Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Brief an Hanni

(1919)

Liebe Hanni,

heute ist es ein Jahr her, daß Du am Nachmittag starbst. Ich habe Dich immer gerufen seitdem, und allzuviel Tränen sind einsam in mich geflossen, wenn mich die Nacht wach hielt. Nun ist der schmerzliche Abschied vorüber; ich weiß Dich geborgen am Ziel. Nicht lange, so werde ich auch dort sein, wo das menschliche Sein aufgehört hat, wo wir in Gott sind, nicht näher als hier, aber erlöst aus dem ach so vielfarbigen Schein unseres irdischen Daseins. Ob dann ein neuer Schein sein wird, dies zu fragen steht meiner Seele nicht zu, da Gott ihr keine andere Möglichkeit zu antworten gab als die Gewißheit der Seele, ihm anzugehören. In dieser Gewißheit aber, liebe Hanni, sind wir nicht getrennt voneinander; wie sollte es sonst eine Gewißheit heißen?

Freilich, es ist eine menschliche Sprache, die ich hier schreibe, und Menschliches ist Dir auf ewig verklungen; aber lebt nicht auch im Schein der Sprache das Sein? Wird nicht in jedem Wort, das meine Seele wirklich spricht, auch ein Atem von ihr lebendig? Und ist nicht die Seele im ewigen Sein?

Wenn ich Dich menschlich denken könnte, so würdest Du lächeln über solch hastiges Tun, meinem zitternden Gefühl einen Weg durch den Tod zu weisen. Aber dann müßtest Du ja auch bedenken, wie meine Seele noch im Käfig ihrer menschlichen Gedanken sitzt, wie sie nichts fühlen kann ohne die eisernen Stäbe der Sprache, wie sie das ist, was wir an Jesum den eingeborenen Sohn Gottes nannten, eingeboren in die irdische Welt und einzig geboren in seiner Einsamkeit. Denn dies hast auch Du in Deinem kurzen Erdenleben erfahren: mit aller Liebe steht auch der Nächste unserer einsamen Seele ferner als das Gefühl, dem unlösbar verbunden zu sein, was wir Gott nennen.

Wenn ich es recht bedenke, liebe Hanni, so war dies die deutlichste Hülle Deines Daseins: Du warst uns fremder, als sonst ein Kind den Seinen ist; Deine Seele saß, staunend und immer ein wenig zur Abwehr geneigt, hinter Deinen großen, so seltsam blau verhangenen Augen. So sehr war dies, daß, als ich Dich malte in der blauen Schürze, ich fast erschrak, wie unabänderlich ich außerhalb Deines Augenkreises stand. Einen engen Ring zog Dein Blick um sich, kaum mehr, als Du Luft zum Atmen brauchtest. Und dabei schienst Du doch den meisten ein Kind, das seine Freuden an jeden Sonnenstrahl hängen konnte! Wie vermochtest Du, ein einziger Strudel von Freude zu sein, und wie vermochtest Du, Deine Gespielinnen in diesen Strudel hinein zu ziehen! Wie warst Du ein Sonnenkind, wie es noch in Deiner Grabrede hieß, ein Liebling der Menschen um Deiner perlenden Heiterkeit willen! Und dennoch sollst Du ihnen allen so fremd gewesen sein? Ja, Du warst es; nur sie sahen nicht, wie all Deine Fröhlichkeit aus Dir selber kam und Dir selber galt, wie Du ein Springbrunnen in der Sonne warst, der stets von neuem in seine eigene Flut zurück fällt, wie Du – mehr als das – die blanken Kugeln Deiner Freude in die Höhe warfst, um, wenn sie fielen, sie immer wieder in Deinem Netz aufzufangen. Weil Du ein Kind warst auf Erden, und nicht mehr werden wolltest.

Wir haben noch Deinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert – mit wehem Herzen, da wir den Abschied zwar noch nicht glaubten, aber ihn schon ahnten – und es sollte nach unserm Brauch Deinen Eintritt in den Kreis der Erwachsenen bedeuten. Du hast den Tag genossen wie alles, darin Dir Liebe zukam, aber Du hast Dich gehütet, in unsern Kreis der Erwachsenen einzutreten, weil Du nichts als ein Kind auf Erden sein wolltest und konntest. Als ein Kind hast Du den mit Liebe bestellten Geburtstagtisch von Deinem Krankenbett aus genossen; als ein Kind hast Du den letzten Blick ins Dasein getan: Die schönen grünen Bäume! das war Dein letztes Wort, bevor der Todeskampf kam.

