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Mond, Wind und See

(1931)

Der Mond hängt im Raum der Nacht, mit rundem Rücken über dem See, und der Wind wirft die Wellen nach Osten. Von meinem Fenster aus könnte ich kaum ihren unsteten Drang erkennen, wenn dieses gleißende Licht nicht wäre, das der Mond über das Wasser schüttet. Er schüttet es gegen mich, und ich weiß wohl, daß es meine, nicht seine Lichtbahn ist, die da flimmert: wenn ich am Ufer entlang ginge, sie würde mir treulich verbunden bleiben.

Weil es die Lichtbahn meiner Augen ist, trotzdem er sie sendet, ist mir ihr Wesen geöffnet. In der Tiefe bewirkt der Mondschein nur ein Flimmern und Gleißen; aber vorn, wo die Weiden über dem Schilf stehen, treibt das Gewässer sein dreistes Spiel mit dem Licht. Verschnörkelte Figuren leuchten rötlich heraus aus dem Dunkel, umgreifen sich, stoßen mit Flammenzungen gegen einander, fallen zurück und vergehen; aber sofort sind andere da, das selbe Spiel rastlos zu treiben, libellenrasch und rotglühend vor Eifer.

Ob ich weiß, daß es nur gespiegelter Schein auf dem drängenden Wasser ist, was da sein rastloses Spiel treibt: ich muß Wesenheit sehen, Wesenheit, die nur schneller als sonst sein wird, ist und vergeht. Und da ich bewußt bin, denke ich so: Immer nur da, wo die Elemente einander berühren, ist Leben; auch dieser Schein einer Lebendigkeit ist das Ergebnis ihrer Berührung. Wäre kein Wind, ruhte das Wasser schwer und glatt in der Nacht, und die Lichtbahn des Mondes läge darauf wie Kerzenschimmer auf Porzellan; wäre die Lichtbahn nicht, sähen die Augen in eine schwarz schweigende Tiefe. Nun aber der Wind seinen Drang in das Wasser wirft, müssen die Wellen einander jagen, und das Mondlicht kann seinen Schein auf den springenden Rücken flackern lassen.

Aber so mag es mein Kopf zerdenken, die Augen können es nicht. Sie sehen den Tanz eines Lebens, das tausendmal stirbt und tausendmal wieder lebendig ist und das schwarze Dunkel nicht fürchtet, aus dem es ins Licht des Lebens geworfen wird, sich seinem zuckenden Glück hinzugeben bis zur raschen Ermattung. Sie sehen nicht Wasser, Wind und gespiegeltes Licht ihr mechanisches Spiel treiben: sie sehen Figuren in der Nacht tanzen, als ob ihr feuriges Wesen eine Geburt der Nacht wäre.

So sehen die Augen und werden nicht müde zu schauen, bis sie – das behende Spiel zu verfolgen – in die Tiefe hinein suchen und staunend erstarren; denn was da unten im Schilf das eigentümlichste Leben ist, vergeht bald in einem flackernden Glanz, und hinter ihm wächst es sich breit aus zum Flimmern und Gleißen und ist nur noch ein sieghafter Schein auf dem dunklen See, darüber der Mond im Raum der Nacht hängt.

So könnte Gott, sagen die Lippen, seine in sich selber ruhende Lust am Spiel der Menschen haben, das aus dem Dunkel für eine Sekunde ins Licht geworfen, sein eigenes Dasein zu leben glaubt in ihm nur geschenkten Figuren, weil der Wind die Wellen nach Osten wirft und der Mond eine Lichtbahn über die glatte Fläche des Todes sendet, darauf sie tanzen.

So fragen die Lippen; aber sie können die Antwort nicht geben, weil ein Lächeln über sie kommt, schmerzlich mild, daß Gott nicht in Worten wohnt und nicht in Menschengedanken, daß er gänzlich außer den Sinnen in der Ewigkeit ist, wo das Leben seine Lust, seinen Sinn wie seine Süchte vergißt.


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