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(1931)
Während soeben an »Maria Flügauf« ein Morgenregen zu Dunst verblaßt, kommt von Altenrhein her das große Dornier Flugzeug über den See angeflogen, ein Bruder von jenem Do X, der seit Monaten auf seiner schicksalhaften Weltreise verschollen ist. Er macht ein ungemeines Gedröhne, während er am Guggenbühl hinter uns wendet und über die Sommerhalde hinweg wieder dem See zufliegt, der sein zweites Element ist; aber jene Starrheit, die allen Flugzeugen sonst eignet, hat er nicht, weil seine riesige Größe sich als Bestimmtheit ausspricht. Im Handumdrehen hängt er schon über der Mainau, siebzehn Kilometer Luftlinie von hier, und kommt in das Silberlicht des leer geregneten Morgens, bis auf den Rumpf darin zu vergehen: ohne sichtbare Flügel schwindet sein dunkler Querdurchschnitt unter dem Kranz der oben aufstehenden Motore wie ein ruhig dahin schwebender Korb in die Tiefe hinein.
Es ist kein Flugzeug mehr für einen waghalsigen Flieger und auch keine um der Lenkbarkeit willen in eine Fischform umgebildete Montgolfiere: es ist eine zur selbstverständlichen Erscheinung gewordene Vernunft des Menschengeistes, die sich als etwas endgültig Gewordenes in der Natur ebenbürtig ausnimmt.
Ich denke an die Bemühung so vieler Hirne und Hände, ehe diese Selbstverständlichkeit war, und an den unbeirrbaren Willen, der das unmöglich Scheinende zuletzt doch möglich machte, und denke an die Unvernunft der Menschenwelt, über die seine Vernunft dahin fliegt: überall, wo unsere Zeit in die Zukunft blickt, sieht die Sorge mit hinein und ist für viele mit dem Fatalismus eines unabwendbaren Untergangs verbunden.
Warum können wir Dinge machen wie dieses da in der Luft, in dem offenbar kein Rest mehr von Unvernunft blieb, in dem der letzte Fehler ausgemerzt wurde? Und warum müssen wir selber in solcher Unvernunft bleiben, daß es Millionen von Menschen an Nahrung und Kleidung mangelt, indessen Farmer – aus Not, nicht aus Überfluß – Weizen und Baumwolle verbrennen? Warum, da es der Arbeit nicht an Händen, sondern den Händen an Arbeit mangelt, warum müssen wir Maschinen bauen wie jene, die täglich eine halbe Million Flaschen liefert und ein ganzes Dorf Glaspüster arbeitslos macht? Da es doch der selbe Mensch ist, der jene Vernunft wie diese Unvernunft zu erreichen, sein Gehirn angestrengt hat!
Warum, wenn wir Tonnengewichte mit einer einzigen Einschaltung – die als Kraftaufwand ein Kind leisten könnte – in die Luft zu heben vermögen, nicht als Jahrmarktwunder, sondern als Selbstverständlichkeit: warum können wir die gleiche Fähigkeit der Vernunft nicht für uns selber einsetzen, damit für alle Menschen, zum wenigsten für alle Volksgenossen, Nahrung, Kleidung und Wohnung vorhanden wären?
Steht es wirklich so, daß wir unter den Fluch gesetzt sind, unsere Hirne und Hände an Dinge wenden zu müssen, die in ihrer Vollkommenheit Triumphe des Menschengeistes vorstellen, aber der Mensch selber als Träger des Menschengeistes wird ihrem Triumph geopfert? Ja, geht es nicht einmal um diesen Triumph, sondern um die Gestaltwerdung an sich, die in der Venus von Milo, im Bamberger Dom ebenso oder anders vollkommen ist als in diesem Dornier oder jener Flaschenmaschine? Geht es nur um das Werk, nicht um sein Wohl für den Menschen? Wie es denn für die marmorne Schönheit der Venus von Milo gleichgültig bleibt, ob ihre Betrachter Nahrung, Kleidung und Wohnung haben, weil ihre Schönheit, »selig in sich selbst«, jenseits von aller Nützlichkeit ihr Sein hat, welches Sein freilich wie alles Menschenwerk an den Bestand der Menschheit gebunden ist, die seine Schönheit genießt, wertet und hütet.