Darum war ich so tief erschrocken, als ich Dich nachher zuerst auf Deinem Bett liegen sah: das Kind war fort, und eine uralte Zwergin schien da gestorben zu sein, wo Du am Morgen noch aufrecht im Bett gesessen hattest, Dein blasses Kindergesicht zum letzten Mal im Spiegel anzusehen. Du hast ja auch diesen Schrecken noch wettgemacht, als Du im Sarge lagst und stündlich Deine Jugend wiederkam; aber ein Kind bist Du nicht mehr geworden: eine strenge, unnahbare Jungfrau warst Du da, schön wie aus Marmor, und nun mußte es jeder sehen, wie fremd Du uns warst. Fast schien es Hochmut, wie Deine Lippen lächelten, aber es schien uns nur so, weil wir nicht gleich begriffen, was Du uns von Dir im Sarg zurück ließest: Deine irdische Vollendung war es, eine Blüte, die nur blühen, nicht Frucht tragen wollte, die aber darum sieghafter ausblühen konnte als die, deren Blütenblätter an der Befruchtung welken.

Wenn ich von hier aus denke bis zurück an Deinen ersten Tag, so ist mir nicht einmal Deine Krankheit fremd, so sehr ich damit haderte, als sie Dich überkam. Es war ja nicht so, daß sie Dich tückisch überfiel, sie war – das sehe ich nun – immer in Dir als ein Teil Deiner irdischen Verfassung. Darum wollte Deine Seele nichts anderes, als sich kindlich freuen, darum war Dein Jubel so restlos hingegeben, darum Dein Schrecken vor allem Schmerz so unsagbar, darum Deine Ablehnung aller erwachsener Meinung so bestimmt. Du wolltest nichts als Kind auf Erden sein und hast unserm irdischen Schicksal, wie wir Erwachsenen es erleben, nicht eine Hand gereicht.

Der Doktor hat gesagt, daß auch Du ein Opfer des Krieges geworden wärest. Ich weiß nicht, ob er mitgegangen ist, als wir Dich den Berg hinunter trugen in Deinem weißen Sarg, als die Liebe zugeströmt war wie zu einem Fest. Sicher hatte er Dein Lächeln im Sarg nicht gesehen, das Du als Dein letztes und als Deine Weisheit zurück ließest, Dein Lächeln, hochmütig fast, so ganz für Dich, so jung Deiner irdischen Vollendung sicher. Nein, ein Opfer warst Du nicht, wenn Du auch vor dem grausamen Ende dieses Krieges heimgingst. »O Deutschland hoch in Ehren!« hattest Du noch mit Deiner Kinderstimme gesungen, als der Krieg begann, Deinen lächelnden Lippen im Sarg hätte es nicht mehr gestanden; sternenweit entfernt von solchen Dingen.

Ich darf es noch nicht sein, ich habe im irdischen Raum meine Stelle, die ich ausfüllen muß, damit kein Loch im Gewebe sei. Und tapferer als sonst will ich zu meinem Volk stehen, nun es im äußeren Unglück ist. Denn dieses Volk wird noch Millionen Kindern das Haus sein, darin ihre Seele staunend in das irdische Dasein hinein wächst; und an jedem Deutschen liegt es, wie gut oder böse ihnen das Dasein bereitet ist. Auch wäre es Vermessenheit, etwa zu denken wie die angeblich Frommen, daß meine irdischen Tage nur eine Pilgerfahrt wären, darin ich möglichst schon hier auf Erden das Irdische vergessen soll. Das hieße der Gewißheit einen Hochmut antun, der ihr noch nicht zukommt: in Deinem Sarg erst hattest Du Dein Lächeln, in Deinem Leben warst Du innig hingegeben.

So will ich auch tun bis zum letzten Augenblick, und ich weiß, daß es in Deinem Sinn ist. Aber nicht so, daß ich Dir um Deiner irdischen Erinnerung willen untreu würde, Dir und dem Sein, darin wir uns beide näher als in Deinem Leben sind. Täte ich das, so müßte ich Dich ja mit all dem andern Gut meiner irdischen Sinne verlassen, wenn ich einmal den letzten Blick tue.

Jetzt müßtest Du lächeln, wenn Du noch irdisch lächeln könntest, so töricht käme Dir das vor. Und wo Du gewiß bist, will ich nicht schwankend sein. Solange Du noch irdisch lebtest, war es einfach, Dein Vater zu sein; nun ist es schwieriger geworden; aber Du weißt ja, die schwierigen Dinge haben mir immer mehr Lust gemacht als die leichten. Bis mir der Tod die Schwierigkeit hinweg nimmt, will ich getrost und ohne Trauer sein, was ich Dir galt, als Du noch Kind auf Erden warst,

Dein Vater.


 << zurück weiter >>