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Das Wunder zu Kronach

(1925)

Im Jahre 1504 geschah im fränkischen Land helllichten Tags ein Wunder: die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten kam durch das Bamberger Stift in die Nähe von Kronach. Dort sah sie ein Jüngling, Lukas Müller geheißen, der als der Sohn eines Schildermeisters gebürtig von Kronach war und selber bei seinem Vater die Schilderkunst eifrig gelernt hatte. Er sah die Flüchtlinge ruhend bei einer Quelle am Rand des Gebirges, wo rechts in der Tiefe das blau geöffnete Tal war und zackige Tannen gegen das lichte Firmament standen. Denn ein Frühlingstag hatte sich aufgetan, die Erde zu segnen; und Himmelsschlüssel blühten am Wasser, das rieselnd herab kam.

Und weil das Sonnenlicht keinen Wüstensand fand, darin zu glühen, nur schwellendes Gras, Blumen in seinen Teppich zu locken; weil sanfte Luft mit dem blanken Licht zärtlich zu spielen bereit war, hatte Maria den bösen Herodes vergessen, wie Joseph die Mühsal der Fremde. Als der Malerjüngling sie da überraschte, sahen sie weder erschrocken noch staunend auf ihn: Maria im Glück ihres Kindes hob nur die seligen Augen, und Joseph stand feierlich froh, ihr Hüter zu sein. Das Kind selber ließ sich erst recht nicht stören, weil Engel da waren, mit ihm zu spielen; keine mit Schwertern und sonst erwachsenen Dingen, selber noch Kinder wie das, dem sie Blumen und Vögel brachten für seine glücklichen Hände; und die es schon konnten, spielten auf kleinen Schalmeien: als wäre die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten ins Paradies abgekommen, und es läge im fränkischen Land.

Darüber freilich verlor der Maler den Mut, näher zu treten und gar mit ihnen zu sprechen. Seine Augen kamen nicht los von dem Bild, wie die wettererprobte Tanne sich hinter Joseph gestellt hatte, das Wunder des Kindes zu hüten; nur die Füße gingen ihm schrittweis zurück, jeder Schritt eine Klafter: so schwand ihm das Bild in die Ferne. Und als er einmal hinter sich sah aus Furcht, über die Wurzeln zu fallen, war es verschwunden: die Tanne jedoch im Schmuck ihrer silbernen Flechten stand staunend wie er vor der zartblauen Frühlingstiefe.

Der Jüngling in seiner Stube zu Kronach konnte danach das Bild getreulich abmalen; denn wenn er die Lider zumachte, war alles gleich wieder da, als säße das Wunder in seinen Augen gefangen. Da sah er, warum ihn der Anblick nur selig beglückt, kaum erstaunt und gar nicht erschreckt hatte: wären die Engel nicht um sie gewesen, er hätte die Heilige Familie für seines Landes gehalten, so wenig fremd oder gar himmlisch sahen sie aus: das dralle Kind auf dem Schoß, die blonde, gar fränkische Frau und der Mann mit dem Hut in der Hand, der, grauköpfig schon, hinter ihr stand.

Es war aber, da dieses geschah, Martin Luther zu Erfurt noch nicht ins Kloster gegangen, und Karl, der kommende Kaiser, spielte als Knäblein in Gent; es lebte also die alte Zeit noch in den Tag, als wäre Hus, den sie in Konstanz verbrannten, nur ein böhmischer Ketzer gewesen.

So kam das Bild in Kronach zur Welt, als hätte ein Engel dem Maler verkündigt, was danach geschah, daß sich das deutsche Volk begehrlich aufmachte, aus seiner Seele wieder einfältig zu werden, wo es im Mönchslatein römischer Priester zwiespältig geworden war. Indessen droben im Elsaß ein Gewaltiger saß, das ganze Mirakel dessen zu malen, der für die sündige Menschheit am Kreuz von Golgatha hing, hob der Jüngling zu Kronach die Augen in die Welt eines andern Wunders auf: daß alles, was je zur Erlösung geschah, in Ewigkeit war und also dem deutschen Herzen vertraut, als wäre der Heimat solches täglich bereitet, als könnten die Augen hinter das Kreuz auf Golgatha sehen, wie da der gläubigen Seele das Wunder der Gotteskindschaft mitten im Tag sichtbar wurde.

Und es waren nicht Juden und Samariter, nicht Römer und Galiläer, denen das Wort des göttlichen Künders zu Ohr kam, in fremden Gewändern und Priesterlatein: es war ein Maler aus Kronach, dem der Himmel des Evangeliums zum erstenmal blau wurde über den Tannen und Blumen des eigenen Frühlings. Viele vor ihm hatten die heiligen Dinge schon treu und schlicht in die heimatlichen Gewänder gekleidet und hatten das Land Palästina nach ihren Sinnen gebildet: hier aber kam einer und hatte das Wunder in seiner Seele erfahren, als wäre er darin geboren, als hätte ein Jüngling in Franken von seiner Heimat geträumt, daß sie die Heimat des Christ und also das Land des Evangeliums wäre.

Als der Kurfürst von Sachsen das Bild sah, hieß er den Jüngling aus Kronach nach Wittenberg rufen, daß er sein Hofmaler wäre. Aber in Wittenberg waren nicht Tannen und Berge, nur flache Felder um eine dürftige Stadt, und Ziegelmauern spiegelten sich im gelben Wasser der Elbe. Er malte danach, was dem Kurfürsten gefiel und seinen lüsternen Herren; aber die Lust des Frühlings verrieselte darüber im Sand und das Glück des Wunders in seiner Seele. Er trug eine Kette um seinen Hals, da er alt war, und wurde als Bürgermeister der Kurfürstenstadt an der Elbe Lukas Cranach geheißen, der die Schilderkunst mit flinken Gesellen betrieb, als ob sie ein Handwerk wäre zu Nutz und Frommen dem Mann, der es mit sauberer Sorgfalt bediente.


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