Dieser schwebende Korb ist vorläufig zu nichts nutze, als daß er sein Tonnengewicht mit dem Aufwand phantastischer Pferdekräfte durch die Luft tragen läßt. Denn die Menschen und Güter, die damit fortbewegt werden können, würden auf andere Weise auch von hier nach dort kommen. Daß diese Fortbewegung schneller als heute notwendig sei, ist nicht einmal für Staatsmänner und Südfrüchte erwiesen. Überdies scheint der sonst den Ausschlag gebende Nutzeffekt noch in keiner Weise gesichert.
Warum also wurde der Dornier gemacht, und warum freuen wir uns darüber, obwohl anderes nötiger wäre, das unterlassen wird? Weil er dem Traum der Menschheit seit je, fliegen zu können, eine neue Möglichkeit verwirklicht, indem er anscheinend von den Gefahren der Luft unabhängig ist. Ob diese Möglichkeit einen praktischen Wert hat, danach fragt unsere Zustimmung zunächst nicht, weil es sich für sie tatsächlich um den Triumph des Menschengeistes, um einen sichtbaren »Fortschritt« handelt, wie wir mit dem Lieblingswort des neunzehnten Jahrhunderts immer noch sagen, ganz unbedacht des Sprachfehlers, Fortschritt für Vorschritt zu setzen: als ob wir von etwas fort, statt auf etwas vor gingen.
Worin wir Menschen »Fortschritt« machen, ist unser Verhältnis zur Natur. Wir lernen ihre Kräfte, die »Elemente«, immer mehr erkennen und benützen; wir kommen hierin tatsächlich, wie der stolze Gebrauch lautet, durch Wissen zur Macht. Und wer dazu hochmütig genug ist, mag sich vor den andern Geschöpfen als »Herr der Erde« rühmen.
In Wirklichkeit sind und bleiben die Elemente unangerührt: die Winde wehen sanft oder sie rasen; die Erde bebt, wenn die vulkanischen Kräfte rumoren; Sonnenschein und Regen lassen sich durch keine behördlichen Vorschriften regulieren. Wir haben uns vor den Elementen notdürftig schützen und sie auszunützen gelernt, weiter reicht unsere vermeintliche Herrschaft nicht; sie wird auch nie weiter reichen.
So selbstverständlich der Dornier sein Tonnengewicht durch die Luft tragen, so märchenhaft der Korb schweben mag, er fliegt nicht aus eigener Kraft wie ein Vogel, sondern aus der Kraft seiner ihm aufgesetzten Motore, die wiederum einer bestimmten Menge Brennstoffs bedürfen, die Kraft zu entwickeln: er fliegt nicht natürlich, sondern künstlich, nicht organisch, sondern mechanisch; er ist kein Wesen, sondern eine Maschine.
Eben das, dessen wir in der Natur nicht Herr werden, ist das Organische in ihr; was wir vermögen, ist die Ausnützung der Naturkräfte, soweit wir sie überhaupt erkennen, durch Werkzeuge unserer Hände oder Maschinen, die unserer Hände nicht mehr bedürfen: also die Mechanik. Es ist sozusagen eine mechanische Werkstätte, mit der wir uns im organischen Leben eingerichtet haben; Herren der Erde sind wir nur im Reich unserer Maschinen. Und dies ist vielleicht unsere schmerzlichste Erfahrung, daß wir mit aller Vervollkommnung der Technik nur tiefer in ihre Zwangsläufigkeiten geraten sind. Es sitzt ein Dämon darin, der uns fressen will.
Jenes Wort vom Meister Eckhart: »Was der Mensch liebt, das ist der Mensch!« lautet alltäglich: »Sage mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen, wer du bist!« In unserm Zusammenhang würde es bedeuten: da der Triumph des modernen Menschengeistes die Mechanisierung seines Lebensraumes ist, steht er in Gefahr, ebenso, wie er die Kräfte der äußeren Natur in seinen Maschinen mechanisiert hat, ebenso die Natur in sich zu mechanisieren: ein Maschinenherz zu bekommen, wie der Chinese sagt.
Denn daran ändert auch der größte Triumph seiner Technik nichts, daß der Mensch selber Lebensraum der Natur ist; keiner kann sich aus der Gesetztheit seines Lebens zwischen Geburt und Tod ablösen, und jede Seele ist dem Körper verhaftet, in den sie hinein geboren wurde. Weil dem so ist, haben wir es mit den Naturmächten in uns genau so zu tun wie mit denen außer uns. Wir lernen, uns vor ihnen zu schützen, und lernen sie benützen; aber daß wir im Geheimnis des Lebens kaum mehr als unsere eigenen Zuschauer sind, daran erinnert uns jede Leidenschaft.
