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Frau und Familie

(1933)

Außerhalb der Familie gibt es keine Frau; was nicht einen Mann und Kinder hat, ist ein weibliches Wesen, das Edelwert haben kann wie die Droste-Hülshoff, aber nicht zur Wesensentfaltung gelangte. Ob die Nichtentfaltung verschuldetes oder unverschuldetes Schicksal ist, geht die grundsätzliche Betrachtung nicht an; und wenn die moderne Welt einen erschreckend großen Prozentsatz weiblicher Wesen grausam vom Frauentum ausschaltet, so hat sich die Kritik gegen einen so unnatürlichen Zustand der Welt, nicht gegen die Natur der Familie zu richten.

Sprachlich ist Frau das Femininum zu Fro, Herr, heißt also Herrin. Daß der Fro – im Frondienst, in Fronleichnam erhalten – aus der Sprache verschwand, während die Frouwa darin blieb, hatte die Wirkung, daß »Herr« die Allerweltsanrede für ein männliches Wesen wurde, gleichgültig, in welchem Stand es sich befand, während der Titel »Frau« dem verheirateten weiblichen Wesen vorbehalten blieb und erst neuerdings durch eine Gesetzesbestimmung dem älteren Fräulein zugebilligt wurde, ein Unrecht überkleisternd.

Eine Frau ist also nach dem Sprachgebrauch kein Ding für sich, sondern erst in Verbindung mit einem Mann wird sie Frau. Sie ist die bessere Hälfte eines Paares, das nicht aus einer Verdoppelung, sondern aus der Zusammenfügung zweier Halbheiten entsteht. Gegen jenes männliche Wesen, das eine Halbheit blieb, ist die Sprache nachsichtiger als gegen das weibliche Wesen, sonst müßte sie wie dort von einem Fräulein von einem Herrlein sprechen: indem jemand nicht für sich selber Herr sein kann, sondern nur im Verhältnis zu andern.

Da nach germanischem Recht der Mann sich eine Frau weder kaufen noch dingen kann, ist er nicht Herr und sie Knechtin, sondern sie tritt ihm als Herrin zur Seite. Herr und Herrin können sie natürlich auch wieder nur sein im Verhältnis zum Beherrschten, und dieses von ihnen Beherrschte ist die Familie.

Familie ist ein erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts eingedeutschtes Lateinwort; vordem begründeten Mann und Frau durch ihre Paarung ein Haus, was auch die Lateiner mit Familie meinten. Wenn das Haus für den modernen Menschen auch meist zur Mietwohnung eingeschrumpft ist, so sichert ihm selbst die moderne Gesetzgebung darin sein Hausrecht. Ein solches Hausrecht steht nun zwar jedermann zu, der ein Haus besitzt oder eine Wohnung gemietet hat, ob er ein Herr oder Herrlein, eine Frau oder ein Fräulein ist, aber einmal war das Haus mit dem Herdfeuer der unumgängliche Besitzstand der Familie.

Mann und Frau begründeten das Haus nicht durch die Paarung allein, sondern erst durch Schließung einer Ehe. Ehe ist sprachlich Ewe, will sagen: Gesetz. Indem die Paarung sich als eine Ewe vollzog, wurde das Haus, die Familie gegründet. Die Gründung vollzog sich nicht kraft eines Gesetzes, wie es heute im bürgerlichen Gesetzbuch als »Familienrecht« paragraphiert steht, sondern sie war selber eine Ewe, ein Gesetz, das die Eheleute nicht nur gegeneinander zu halten, sondern auch als Herr und Herrin auszuüben gelobten: auszuüben gegen ihr Haus als eine aus freier Wahl gesetzte Quelle des Lebens.

Erst, indem sie das Gesetz ihrer eigenen Ewe aufrichteten, wurden sie Herr und Herrin, wurden sie frei von der alten Ewe, der sie zwangsläufig angehört hatten, traten sie überhaupt in den vollen Stand der Freiheit ein.

