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Garstig glatter
Glitschriger Glimmer!
Wie gleit ich aus!
Von Ferdinand Lassalle stammt das bittre Wort von dem Kranichzug der Klassiker über Deutschland. Niemals bewahrheitete es sich ernster als im vergangenen Jahre, das bekanntlich das »Goethejahr« gewesen ist. Durch die schimmernden Schleier der amtlichen Feierseligkeit blickte man auf ein gleichgültig vorüberhastendes Volk, das andre Sorgen hatte, und auf einen vergessenen Sarkophag: Goethe.
Der Musiker hat es leichter als der Dichter, der Hirn und Nerven gleichmäßig beansprucht. Das Ohr ist ein williges Organ, durch das Ohr läßt sich der Kopf am leichtesten betrügen.
Nein, Richard Wagner ist nicht im Kranichflug über Deutschland gezogen. Er nistet noch mitten im Land. Er ist der genialste Verführer, den Deutschland gekannt hat. Kein Künstler hat auf den geistig-seelischen Habitus des Volkes verhängnisvollern Einfluß genommen, niemand hat die Flucht aus der Wirklichkeit, den Kultus des schönen Scheins eindringlicher und verlockender gepredigt. Wohl haben andre mit höherer Intensität künstliche Paradiese geschaffen, wohl haben die Blumen des Bösen leidenschaftlichere Gärtner gefunden – sie sind an den selbstgezogenen Früchten gestorben. Richard Wagner, der alle berauschte, hatte selbst nicht viel Teil am Rausch, er blieb ein kühler, bewußter Herr seiner Mittel. Eine Welt geriet in Wahn durch seine Töne, er selbst blieb ein ruhiger Rechner und sein bester und überlegenster Propagandist. Sein Erfolg war so breit wie kein andrer, denn Richard Wagners Werk hat die glücklichste, weil am meisten erfolgversprechende Mischung: hinter rauschenden Akkorden, hinter einer üppig quellenden Melodik die grauenhafteste Trivialität. Aber die olympische Miene des Mannes heischt Bewunderung und Unterwerfung – er tritt auf wie das absolute Genie. Wer wagt es, vor einer allgemeinen Suggestion ehrlich zu sein? Wer wagt es zu sagen, daß ihn eine Wagneroper seekrank macht?
Dies sind die Stadien von Richard Wagners Ruhm: zuerst die Begeisterung der ästhetisch Geschulten; dazu die Snobs, die Neurastheniker, die stets auf die letzte Mode fliegen. Dann der riesige Opernsieg, die Eroberung des Publikums; die Wagnerzyklen mit Sänger- und Kapellmeisterkult verknüpft. Und dann die hoffnungslose Verplebsung: die Entdeckung des sentimentalen Schlagers in der Harmonie der Sphären; der holde Abendstern im Biergarten als Pistonsolo zwischen »Stolzenfels am Rhein« und »Gute Nacht, du mein herziges Kind!« Wagner vom Militärorchester exekutiert, die glorreiche Auffindung des Ewig-Ordinären in Walhall.
So etwas kann auf die Dauer auch der bestfundierte Ruhm nicht vertragen. Die feinen Ohren wurden abtrünnig, die Kenner guter Musik mißtrauisch. Auch das Ende der Parsifal-Sperre tat nicht gut. Das Weihespiel, nicht mehr an das bayreuther Monopol gekettet, hielt seinen Einzug in die großen Opernbühnen und ernüchterte. Das war es also! Ein altes Rezept: Weihrauch mit Erotik, aber ohne den hinreißenden Glauben von Barockmeistern. Die Unschuld siegt am Ende mit viel Orgelton und Glockenklang, aber um ihren Sieg triumphaler zu gestalten, muß inzwischen viel Weiberfleisch enthüllt werden, muß der keusche tumbe Tor mit Mühe Kundrys Bordellatmosphäre und das tingeltangelhafte Nuttenballett der Blumenmädchen absolvieren. Die Klingsor-Girls!
Komm! Komm!
Holder Knabe.
laß mich dir blühen!
Dir zur Wonne und Labe
gilt mein minniges Mühen.
Parsifals erstes öffentliches Erscheinen tat der Wagnerbegeisterung nicht gut. Der Rückschlag war beträchtlich. Nietzsches Kritik war bisher verlegen genug ignoriert, als unbegreifliche Skurrilität oder als Akt persönlicher Gekränktheit behandelt worden. Der Ruhm sackte ab. Es erschien Emil Ludwigs verdienstvolle Streitschrift »Richard Wagner oder die Entzauberten« und übte seine Wirkung. Mozart stand wieder auf, seine ewige Grazie lächelte die geschwollenen Götterfiguren in die Kulissen zurück, Beethoven übte neu seine Macht, und seine reine Gewalt siegte über Bayreuths größenwahnsinnigen Theaterplunder. Bach, Händel, Gluck standen wieder auf. Das natürliche Genie siegte über die genieähnliche Virtuosität. Die echte Kathedrale über den sakral aufgezogenen Rummelplatz.
