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Das deutsche Buch

(1929)

Gerade heute, als ich diese Zeilen schreiben will, ist eine junge Frau bei uns zu Besuch, Abschied zu nehmen für lange Zeit oder immer, weil sie nach Japan geht: nicht zum Vergnügen, sondern um dort bei einer deutschen Firma eine Stellung anzunehmen. So steht die Frage des Auslandsdeutschen persönlich vor mir.

Hildegard, so heißt die junge Frau, ist als Pfarrerstochter auf einer Nordseeinsel aufgewachsen und hat von dort schon die beiden Tröster der Einsamkeit: Musik und Bücher, mitgebracht. Was ihr auch widerfuhr – und es war manches nicht leicht, seitdem sie von ihrem Mann ging –, diese beiden blieben ihr treu und halfen ihrer natürlichen Fröhlichkeit durch böse Stunden.

Nun geht sie zu den Japanern; und ob sie genau weiß, was für eine Augenschau deren Dinge sein werden: dies weiß sie auch, daß es nicht nur die Verwandten und Bekannten sind, die sie verläßt, sondern daß es die Heimat, der deutsche Lebensgrund ist, aus dem ihre Wurzeln nun ausgehoben und in den Topf getan werden. Sie wird drüben deutsche Menschen finden, aber die sind im Topf der Auslandsdeutschen wie sie; und die schönste Freundschaft steht in der Fremde. Denn jenes » Ubi bene, ibi patria« ist ein leichtfertiger Spruch, eher für Vaganten als für Menschen gemacht, die nicht nur einen Stecken in der Hand tragen. Wir andern hängen der Heimat an als ein Stück von ihr; und wenn wir von ihr getrennt sind, hält uns das Heimweh mit heimlichen Stricken gebunden.

Frau Hildegard – wenn sie nun durch das russische Riesenreich fährt, durch den ganzen Erdteil Asien hindurch bis nach Korea, wo das Schiff nach Tokio geht – wird es wie eine Schnur an ihrem Herzen spüren. Dann wird sie einige Wochen lang staunen unter den kleinen gelben, listigen Menschen, bis sie es wagen wird, ihre Stunden in die fremde Alltäglichkeit einzulegen. Jede abgewickelte Stunde aber von der ersten an läßt der nächsten einen Rest übrig; und eines Tages wird ihre Seele von dem Knäuel so angefüllt sein, daß sie die Schnur zu entwirren und wieder zu knüpfen beginnt, wo sie abriß. Gäbe ihr dann ein günstiges Geschick Musik, würde sie weinen; ihre Bilder wird sie staunend anstarren, als wollte darin eine Gestorbenheit leben; ihre Bücher allein werden imstande sein, die Vertrautheit zu ertragen.

Wie seltsam ist das: Rund um die halbe Erde flattern Gedanken; das Buch aber liegt da in der Hand, wie ein Traum in seiner Stunde Wirklichkeit war und hätte der Seele ein Pfand dagelassen. Es ist mit deutschen Buchstaben gedruckt, die wie die schwarzen Krähen im Winter über den Schnee stiegen; aber das Auge kennt ihr Geheimnis: Gedanken flattern mit und fangen in Worten an zu klingen, Bilder werden gebannt und sind lebendig, wie Augenbilder nie sein können, Freuden lachen und Schmerzen weinen, und eine Seele ist wieder zu Haus, als ob die halbe Erdkugel nur ein Buchumschlag wäre.

Wie schön für mich ist dieses zu denken, daß in Hildegards Koffer meine Bücher mitreisen! Wie herrlich, daß aus Zeichen der Schrift die deutsche Sprache, die deutsche Seele, die deutsche Heimat auferstehen kann, wo ein Buch seine Blätter entfaltet! Welch ein Dienst an unserm Volk, dem deutschen Buch die Tore der Welt aufzuhalten!


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