Die Erfüllung ihrer Ewe war natürlich das Kind; erst mit feiner Geburt wurde aus der Ehe eine Familie als die Dreiheit von Vater, Mutter und Kind, die für alle höhere menschliche Ordnung die Zelle ist.

Die Frau als der Lebensboden dieser Zelle steht in einem zwiefachen Verhältnis: zum Vater, der ihr Mann, und zum Kind, dem ihr Mann Vater ist. In diesem Verhältnis ist sie sowohl die Frau des Mannes als auch die Mutter des Kindes, nicht entweder – oder, wie es auch sein könnte und überall ist, wo sie nur Mutter wurde oder nur Geliebte des Mannes blieb.

Seit Bachofen ist dieses Entweder-Oder als die Grundfrage der Menschengemeinschaft aufgerollt worden: ob das Kind im Mutterrecht oder im Vaterrecht lebt? Was in dieser Formulierung nur eine Rechtsfrage des Kindes zu sein scheint, wird in seiner Tiefe aufgerissen, wenn die Frage von der Frau aus in die Urzusammenhänge zielt. Als Frau nämlich ist sie weder so noch so vorhanden: im einen Fall ist sie nur Mutter mit dem Recht über ihr Kind, im andern Fall nur Mutter ohne das Recht über ihr Kind. Als Frau, als Herrin wird sie weder dort noch hier beansprucht und geachtet.

Im Mutterrecht, wie es bei den primitiven Völkern angenommen wird, gibt es keinen Vater, nur den Erzeuger, der mit seiner Funktion abgetan, gleichsam nur ein Notbehelf ist, weil die Mutter sich nicht selber begatten konnte. Sie lebt im primitiven Zustand des Muttertiers, wo es jeden annimmt, der ihm zusagt, wo er aber auch mit dieser Annahme erledigt, Drohne ist. Die Familie wird nur von dem Muttertier mit seiner Brut gebildet; sie ist eine triebhafte, keine ethische Verbindung.

Soviel höher das Vaterrecht zu stehen scheint, soviel Täuschung ist darin, weil wir die ethische Verpflichtung der darauf gegründeten modernen Ehe mit hinein sehen. Ohne diese Täuschung ist im Vaterrecht der Lebensboden der Familie – das Naturverhältnis der Mutter zum Kind – bagatellisiert. Die Frau als Herrin gibt es darin nicht; das weibliche Wesen ist eine unumgängliche Einrichtung, deren sich der Mann zum Geschlechtsgenuß wie zur Kindererzeugung bedient. Da die Kinder in den Bereich des Vaters eingehen, der mit ihnen die angebliche Familie vorstellt, fällt die Mutter nach der geleisteten Geburt und Aufzucht aus, sofern sie nicht aus dem Harem der zur Verfügung stehenden Geschlechtsgenossinnen zur neuen Bedienung des Mannes heraus geholt wird. Denn so gütig die moderne Ehe ihren Schleier darüber gebreitet hat, im Vaterrecht ist die orientalische Herkunft deutlich geblieben.

Erst dort, wo weder der Mann als zeugende Drohne noch die Frau als Zeugungsboden für nebensächlich gehalten wird, erst dort, wo sie durch ihre Ehe in freier Wahl eine Ewe eingehen, ein Gesetz aufrichten, erst dort beginnt die Familie des Abendlandes, in der das weibliche Wesen nicht mehr nur Muttertier, Geliebte und Zeugungsboden des Mannes, sondern als Frau Herrin in einer Freiwerdung ist, die auch den Mann erst frei macht, und in der die Frau der Urbestand ist.

Daß ihr Verhältnis zum Kind ein innigeres sein muß als das des Vaters, liegt in der Natur: sie, nicht er, hat das Kind als Frucht ihres Leibes wie ihrer Liebe ausgetragen, sie hat es gesäugt und ist sein Mutterboden geblieben. Erst als Ableger der zwischen Mutter und Kind bestehenden Urliebe kann sich das Verhältnis des Kindes zum Vater innig auswachsen.