Wagner sank schnell im Kurs. Zu unbegrenzt war der Anspruch gewesen, und jetzt waren überall Unbefriedigte. Es kam eine neue Musik, die frisch und ohne viel Umstände auf ihr Ziel losging. Wenn Strawinskys Soldatenballade vor ein paar bunten Leinwandfetzen mitreißt und erschüttert – wozu dann der Kolossalpomp? Was braucht Musik, die durch die Ewigkeit rauschen will, solche Szenerie? Das Theater machte damals eine kleine Revolution durch. Plötzlich wurde das Bühnenbild wieder einfach – mit dem Verruf der Guckkastenbühne kam auch die Wagneroper in Mißkredit. Der alte Zauberer schien für immer ausgespielt zu haben. Vor zehn Jahren gehörte eine gewisse Courage dazu, sich als perfekter Wagnerianer zu bekennen.
Doch
in lichter Waffen Scheine
ein Ritter nahte da,
so tugendlicher Reine
ich keinen noch ersah ...
Dieser Ritter war der Nationalismus.
Ein Phänomen, in der Tat. Eine neu aufstrebende Bewegung hüllte sich in die Klänge einer bankrotten Kunst. Diese selbst, die sich bisher, wenigstens in der Kassengebarung streng kosmopolitisch gezeigt und dem polnischen Juden, wenn er nur zahlungsfähig war, gern einen Logenplatz im Festspielhaus reserviert hatte, klammerte sich an eine Bewegung, die den Racismus auf ihre Fahne geschrieben hatte. Es darf in diesem Zusammenhang nicht überschätzt werden, daß im bayreuther Kreise zuerst die Rassentheorien Gobineaus gepflegt wurden, daß Houston Stewart Chamberlain, der Schwiegersohn Richard Wagners, in einer konfusen Theorie die These von der schöpferischen Überlegenheit des reinen Ariertums entwickelte, und er, der Sohn eines englischen Admirals, im Kriege der lärmendste Herold der Alldeutschen war. Wichtiger ist, daß Wagners Musik die Blütezeit des Bürgertums und des Imperialismus in Töne bannte und ihr den blendenden szenischen Hintergrund verlieh.
Es ist heute wohl unmöglich, diesem bürgerlichen Zeitalter gerecht zu werden. Denn wir haben für seine falschen Ewigkeitsrechnungen und seine uneingelösten Schuldscheine einzustehen. In Richard Wagners Werk flüchtet die bürgerliche Ära aus ihrer problemhaften Wirklichkeit in musikumbrausten Mythos. Sie flüchtet aus verschwitztem Bratenrock und qualvoller Corsage in den kühlen Harnisch und die weiten fließenden Gewänder der Götter. Sie heroisiert sich, sie reckt sich ins Übermenschliche. Sie harft sich in Hochzeitsmärschen und Feuerzauber aus dem engen Ring der Konvention. Die Frauen schmettern ihre Frigidität mit hohem C allen Männern in die Ohren, und die Männer selbst träumen sich aus dem langweiligen Alltag der Ehe in die siebenjährigen Ferien des Venusbergs, ins schrankenlose Ausleben, mag auch der Kater dahinter lauern. Wie schwül ist das alles, was für ein Kompott zerkochter und zerquetschter Lüste! Wie ist das alles aus dem einen Punkte zu verstehen! Aber diese Götter und Göttinnen sind keine freien Hellenen, sie leiden unter einem schlechten Gewissen. Sie ahnen die Katastrophe, sie fühlen dumpf den Fluch ihres Reichtums. Aus nächtlichem Dunkel flammt rot die Vision des Untergangs: das Versinken des Goldhortes im Rhein.
Rheingold! Rheingold!
Reines Gold!
O leuchtete noch
in der Tiefe dein lauterer Tand!
Traulich und treu
ists nur in der Tiefe:
falsch und feig
ist, was dort oben sich freut!
Gewiß, diese Symbolkraft ist nicht gering, aber alles ist ganz fern, in eine nebelhafte Opernwelt projiziert, ganz unnaiv-mühsame Konstruktion. Und dann zeigt diese Musik ihre Macht, sie infiziert die Wirklichkeit, sie dringt durch tausend unsichtbare Kanäle: aus der Theatergarderobe holt sich Wilhelm II. den Lohengrinhelm und verwandelt die Wirklichkeit in eine schlechte Oper.
