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Der Osterhase

(1930)

Wenn wir im Frühling Ostern feiern, ist der Christ auferstanden; und da es die Auferstehung des Fleisches war, entspricht ihr Gedächtnis dem Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf. Aber schon mit seinem Namen fangen die Rätsel an, die das Fest umlagern. Denn ob die Frühlingsgöttin Ostara, mit der Jakob Grimm den Namen erklärte, heute bezweifelt und statt ihrer eine Göttin der Morgenröte namens Austro angenommen wird: so bleibt das Rätsel des Namens, weil er nur im germanischen Sprachbereich klingt. Als die römische Kirche sich nach langem Hader im Konzil zu Nicäa mit ihrer Datierung der Auferstehungsfeier auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling gegen die bei den kleinasiatischen Christen übliche jüdische Datierung des Passahfestes durchgesetzt hatte: muß ein germanisches Frühlingsfest dagewesen sein, das der kirchlichen Auferstehungsfeier seinen heidnischen Namen gab, und nicht nur den.

Denn, wer die germanische Herkunft des Osterfestes trotzdem bezweifeln wollte, dem würfen die deutschen Ostergebräuche so viel Fragen entgegen, daß er um Antwort verlegen sein müßte. Schon das Osterfeuer als christliches Sinnbild zu erklären, dürfte recht schwierig sein, ganz aber dürfte der Scharfsinn verzagen, wenn er den Osterhasen mit seinen bunten Eiern in der Kirche unterbringen wollte.

Wie er heute Straße für Straße in den Geschäften steht, aus Zucker, Schokolade oder Papier gepreßt, seine süße und farbige Fracht in die Kinderstuben zu tragen, ist er freilich von jüngster Geltung: zu meiner Jugendzeit, die schließlich noch kein Jahrhundert zurück liegt, war er noch nicht so aufdringlich aus dem Märchen in die Wirklichkeit eingetreten. Da legte er noch verstohlen in der Osternacht seine gefärbten Eier, die wir Kinder am Morgen suchen gingen, und war listig genug, manche so zu verstecken, daß es sehr der elterlichen Mithilfe bedurfte, sie zu finden. Und wenn ich recht berichtet bin, hatte er sich in meiner hessischen Bauernheimat nicht einmal zu dieser Tätigkeit entschlossen; da galt es nur als ein herkömmliches Spiel, auf der Osterwiese seine bunten Eier zu werfen, wobei ihre Hartgekochtheit ebenso wichtig war wie beim »Kippen«, das wir Kinder am Niederrhein eifrig betrieben.

Ganz sicher vorhanden vom Osterhasen war also nur seine Leistung, das bunte Ei; und das paßt als Sinnbild – »alles Lebendige kommt aus dem Ei« – allerdings in ein Frühlingsfest, ja, wenn auch nicht gerade im kirchlichen Sinn, zur Auferstehung des Fleisches. Die ewige Erneuerung des Lebens aus dem Keim ist in einer so artig gerundeten Schale das Geheimnis; daraus das Sinnbild des »Welteneies« zu machen, scheint mehr als mythologische Spielerei: wie denn der in dem bekannten Thomabild als »Philosoph mit dem Ei« gemalte Rembrandtdeutsche das Ei als Sinnbild der organischen Welteinheit in der Hand hält.

Genau besehen ist das Osterei dem Kirchenjahr nicht fremder, als es der Christbaum auch ist, der zum deutschen Sinnbild des Weihnachtsfestes wurde, unabhängig von den Gebräuchen der Kirche, die sich dem urgermanischen Volksfest – »zu den wihen Nahten« – so einbürgerten wie dem Frühlingsfest der germanischen Göttin. Wie der Lichterbaum dem unendlichen Raum der Sternenwelt ein aus der deutschen Volksseele wiedererstandenes Sinnbild gibt – denn das Mittelalter kannte den Weihnachtsbaum nicht –, so könnte das Osterei das Weltenei aufbewahrt haben als Sinnbild der Welteinheit: Dort die Ewigkeit im Raum, hier in der Zeit.

Warum nun zwar der Hase dem Osterfest dieses Sinnbild ins Nest legen soll, scheint unerfindlich. So alt seine Rolle als Meister Lampe ist: Eier zu legen wird ihm im »Reineke Fuchs« nicht zugemutet. So müßte jede Deutung des Osterhasen versagen, wenn wir uns nicht etwa darauf besinnen wollten, daß der neunhäutige Hase zu den geheiligten Tieren Wodans gehörte. Wodan, der wehende, der Gott der Bewegung und oberste der Aasen, hat nun zwar auch nichts mit dem Weltenei zu tun; immerhin gilt er – wie dies Mogk in seiner Germanischen Mythologie überzeugend dargetan hat – auch als Gott der Fruchtbarkeit: »Der Norddeutsche läßt die letzten Halme dem Wodan für sein Pferd«, weil: »ohne Wind das Korn verscheinet«. Daß freilich von seinen geheiligten Tieren gerade Meister Lampe beauftragt sein soll, dem Menschen zum Osterfest die farbigen Welteneier ins Nest zu legen, bleibt naiv. Aber abgesehen davon, daß die Volkssage eine Vorliebe für das Naive hat, so ganz unschuldig kann der Hase dieser Dinge nicht sein, wenn er in der Schöpfungsgeschichte der nordamerikanischen Völker, wie berichtet wird, das Weltenei bebrütet. Es wäre an der Zeit, seiner Vergangenheit nachzuspüren, da er sich in der Gegenwart so dreist benimmt.

Rätselhaft bliebe, wenn der Schleier von seiner Vergangenheit gelüftet würde, immer noch dies, daß gerade die moderne Zeit das Sinnbild des Osterhasen ans Licht gebracht hätte. Aber war es mit dem Christbaum nicht das selbe, der auch nur ein deutscher Brauch der Neuzeit und dennoch von uralter Herkunft ist? Warum soll der Osterhase nur ein Ergebnis der modernen Zuckerindustrie sein, die ihm vergebens mit dem Lamm – aus Bisquit und mit bunten Fähnchen besteckt – Konkurrenz machte? Warum soll Meister Lampe das Osterlamm aus dem Feld geschlagen hoben, das als kirchliches Sinnbild doch nie außer Gebrauch war?

Nichts Lebendiges in der Welt ist so alt wie unser Bewußtsein, darin das Geheimnis des Lebens seine ganze Herkunft bewahrt. Ihm die Märchenkraft zuzutrauen, ein solches Sinnbild wie das vom Osterhasen und seinem bunten Weltenei bewahrt zu haben: heißt vielleicht ein Stück Gläubigkeit besitzen, darin sich mehr als Kinderglauben verbirgt.


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