Indem die Mutter weder den Vater nach der Zeugung abstößt (wie im Mutterrecht) noch selber abgestoßen wird (wie im Vaterrecht), schafft sie erst die Familie, in der das Kind die Zweieinigkeit der Eltern als Ganzheit des Lebens besitzt, in der aber auch die Eltern dieser Ganzheit teilhaftig werden, die vor der Aufrichtung ihrer Ewe und ihrer Erfüllung im Kind Halbheiten waren.

Halbheiten nicht nur, weil sie zum Kind als Erfüllung ihrer Ehe aufeinander angewiesen sind, sondern weil sie in dieser Angewiesenheit zwei verschiedene Strukturen Mensch darstellen, die zum vollen Menschenbild einander als Ergänzung nötig haben.

Wenn unsere Sprache den Geist männlich und die Seele weiblich dekliniert, so spricht sie natürlich. Der Geist als Bewußtsein, Wille und Tat ist männlich; die Seele als Instinkt, Gefühl und Trieb ist weiblich. Aber mit dieser Unterscheidung ist etwas Wesentliches noch nicht gegeben, nämlich dies, daß der Geist im Fremden schweift, während die Seele im Eigenen bleibt. Insofern nämlich der Geist das Bewußte in uns als sein Betätigungsfeld hat, ist er eben durch das Bewußtsein nicht nur der Zuschauer seiner selber, sondern sein ganzes geistiges Leben ist nur eine Leihgabe des Menschengeistes, deren er sich bedient und der er dient, als ob sie sein Eigentum wäre. Jedes Wort und jeder Begriff sind geliehen, sein ganzes Wissen ist aus dem Schatz der Bildung angeeignet, den der Menschengeist angehäuft hat; und nichts ist darum natürlicher als der Zweifel, der immer wieder Einzelne und ganze Zeitalter überfällt, ob nicht die ganze Tapferkeit des Geistes nur einem Klopffechtertum gälte.

Alles das, was wir Kultur nennen, ist ja dem Einzelnen als Kind so fremd wie die Zivilisation, in deren Betten es gelegt wird, während sein Wohlbehagen und seine Schmerzen ihm schon gehören. Er wird mit dem ersten Laut, den er bewußt tut, in das Bewußtseinsreich des Menschengeistes hinein gelockt, bis er darin verstrickt kaum noch wahrnimmt, daß alles nur eine abenteuerliche Reise ist, auf der es mühsame Wanderung und kurze Einkehr, wilde Gefahren und Glücksfälle und Verzweiflung und Jubel und nur eine Heimkehr in den Urbestand der Seele gibt, die von all diesen Abenteuern des Geistes zwar betroffen, aber nicht angerührt wird.

Nicht zwei Seelen sind es deshalb, die in der Brust wohnen, sondern die Seele wird in die Abenteuer des Geistes hinein gelockt, dessen Schicksale sie erlebt und dessen Verschuldungen sie ausbaden muß. Er ist der Schweifer in allem, was auf Erden gewußt, gewollt und getan wird, und wenn er eine letzte Erfahrung hat, die alle andern umgreift, so die, daß es der Menschengeist war, in dessen Dämonie er wissen, wollen und tun mußte; die Seele aber ist das geheimnisvolle Selber des Lebens, dem die letzte Erfahrung des Geistes so wenig anzutun vermag wie die erste, weil sie ihrer Heimat gewiß ist.

Es steht nun freilich nicht so, daß der Mann nur Geist und die Frau nur Seele ist, wohl aber so, daß der Mann mehr geisthaft, die Frau mehr seelenhaft, daß er das Schweifende, sie das Ruhende ist, daß ihn die Abenteuer des Menschengeistes mehr locken und sie mehr in der Hut ihres Selbst bleibt. Indem sie eine Ehe eingehen, aus ihren Halbheiten ein Ganzes zu machen – darin sie ein Paar, keine Verdoppelung, sondern eine Ergänzung sind –, findet ein Ausgleich statt, in dem sie beide gewinnen, er aber mehr als sie, weil zwar auch die Ruhe der Bewegung, aber nicht soviel wie die Bewegung der Ruhe bedarf.