Wagner wird heute anders kreiert als vor Jahrzehnten. Man muß sich diese großen Wagneraufführungen vorstellen, wie sie noch vor zwanzig Jahren waren, diese weiche sinnliche Zerdehnung der Tempi, dieses Waten in Tönen. Und dazu diese Kammersänger, wie sie sich auf fahl gewordenen Rollenbildern präsentieren, diese Tristane und Lohengrine mit Doppelkinn und Bierbauch, und dazu diese Sängerinnen mit flachsgelben Perücken, das Auge verzückt erhoben, Wogebusen und Wackelpopo durch ein rotumbordetes, urtümlich deutsches Nachthemd wirkungsvoll unterstrichen ...
Hojotoho! Hojotoho!
Heiaha! Heiaha!
Hojotoho! Heiaha!
Die heutigen Kapellmeister versuchen die Musik zu entfalten, sie halten den Rhythmus straff – im Grunde ist das ein denaturierter Wagner.
Wir leben jetzt wieder im Traum der bürgerlichen Renaissance, und als klingender Herold dieser Sehnsucht tritt Richard Wagner wieder auf. Nicht mehr so exklusiv wie früher, im Gegenteil, sehr kleinbürgerlich geworden. Der Bürger ist pleite, seine Ideale wehen zerfetzt in allen Winden, nur seine Parvenuansprüche sind geblieben. Bei Wagner ist nicht nur das ganze Inventar des nationalistischen Schwertglaubens enthalten, sondern auch, immer neu variiert, die angenehme Vorstellung, von allen Übeln erlöst zu werden, ohne daß man dafür etwas zu tun braucht. Es erübrigt sich, näher auszuführen, was für eine Rolle in Deutschland der Wunderglaube spielt und das Verlangen nach einem Hexenmeister, der mit einem Hokuspokus Verschwindibus alle Kalamitäten für ewig beseitigt.
Wagner selbst, der in der Erinnerung als der kleine alte Mann mit der Samtmütze fortlebt, hat wohl als der Erste erkannt, daß im bürgerlichen Deutschland Kunst nur dann dauernd wirkt, wenn sie gehörig mit Weltanschauung verbrämt und mit dem schwarzen Siegel des Geheimnisvollen versehen wird. Er hat der Musik Natur und Unschuld geraubt, hundertfach treffen Nietzsches erbitterte Anklagen zu. Er war ein Großmeister der Reklame; schon die Freundschaft mit dem verrückten Bayernkönig verlieh ihm das Relief des Auserlesenen. Und er sicherte sich selbst für seinen Nachruhm die Kultstätte Bayreuth; hier ummauerte der Großkophta sein Monopol. Es ist nicht der begreifliche Wunsch des Künstlers nach Abgeschlossenheit und Sammlung, es ist nicht das odi profanum des Horaz, die Barriere gegen Banausen. Es ist eine gut kapitalistische Kalkulation: er reserviert sein Werk für die Zahlungsfähigen. Kein wirklicher Künstler konnte so handeln. Man vergleiche das mit der noblen geheimrätlichen Abgeschlossenheit des alten Goethe, man vergleiche überhaupt die Plüsch- und Makartwelt Bayreuths mit der strengen Sauberkeit des Hauses am Frauenplan – zwei Zeiten stehen sich schroff gegenüber!
Wäre dieser Rummel nicht, nicht die Aufmachung, nicht der unerhörte geistige Anspruch, man könnte Richard Wagner einfach historisch nehmen, man könnte sagen: diese süße Melodik wird langsam fade, der Zauberspruch verliert seine Kraft, nachdem zwei Generationen seiner Verführung unterlegen sind; man könnte den lieben altgewordenen Schwan mit gerührtem Dank nach Haus schicken. Aber Richard Wagner wirkt fort, ein tönendes Gespenst, zu Zwecken beschworen, die mit Kunst nichts mehr zu tun haben, ein Opiat zur Vernebelung der Geister. Zum zweitenmal soll aus Deutschland eine Wagneroper werden, Siegmund und Sieglinde, Wotan, Hunding, Alberich und der ganze Walkürenchor und die Rheintöchter dazu sind –
Heiajaheia!
Wallalaleia heiajahei!
über Nacht hereingebrochen mit der Forderung, über Leiber und Seelen zu herrschen. Die künstlerische Seite dieses Programms billigen wir nicht, denn wir glauben in Wagner nicht die deutsche Musik erschöpft, wir glauben sie bei andern Meistern echter und tiefer zu finden; wir sehen in Wagners Werk vornehmlich eine künstliche Fontäne in buntem Scheinwerferlicht und keinen reinen natürlichen Quell – aber das ist Sache des Kunstgeschmacks, also Privatsache. Die andre Seite dieses Programms ist es dagegen nicht. Wir werden also etwas unternehmen müssen, da nicht zu erwarten ist, daß eine reine Jungfrau, um uns zu erlösen, ins Wasser springt.
Die Weltbühne, 21. Februar 1933