Ein Dornier läßt sich zu seiner Vollendung bringen, weil er bis ins letzte – die Explosionskraft des Benzins – Mechanik, Maschine ist, die außer dieser Explosionskraft nichts Organisches enthält. Der Mensch aber kann sich durch keine Mechanisierung um den Rest bringen lassen, wo er Natur, Leben, Geschöpf bleibt, so sehr der moderne Menschengeist geneigt ist, das Organische im Menschen, seine Natur also, als »irrational« zu mißachten, das Bewußtsein des Lebens mit dem Leben selber zu verwechseln.
Der Staat, seit den Pharaonen der unaufhörliche Versuch, aus Menschheit seinen schwebenden Korb zu bauen, trifft in jeder Maßnahme auf den Menschen, sowohl als einzelnen wie als Volk, welches nicht nur die Summe der Volksgenossen, sondern auch eine Lebenseinheit, wie Goethe sagt, das »große unwillkürliche Wesen« ist, aus dem der einzelne seine Prägung empfängt. Es gibt darum keine ideale Staatsform, mit der die Völker beliebig beglückt werden könnten: der Staat muß als Formwerdung eines Volkes aus dessen Natur wachsen, er kann kein Mechanismus, er muß ein Organismus sein.
Wohl aber steht er, wie alle menschlichen Einrichtungen, in der Gefahr der Mechanisierung; und eben das ist die Frage dieser Betrachtung, ob nicht alles, was wir gegenwärtig als Krise der Wirtschaft, des Staates und seiner Kultur erleben, eine Krise des Menschengeistes ist, der mit seiner Mechanisierung zu Fall kam, weil er den Menschen vergaß?
Die Zeit ist grausam dabei, Antwort zu geben. Der moderne Menschengeist wird die Zwangsläufigkeiten seiner Mechanisierung nicht los – wie der Zauberlehrling die Geister nicht los wurde – ehe er das Beschwörungswort Mensch wiederfindet.
Niemand wird im Ernst sagen wollen, daß die Wirtschaft des Menschen, die Erzeugung und Verteilung der Lebensgüter, ihr Austausch als Ware, um des Geldes willen da sei; aber mit einer unheimlichen Zwangsläufigkeit hat sich der Mechanismus des Geldes zum Herrn der Wirtschaft und damit des Menschen gemacht. Das Geld ist zum Dämon der Weltwirtschaft geworden, der die Farmer – aus Not, nicht aus Überfluß – Weizen und Baumwolle verbrennen läßt, indessen Millionen aus Mangel an diesen lebensnotwendigen Gütern verhungern und erfrieren.
Niemals hätte sich das Geld zu dieser Tyrannei aufblähen können, wenn nicht das organische Verhältnis des Menschen zur Arbeit gestört worden wäre. Das organische Verhältnis des Menschen zur Arbeit ist die Betätigung; das mechanische Verhältnis des Menschen zur Arbeit ist der Lohn: wer die Arbeit um der Betätigung willen tut, dem wird sie zum Segen; wer sie um des Lohnes willen tut, dem wird sie zum Fluch.
Was der Lohn für den einzelnen, ist der Nutzeffekt für die gesamte Wirtschaft; wird ihr Mechanismus auf ihn aufgebaut, muß der Mensch zuletzt als ihr Sklave übrig bleiben, wie wir Nachkriegsmenschen es schauerlich erfuhren. Um des Nutzeffektes willen hat die Industrie den deutschen Landmenschen in die Städte aufgesaugt, bis die rationalisierte, das heißt durchmechanisierte Wirtschaft ihn wieder ausspie. Nun hätten wir nur noch unsere Landwirtschaft nach dem amerikanischen Vorbild durch zu rationalisieren brauchen, wo auf menschenleeren Riesenfarmen Weizen und Baumwolle gleichsam als Industrieprodukte erzeugt werden: um in den Städten das Volk ohne Raum, auf dem Land der Raum ohne Volk zu sein.
Die Bodenfläche Deutschlands auf den Nutzeffekt durch rationalisiert oder als Lebensgrund für ein Bauerntum aufgeteilt: das ist die Entscheidung der Landwirtschaft als Beispiel mechanischer oder organischer Wirtschaft, wie es überall aufgezeigt werden kann, wo nicht im Nutzeffekt, sondern im Menschen der Hebelpunkt gefunden wird.
Nur vom Menschen aus kann der Korb der Wirtschaft wieder zum Schweben gebracht werden, nur vom Menschen aus können Staat und Kultur in Ordnung sein.