! beginnt ein wehmütiger Trotz in mir zu denken: das Geschrei geht ums Lieben oder ans Leben. Und keines fragt, ob es recht hat? Jedes tut nach seinem Trieb!

Indessen und darum bist du ein Mensch! höhnt es aus dem Dunkel hinter mir.

Ja, ich bin ein Mensch, antworte ich, und habe ein Recht, mich gegen Triebe und Süchte zu wehren! Ich trete, zum Töten entschlossen, ans Pult zurück und drehe das Licht an. Da sitzt die Fliege noch an der Stelle, offensichtlich verdutzt vor dem neuen Licht. Ich muß über ihre Putzigkeit wie über meine großspurige Zwiesprache lachen. Putze du deine Flügel wie ich die meinen! Wir wollen einander nicht länger stören! sage ich gutmütig und greife wieder nach meiner Feder.

Aber die erste Berührung des Papiers erschreckt sie von neuem trotz meiner gelassenen Worte; steil hinauf schnurrt sie ins Sonnenlicht meiner Lampe, saust drinnen herum und fällt diesmal mit dem Rücken platt aufs Papier. Nun sie leidet, habe ich gewonnen. Ich will deinen Leiden ein Ende bereiten! sage ich gnädig und greife von neuem das Tuch. Aber schon steht sie da auf ihren Beinen, mir den Mord nicht so leicht zu machen; und nun entdecke ich ihr Geheimnis, meine Seele in ihr Dasein zu locken und mich mit meinen eigenen Waffen zu narren. So hat sie verloren: Brauchen kann ich dich nicht, sage ich hart, weil du mich störst! Denn sterben, siehst du, müssen wir beide wie alles, was lebt. Wie dein Tod in meiner Hand, steht mein Tod in einer andern Hand hinter mir. Wen es trifft, dem hilft keine Klage. Ich schlage dich nicht, weil ich der Stärkere bin gegen dich, sondern weil ich das Starke in mir gegen das Schwache wähle.

Ich treffe sie mit dem Tuch und senke die Augen zu einem tiefen Blick über den Tod vor meinem Leben. Gute Nacht, Bruder! sagt die Stimme in mir und ist wieder einig mit ihrer Seele. Und ob es ein dunkles Loch ist, dahinein mir die abgerissenen Fäden hängen, ich nehme die Feder zur Hand, mit meinen Gedanken neu hinüber zu suchen; und mein Leben ist nicht mehr allein in dem Zimmer, wo mir die Lampe dennoch wieder allein scheint.


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