Das Stärkste in der Welt ist nicht das Bewußtsein, der Wille und die Tat, sondern die gläubige Gewißheit, aus der gewußt, gewollt und getan wird. Ohne diese gläubige Gewißheit wäre es tatsächlich Klopffechtertum, was der Geist treibt, weil ihm der letzte Sinn fehlte: welcher Sinn nicht gesehen, nur gläubig gesuhlt werden kann; und die Glaubenskraft kommt aus der Seele. Es ist die Kielschwere seiner Seele, die der männliche Geist in der Frau sucht und findet, weil sie Gäa, die ewige Mutter, ist, aus deren Schoß er wuchs. Je mehr er die Frau liebt, um so lebendiger wird das Mütterliche in der Geliebten.

Aber was Mann und Frau einander sind, sind sie nicht für sich allein, sondern als Herr und Herrin für die Erfüllung ihrer Ehe, das Kind, Und das Kind ist nicht nur ihre Brut, sondern in ihm hüten sie die Menschheit. Denn so festgelegt es in Worten und Begriffen scheint, was der Menschengeist in seinen trotzigen Schweifungen will, seitdem er sich mit seiner Erkenntnis des Guten und Bösen aus dem Paradies des Unbewußten abgelöst hat, und so übergewaltig seine Dämonie für den Einzelnen wird: gerade er bedarf des Einzelnen, um lebendig zu bleiben. Worte und Begriffe an sich sind tot, sie müssen immer von neuem zum Leben erweckt werden, und der Erwecker ist der einzelne Geist, der als diese Leben erweckende Kraft die Lebenszelle des Menschengeistes ist; aber die Zelle lebt nicht aus ihm, sondern aus ihrer Seele.

Was wir Kultur und als die höchsten Wertsetzungen des Lebens Ideale nennen, steht in der ewigen Wiedergeburt, die aus der Seelenkraft des einzelnen Lebens geschieht; was aus der Menschheit wird, ist deshalb immer neu auf die Karte des Kindes gefetzt: das Gesetz der Ehe, die Ewe der Familie, ist die Verantwortung der Menschheit. Über Sippe, Volk und Staat, über die Kultur und ihre Ideale wird letzten Endes da entschieden, wo Mann und Frau als Herr und Herrin aus der Zwangsläufigkeit ihrer halbheitlichen Herkunft zur Freiheit ihrer Ewe eingehen: Die Familie ist der Jungbrunnen der Menschheit, und die Frau ist die heilige Duelle, vom Mann treulich behütet.

Daß wir in der modernen Welt den Aufruhr der Frauenfrage erlebten, deutet eine Erkrankung der Menschheit an, die in ihrer Zelle, der Familie, gefährdet ist. Welches auch die äußeren Anlässe der Erkrankung sein mögen, die organische Entartung, aus der alle Krankheit kommt, ist in diesem Fall eine böse Nachwirkung des Vaterrechts, unter dem die moderne Ehe stand und steht. Der männliche Geist, seine Halbheit vergessend, kam ins Schweifen, weil er sich selber im Hochmut des Menschengeistes als Zweck setzte. Das Herrlein bekam die Oberhand über den Herrn, und das Fräulein, dem das Frauentum verwehrt wurde, wollte nun auch ein Herrlein sein. Aus männlichen und weiblichen Herrlein kann keine Familie gemacht werden; der Kampf um ihre Gleichberechtigung läßt außer acht, daß er ohne die Mütter leeres Stroh drischt. Die Gefährdung der Familie, in der wir mit all ihrem Drusch stehen, bedeutet Verlust der Freiheit, die Mann und Frau in der Ewe gewinnen, bedeutet Erschütterung unserer Kultur in ihrer Zelle, bedeutet Absinken der Menschheit in Barbarei.


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